Grußwort von Nuntius Eterovic als Doyen des Diplomatischen Corps beim Empfang von Bundeskanzler Olaf Scholz
Bundeskanzleramt, 10. September 2024
Sehr geehrter Herr Bundeskanzler!
Im Namen der Mitglieder des in der Bundesrepublik Deutschland akkreditierten Diplomatischen Corps habe ich die Ehre, Eure Exzellenz zu grüßen und Ihnen herzlich für die Einladung in das Bundeskanzleramt zu danken. Mit dieser Geste, die wir alle zu schätzen wissen, wird eine Tradition fortgeführt, die im Jahr 2020 wegen der Covid-Epidemie und dann aufgrund des Regierungswechsels unterbrochen wurde. Als Botschafter und Vertreter von Staaten und internationalen Organisationen verfolgen wir aufmerksam das politische, soziale, kulturelle und religiöse Leben Deutschlands und insbesondere die Aktivitäten der Bundesregierung, sowie die Äußerungen Eurer Exzellenz. Es ist uns jedoch sehr wichtig, Sie persönlich zu treffen, um direkt von Ihnen die Leitlinien der Regierung zu erfahren, der Sie, sehr geehrter Herr Bundeskanzler, in dieser bewegten Zeit in der Geschichte Europas und der Welt vorstehen.
Bei der letzten Parlamentswahl in Deutschland haben wir alle die Programme der am Wahlkampf teilnehmenden Parteien zur Kenntnis genommen. Dabei haben wir uns insbesondere auf die Programme der drei Parteien der Regierungskoalition aus SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP konzentriert, die im Volksmund auch „Ampelkoalition“ genannt werden. Die Situation änderte sich jedoch grundlegend bereits wenige Monate, nachdem die 20. Wahlperiode des Bundestages am 8. Dezember 2021 begonnen hatte. Die Russische Föderation begann am 24. Februar 2022 unerwartet mit ihrer militärischen Aggression gegen die Ukraine, die leider bis heute andauert und schon viele Opfer an Menschenleben gefordert, sowie umfangreiche Zerstörungen und Sachschäden verursacht hat. Der bis dahin berechtigte Stolz der Bürger Europas, dass es nach der großen Tragödie des Zweiten Weltkriegs auf dem europäischen Kontinent keine Kriege mehr gegeben hat, ist leider Vergangenheit. Zugegebenermaßen kam es bereits vor dem Februar 2022 in einigen Teilen Europas zu kriegerischen Auseinandersetzungen, etwa im ehemaligen Jugoslawien von 1990 bis 1999. Zu nennen wären auch der Krieg in Georgien im Jahr 2008 sowie die sogenannte „Annexion“ der Krim im Jahr 2014. Doch der aktuelle Krieg in der Ukraine übertrifft all dies an Intensität und hat gefährliches Potenzial für einen Flächenbrand. In Deutschland hatte dieses tragische Ereignis auch in sozialer, politischer, wirtschaftlicher und militärischer Hinsicht Auswirkungen auf die Politik der Bundesregierung.
Leider haben die verhängnisvollen Entwicklungen im Nahen Osten, die mit dem brutalen Angriff der Hamas am 7. Oktober 2023 auf Israel begannen, die Sorge um den Frieden in der Welt verstärkt, die gegenwärtig mit zahlreichen Kriegen und bewaffneten Konflikten konfrontiert wird. Bis zu 70 Staaten auf der Welt sind derzeit in Kriege verwickelt: 31 in Afrika, 16 in Asien, sieben im Nahen Osten, neun in Europa und sieben in Amerika (1).
Angesichts dieser besorgniserregenden Situation sehnen sich alle Menschen guten Willens nach einem gerechten und dauerhaften Frieden. Um dies so schnell wie möglich zu erreichen, muss die internationale Rechtsordnung respektiert werden. Nach dem Zweiten Weltkrieg hat die internationale Gemeinschaft eine Vielzahl von Regeln und Gesetzen erlassen, die sowohl die bilateralen als auch die multilateralen Beziehungen regeln. Sie sollten nach dem Grundsatz von Treu und Glauben und wenn möglich durch qualifizierte und zuverlässige Vermittler angewendet werden. In diesem Sinne ist es notwendig, die Diplomatie und die ihr zur Verfügung stehenden Mittel zu stärken, um das Lärmen der Waffen zum Verstummen zu bringen und es durch geduldigen Dialog und ehrliche Verhandlungen zu ersetzen, um Frieden zu erreichen. Vor dem Gesetz sind alle Staaten gleich. Daher wäre eine entsprechende Reform internationaler Gremien wie der Vereinten Nationen notwendig, um zu verhindern, dass eine oder mehrere Mächte in Zeiten schwerer Krisen das Wirken dieser Gremien für den Frieden und die ganzheitliche Entwicklung der Völker blockieren können.
