Grußwort von Nuntius Eterovic bei der Buchvorstellung "Alojzije Stepinac - Die Biographie" von Claudia Stahl
Kath. Akademie zu Berlin, 15. Oktober 2019
Buchvorstellung "Alojzije Stepinac – Die Biographie"
von Claudia Stahl
„In der Gestalt des neuen Seligen (Alojzije Kardinal Stepinac) findet sich gleichsam die ganze Tragödie zusammengefasst, die das kroatische Volk und die Völker Europas in diesem Jahrhundert erfasst hat, das von den drei großen Übeln des Faschismus, des Nationalismus und des Kommunismus geprägt ist. Er ist nunmehr in der Freude des Himmels und umgeben von all jenen, die wie er den guten Kampf gekämpft und im Schmelztiegel des Leidens ihren Glauben gestählt haben“. Mit diesen Worten hat der heilige Papst Johannes Paul II. das Leben von Alojzije Kardinal Stepinac (08. Mai 1898 bis 10. Februar 1960), des Erzbischofs von Zagreb, bei dessen Seligsprechung im Marienheiligtum von Marija Bistrica am 03. Oktober 1998 beschrieben.
Tatsächlich sind die großen Ideologien des 20. Jahrhunderts über Kroatien hereingebrochen, insbesondere, als am 06. April 1941 deutsche und italienische Truppen das Königreich Jugoslawien überfielen. Unter dem Schutz Deutschlands und Italiens wurde am 10. Mai 1941 auf kroatischem Gebiet der Unabhängige Staat Kroatien errichtet, der in den Domobrani eigene reguläre Streitkräfte zur Heimatverteidigung und in den Ustaše ein Sonderkommando hatte. Faschistische italienische Kräfte hielten weite Teile der kroatischen Küstengebiete und Ungarn die Region von Međimurje im Norden des Landes besetzt. Den erwähnten kroatischen Militärkräften stellt man die serbisch-nationalistischen Četniks entgegen. Sehr aktiv wurden in dieser Zeit auch die Partisanen unter Marschall Josip Broz - Tito (1892 bis 1980), die nicht nur gegen die Invasoren und die kroatischen und serbischen Nationalisten, sondern vor allem für ein neues Jugoslawien unter der Diktatur der jugoslawisch-kommunistischen Partei kämpften. Die derart massive Militärpräsenz mit häufigen Konflikten untereinander lässt die Komplexität der Situation erfassen, in welcher der Erzbischof von Zagreb Alojzije Stepinac seine pastorale Mission verfolgt hat.
Als guter Sohn der Katholischen Kirche wusste der Selige Alojzije Stepinac genau um die offizielle Position der Kirche zu den erwähnten totalitären Systemen und suchte sie umzusetzen. Mit drei Enzykliken hatte Papst Pius XI. die katholische Position zu allen drei totalitären Systemen erklärt und deren Lehren verurteilt, weil sie im Gegensatz zur Offenbarung Gottes stehen, die in der Heiligen Schrift abgeschlossen ist und in der lebendigen Tradition der Kirche erschlossen wird, sowie im Widerspruch zur menschlichen Vernunft stehen. Am 29. Juni 1931 lehnt Papst Pius XI. mit der Enzyklika in italienischer Sprache Non abbiamo bisogno (Wir haben keinen Bedarf) den Faschismus ab. Mit brennender Sorge ist die in deutscher Sprache veröffentlichte Enzyklika überschrieben, mit der am 14. März 1937 der Nationalsozialismus verdammt wird. Ebenso wird mit der Enzyklika Divini Redemptoris vom 19. März 1937 der Kommunismus geächtet.
Angesicht der schwerwiegenden Abweichungen der drei genannten Systeme von der Lehre der Kirche verkündet Erzbischof Alojzije Stepinac das christliche Menschenbild, eine christliche Sicht auf Gesellschaft und Nation. Hier ist seine Predigt an Studenten über die Beziehung einer katholischen Intelligenz zum eigenen Volk vom 27. März 1938 sehr interessant. Er verurteilt unter anderem den Rassismus und einen blinden Nationalismus: „Der moderne Rassismus beschimpft unter anderem die Kirche, weil sie nicht bereit ist, vor ihm die Knie zu beugen und ihn anzubeten.“ Nach Ansicht des Erzbischofs von Zagreb ist die Nation keineswegs die größte Wohltat für den Menschen, weil sie nicht imstande ist, alle seine Bedürfnisse zu befriedigen und ihn auf Erden selig zu machen. „Am Ende hören mit dem Tod auch alle rassischen Unterschiede auf. Beim göttlichen Gericht wird sich der Mensch nicht mit der Zugehörigkeit zu einem Volk oder einer Rasse rechtfertigen können, sondern mit einem ehrenhaften Leben und mit guten Werken.“ Daher wendet sich der Kardinal gegen einen verblendeten Nationalismus: „Wenn also die Liebe zur Nation die Grenzen der Vernunft übersteigt“ schreibt Erzbischof Alojzije Stepinac, „so hört die Liebe auf und wird zur Leidenschaft. Und diese Leidenschaft bringt weder Nutzen noch ist sie sinnvoll. Daher ruft die Kirche auch in der nationalen Frage die Regel in Erinnerung: Was du nicht willst, das man dir tu, das füge auch keinem anderen zu. Die Liebe zur eigenen Nation darf den Menschen nicht in ein wildes Tier verwandeln, das alles zerstört und auf Rache aus ist, sondern er muß edel auftreten, um die anderen Völker zur Wertschätzung und Liebe für sein Volk zu ermuntern. Daher steht die Liebe zum eigenen Volk nicht im Gegensatz zur Liebe gegenüber der ganzen Menschheit, sondern ergänzt sich. Alle Völker nämlich sind Kinder Gottes und wenden sich daher alle an Gott und rufen: Vater unser im Himmel.“
