Interview zwischen Nuntius Eterovic und der Herder-Korrespondenz

(erschienen in der Ausgabe 11/2018)

„Herder Korrespondenz“: Herr Nuntius, die Deutschen reden gerade viel über den Begriff Heimat. Was bedeutet er für einen Vatikandiplomaten?

Nikola Eterović: Katholisch sein heißt für mich: Jeder hat seine Heimat. Aber er ist offen für mehr, offen für die Welt. Katholiken sind partikular und universal zugleich. Seit 1980 reise ich im Dienst des Heiligen Stuhls um die Welt. Ich habe überall gearbeitet, Afrika, Europa, Lateinamerika. Aber natürlich werde ich meine kroatischen Wurzeln immer behalten. Das Leben dort hat mich geprägt. Ich habe die ersten zwanzig Jahre meines Lebens dort verbracht, inklusive Militärdienst, das Land gehörte ja damals noch zum jugoslawischen Regime.

Wann waren Sie das letzte Mal dort?

Ich fahre regelmäßig nach Kroatien. Am liebsten im Sommer. Es tut mir gut, immer wieder zu meinem geistigen und physischen Urgrund zurückzukehren. Ich stamme ja von der Insel Brač. Mein Bruder und meine Schwester leben noch dort, bei ihnen habe ich gerade erst wieder die Sommerferien verbracht. Wunderschön, an der Adria, ideal für einen geruhsamen Urlaub. Mein Heimatdorf ist ganz klein, 1.700 Leute, jeder kennt sich dort, es ist fast wie in einer Familie. Ich kann dort jeden Tag die heilige Messe feiern. Und viel schwimmen.

Wenn Sie dann wieder nach Deutschland kommen, was nervt Sie dort am meisten?

Die föderale Struktur macht es mir nicht immer einfach. Als Nuntius kann ich mich nicht nur auf die Hauptstadt konzentrieren, sondern muss mich auch mit den verschiedenen Bundesländern auseinandersetzen. Außerdem ist Berlin für die katholische Kirche historisch gesehen keine besonders bedeutende Stadt. Das heißt, ich muss viel reisen, um den Kontakt zu allen deutschen Bistümern in allen Ländern zu halten. Aber sonst gefällt mir Berlin sehr gut. Die Menschen sind offen, und das katholische Leben hier ist zwar Diaspora, aber unglaublich vielseitig. Es speist sich aus vielen unterschiedlichen Nationen. Rund ein Viertel der Katholiken in Berlin ist nicht-deutscher Herkunft. Das macht das Glaubensleben hier dynamischer als anderswo.

Diplomaten pflegen eine höfliche, zurückhaltende, vorsichtige Sprache. Der Papst, den Sie in Deutschland zu vertreten haben, ist dagegen berühmt für seine drastische Ausdrucksweise. Gerade eben hat er wieder für Aufregung gesorgt, weil er Abtreibungen mit Auftragsmorden verglichen hat. Wie kommen Sie mit solchen Sprachbildern klar?

Jeder hat seinen eigenen Stil. Papst Franziskus spricht wie ein Prophet. Schauen Sie mal in der Bibel nach, wie viele Propheten im Alten Testament auch eine harte, eine krasse Sprache gewählt haben, und wie viel Wut sie damit auf sich zogen, auch aus ihrem eigenen Volk. Trotzdem haben sie ihren Stil nicht verändert. Weil sie damit die Menschen aufrütteln und zur Umkehr rufen wollten. So muss man auch die Metaphern des Papstes verstehen. Ich habe damit kein Problem.

Sie sind vor fünf Jahren nach Berlin gekommen, im November 2013. Wenn Papst Franziskus Sie demnächst wieder fragt, wie es der Kirche in Deutschland geht, was sagen Sie ihm?

Dass es ihr gut geht, aber dass sie auch Probleme hat. Positiv ist, wie gut sie strukturiert und organisiert ist. Wie großzügig sie ist – die Katholiken in Deutschland geben jedes Jahr Hunderte von Millionen von Euro aus für die Kirchen in anderen Ländern, für die Armen, für die ganze Welt. Und wie sie den ökumenischen Dialog mit den Protestanten führt, das habe ich beim Lutherjubiläum selbst erfahren. Aber all die Strukturen der deutschen Bistümer haben auch eine Schattenseite. Manchem Krankenhaus, manchem Kindergarten, mancher katholischen Institution droht die kirchliche Identität abhanden zu kommen, einfach weil die Mitarbeiter dort oft gar keinen Kirchenbezug mehr haben. Und soziologisch betrachtet schreitet in Deutschland der Prozess der Säkularisierung voran: Die Kirchenaustrittswelle ließ sich bisher nicht stoppen, was übrigens die protestantischen Kirchen leider auch so erleben. So reich die Kirche in Deutschland finanziell gesehen sein mag, irgendetwas fehlt ihr offensichtlich.

Was?

Der Glaube. Das ist das Kernproblem in allen säkularisierten Ländern. In Deutschland gehen weniger als zehn Prozent der Katholiken regelmäßig zur heiligen Messe. Es gibt auch immer wenige Berufungen zum Priester- oder Ordensleben. Viele deutsche Christen leben ihren Alltag nicht mehr mit Gott. Dabei hat es ohne Gott ja gar keinen Sinn, Christ zu sein. Alle kirchlichen Strukturen, alle Bemühungen der Evangelisierung müssen deshalb die Gottesfrage wieder stärker in den Mittelpunkt stellen.