Auch die schwerwiegenden Probleme, die die Migration mit sich bringt, sind mit Gewalt, Krieg oder Einflüssen auf die Umwelt verbunden. Nach Angaben des Weltmigrationsberichts 2024 der Internationalen Organisation für Migration (IOM) gibt es weltweit 281 Millionen Migranten, zusätzlich zu 117 Millionen Menschen, die aufgrund von Konflikten, Gewalt und Naturkatastrophen auf der Flucht sind. Ein erheblicher Teil dieser Menschen sucht Zuflucht in Ländern der Europäischen Union. Wir alle verfolgen mit großem Interesse die Umsetzung des neuen Migrations- und Asylpakts, der im April 2024 vom Parlament der Europäischen Union verabschiedet worden ist und den die Mitgliedsländer innerhalb von zwei Jahren verabschieden sollen. Damit soll sichergestellt werden, dass alle EU-Länder eine gemeinsame Verantwortung für die Asylverwaltung übernehmen. In diesem Bereich gebührt Deutschland für die großzügige Aufnahme von Asylbewerbern besondere Anerkennung. Im ersten Halbjahr 2024 wurden in Deutschland 115.682 Asylanträge gestellt, das sind 20 Prozent weniger als im Vergleichszeitraum des Jahres 2023.
Zahlreiche Konflikte auf der Welt haben auch sehr negative Auswirkungen auf die Ökologie, ein Thema, das alle Menschen beschäftigen sollte, denen der Schutz des Planeten, „unser[es] gemeinsame[n] Haus[es]“, am Herzen liegt (2). Auch in diesem Bereich ist Deutschland sehr engagiert, wie die aktive Beteiligung seiner Vertretung auf der UN-Klimakonferenz in Dubai in den Vereinigten Arabischen Emiraten zeigt, aber auch die Vorbereitung der kommenden COP 29, die im November 2024 in Baku, der Hauptstadt Aserbaidschans, stattfinden wird. In diesem Zusammenhang muss an die Konferenz am Sitz des UNFCCC-Sekretariats in Bonn vom 3. bis 13. Juni erinnert werden, an der rund 6.000 Menschen teilnahmen. Darunter waren Delegierte aus 198 Ländern sowie Vertreter von NGOs, der Zivilgesellschaft und Aktivisten, die sich in die Halbzeitverhandlungen zum Klimaschutz einbringen, an denen die sogenannten Subsidiary Bodies (SBSTA und SBI) beteiligt sind. Es bleibt zu hoffen, dass es auf der oben genannten COP 29 zu einer Einigung über das sogenannte New Collective Quantified Goal (NCQG) kommt, einem neuen quantitativen Klimafinanzierungsziel zugunsten der Länder des globalen Südens. Es besteht auch die Hoffnung, dass Fortschritte bei den Transparenzmechanismen erzielt werden, um das Vorankommen der Länder bei der Bekämpfung des Klimawandels zu überwachen und die internationale Zusammenarbeit zu erleichtern, sowie bei der Umsetzung von Artikel 6 des Pariser Abkommens über Kohlenstoffmärkte und Kooperationsmechanismen.
Nach der Thematisierung so vieler ernster Probleme der Welt, die nicht nur Deutschland und die Europäische Union, sondern alle Länder der Welt betreffen, bin ich dankbar, zu einem großen Ereignis übergehen zu können, das einen Monat lang die Aufmerksamkeit von Millionen Menschen auf Deutschland gelenkt hat, nämlich auf die Spiele der Fußball-Europameisterschaft 2024. Wir danken den Veranstaltern für die gute Arbeit, die auch durch eine gute sportliche Infrastruktur, tatkräftige politische und gesellschaftliche Unterstützung sowie ein vorbildliches Sicherheitskonzept möglich war. Natürlich gratulieren wir den Finalisten: Spanien und England, insbesondere Spanien, dem Europameister. Wir dürfen weder die Olympischen Spiele, die vom 26. Juli bis 11. August 2024 in Paris stattfanden, noch die Paralympischen Spiele vom 28. August bis 8. September vergessen. Als Frauen und Männer des Friedens bedauern wir, dass zumindest in dieser Zeit in der Ukraine, im Nahen Osten und in anderen Teilen der Welt kein Waffenstillstand erklärt wurde.
Sehr geehrter Herr Bundeskanzler, im Namen der Mitglieder des Diplomatischen Corps danke ich Ihnen noch einmal für die Einladung zu diesem Treffen. Im Namen aller wünsche ich Ihnen und der Regierung viel Erfolg bei der Erfüllung der hehren und anspruchsvollen Staatsaufgaben, die zum Ziel haben, das Gemeinwohl aller Bürger Deutschlands zu fördern. Gleichzeitig sehe ich meine Rolle als Vermittler für alle Seiten und danke Ihnen für alles, was Sie und Ihre Regierung gemeinsam mit der Europäischen Union für den Weltfrieden, für eine menschenwürdige Bewältigung der Migrationsströme sowie für die ernste ökologische Herausforderung tun, mit der wir uns konfrontiert sehen. Durch Sie, Exzellenz, möchten wir uns auch an alle Bürger Deutschlands wenden. Sie alle mögen eine Fülle materieller und geistiger Güter erlangen und insbesondere den Segen des Allmächtigen empfangen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(1) Vgl. Guerre nel mondo. News giornaliere sulle Guerre nel mondo e sui Nuovi Stati, aktualisiert am 23. Mai 2024.
(2) Papst Franziskus, Enzyklika Laudato si', 1.