Die Katholische Kirche lehrt die Wahrheit und den goldenen Mittelweg – in medio stat virtus, in der Mitte steht die Tugend – und wendet sich strikt gegen jedweden Rassismus. Unter diesen Voraussetzungen erfolgt die Ermahnung an die christliche Jugend: „Ihr bringt eure Liebe zum kroatischen Volk niemals auf rechte und nützliche Weise zum Ausdruck, wenn ihr nicht der Lehre der Kirche folgt. Sie rät euch nämlich von den Extremen ab, welche im Volk nur eine Chimäre sehen, für die auch die heiligsten Rechte des Menschen und seiner Person zum Opfer fallen müssen. Andererseits aber lehrt euch die Kirche, daß es eine Sünde ist, gleichgültig seinem Volk gegenüber zu sein, wie es der zerstörerische und blutige Kommunismus lehrt. Die ethische und moralische Pflicht des Menschen ist, das eigene Volk zu lieben.“
Die verkündeten christlichen Prinzipien sind nicht rein abstrakte Theorie geblieben. Unter den schwierigen Bedingungen der Jahre vor dem 2. Weltkrieg schrieb der Erzbischof von Zagreb am 16. Dezember 1938 den Mitgliedern des Kathedralkapitels und forderte sie auf, sich an der Spendensammlung zugunsten der Juden zu beteiligen, die „aufgrund der ‚Rassengesetze‘ Deutschland und Österreich in großer Zahl verlassen müssen, ohne Finanzmittel und ohne zu wissen, wohin es gehen soll.“ Erzbischof Stepinac hat diese Geldsammlung ausgeweitet und am 11. Januar 1939 zahlreichen reichen Menschen in Kroatien mit einem Rundbrief angeschrieben. Darin heißt es unter anderem: „Aufgrund gewalttätiger und unmenschlicher Verfolgung mussten viele Menschen ihr Vaterland verlassen. Die Unglücklichen haben nicht nur ihre Heimat verloren, sondern bleiben ohne die nötigen Mittel zum Überleben. Sie streifen durch die ganze Welt, um einen Ort zu finden, der ihnen die Möglichkeit bietet, für sich selbst zu sorgen und eine neue Existenz aufzubauen. Eine große Anzahl dieser Menschen befindet sich aktuell in Jugoslawien. Viele davon mit ihren Frauen und Kindern. Ihr Elend ist groß und der Jammer unbeschreiblich.“ Nachdem er daran erinnerte, daß sich jeden Tag viele dieser Menschen an den Erzbischof von Zagreb wenden, um Hilfe zu erbitten, mahnt er: „Unsere christliche Pflicht fordert, ihnen zu helfen. Daher betrachte ich es als notwendig an, mich an die Menschen mit gutem Herzen und edler Gesinnung mit der Bitte zu wenden, diesen Menschen in Not zu helfen.“
Die Überlegungen des Seligen Alojzije Stepinac bleiben angesichts des neuerlichen Erwachens des Nationalismus und des Rassismus sehr aktuell, aber auch mit Blick auf neue und große Migrationswellen. Das ist nicht verwunderlich, denn Gott offenbart sich zu jeder Zeit durch seine treuen Zeugen, wie das Liebesgebot zu Ihm und dem Nächsten im konkreten Lebensvollzug, vor allem gegenüber den an Leib und Seele hilfsbedürftigen Brüdern und Schwestern, umzusetzen ist.
Während des Schauprozesses, den das jugoslawische kommunistische Regime gegen den Erzbischof von Zagreb inszenierte, hat er unter anderem gesagt: „Wenn die Bedingungen wieder geordneter und ruhiger werden, wenn alle Dokumente veröffentlicht werden können, wenn es möglich sein wird, in Frieden zu arbeiten und zu studieren, wenn alle Tatsachen ohne Einschränkung genannt werden können, ohne jede Angst, absolut frei im Licht der reinen Wahrheit und aus politischer und moralischer Sicht, so wird man keinen Menschen finden, der auf den Erzbischof von Zagreb mit dem Finger zeigen könnte.“
Ich bin Frau Claudia Stahl für ihren Beitrag und die wertvolle Forschungsarbeit sehr dankbar, womit sie die Wahrheit der Worte des Seligen Alojzije Stepinac aufgezeigt hat. Ebenfalls vielen Dank für das Studium der Originaldokumente, die größtenteils in kroatischer Sprache geschrieben sind, die sich die Autorin angeeignet hat. So erscheint die Persönlichkeit des Erzbischofs von Zagreb auch in der deutschen Übersetzung kraftvoll und in neuem Licht. Indem Kardinal Stepinac dem Beispiel Jesu Christi und Seines Evangeliums gefolgt ist, hat er in der Konfrontation mit den drei totalitären und antichristlichen Systemen des 20. Jahrhunderts ein heroisches Zeugnis abgelegt: gegen den Faschismus, den Nationalsozialismus und den Kommunismus. Mit den Worten des Heiligen Johannes Paul II. heißt das: „Mit seinem menschlichen und geistlichen Lebensweg hat der Selige Alojzije Stepinac seinem Volk eine Art Kompass geschenkt, mit dem es sich orientieren kann. Und das sind die Kardinalpunkte: der Glaube an Gott, Respekt vor dem Menschen, die Liebe zu allen, die ihn bis hin zur Vergebung drängte, die Einheit mit der Kirche, die vom Nachfolger Petri geführt wird.“