Würden Sie dem Papst auch erzählen, wie schlecht das Image der Kirche derzeit in Deutschland ist?

Nein, weil ich das gar nicht glaube. Das ist eher eine partielle Wahrnehmung. Die Massenmedien konzentrieren sich zu sehr auf die negativen Dinge in der Kirche, die ja leider auch existieren, wie etwa der sexuelle Missbrauch. Aber es passiert auch so viel Gutes. Ich glaube, die Menschen vor Ort haben ein viel positiveres Bild von der Kirche, als das gemeinhin angenommen wird, dank ihrer persönlichen Erfahrungen im Gemeindeleben. Darüber berichtet nur niemand.

Im Moment machen die Katholiken vor allem die Erfahrung, dass ihre Kirche das Thema Missbrauch nicht bewältigt. Zwar haben die Bischöfe ihre große Missbrauchsstudie vorgestellt. Aber konkrete Reformen, die daraus folgen könnten, streben sie nicht an. Warum nicht?

Die Deutsche Bischofskonferenz hat ja schon reagiert. Sie hat 2010 ihre Normen für den Umgang mit Missbrauchsfällen erlassen, für mehr Transparenz und ein schnelleres, entschlosseneres Vorgehen, auch mit Blick auf eine mögliche Strafverfolgung. Mir ist aber wichtig, dass wir vor lauter Debatten um Konsequenzen nicht die eine Urlösung des gesamten Problemkomplexes aus dem Blick verlieren: Alle Mitglieder der Kirche, wir alle, müssen umkehren. Laien, Priester, Ordensleute, Bischöfe und der Papst, wir alle sind zu Heiligen berufen. Das hat das Zweite Vatikanische Konzil deutlich unterstrichen. Wenn wir einfach alle in puncto Heiligkeit miteinander wetteifern, wird das Problem von selbst verschwinden. Heilige nämlich missbrauchen niemanden.

Das heißt, die Kirche braucht nichts anderes zu tun als zu hoffen, dass möglichst schnell alle Kleriker heilig werden?

Natürlich müssen wir auch Prävention betreiben, aber das macht die katholische Kirche in Deutschland ja schon. Es gibt die klaren Normen von 2010. Das war der Wendepunkt. Bei der Herbstvollversammlung der deutschen Bischofskonferenz 2018 wurden sechs Punkte erarbeitet, wie man Missbrauch angemessen begegnen kann. Jetzt müssen sich die Menschen reformieren. Es reicht nicht aus, über Strukturreformen zu reden, wenn wir es nicht schaffen, die Menschen zu verändern.

Die deutschen Bischöfe sprechen beim Thema Missbrauch immer von tiefer Scham, von der großen Schuld der Kirche und so weiter. Aber persönliche Konsequenzen hat bisher keiner von ihnen gezogen. Warum sagt nach diesem gewaltigen kollektiven Versagen nicht mal ein einziger: Das war zu viel, ich setze ein Zeichen und trete zurück?

Das müssten Sie die Bischöfe fragen. Ich glaube aber, dass die aktuellen deutschen Bischöfe ja nicht persönlich verantwortlich sind für die Verbrechen vergangener Jahrzehnte. Zumindest sehe ich nicht, dass sie in jüngerer Zeit so schwere Fehler gemacht hätten, dass ein Rücktritt gerechtfertigt wäre.

Die Missbrauchsstudie hat die Frage aufgeworfen, ob in der Kirche möglicherweise Strukturen bestehen, die sexuellen Missbrauch begünstigen. Welche könnten das sein?

Schauen Sie, es gibt auch viele andere Studien zum Missbrauch. Die zeigen, dass sich sexueller Missbrauch am häufigsten in der Familie ereignet, nicht etwa in der Kirche.

Kinder haben ja auch viel mehr Berührungspunkte mit ihrer Familie als mit der Kirche. Nicht jedes Kind hat Kontakt zur Kirche. Aber jedes Kind hat eine Familie.

Mag sein, aber klar ist doch: So lange Menschen Böses tun, so lange sie ihrem Auftrag zur Heiligkeit nicht nachkommen, so lange wird es Missbrauch geben – ob nun in der Familie, in der Kirche oder sonst wo.

Brauchen wir eine Debatte über den Zölibat?

Der Zölibat ist kein Tabu. Es gibt schon jetzt verheiratete Priester in der Kirche. Ich war Nuntius in der Ukraine, dort kannte ich viele griechisch-katholische Geistliche, die verheiratet waren. Das gibt es auch in anderen Ländern, auch in der lateinischen Tradition, zum Beispiel bei anglikanischen verheirateten Pastoren, die zum Katholizismus übergetreten sind, die leben ja auch weiter mit ihren Frauen zusammen. Mit dem Zölibat sind fraglos viele Probleme verbunden. Aber mit dem Verheiratetsein von Priestern sind andere Probleme verbunden. Es gibt keine Patentlösung in dieser Frage. Wir müssen einfach darüber diskutieren, was das Beste für die Kirche ist.

Was wäre das aus Ihrer Sicht?

Ich würde mir wünschen, dass der Zölibat bleibt. Er hat nicht nur eine lange Tradition, er hat auch eine tiefe Spiritualität und entspricht am besten dem Ideal Jesu Christi, der auch zölibatär lebte.

Die Missbrauchsstudie kritisiert den Umgang der Kirche mit Homosexualität. Was muss sich da ändern?

Die Position der Kirche zu dem Thema findet sich im Katechismus der Katholischen Kirche. Der lehrt klar, dass auch Homosexuelle selbstverständlich Mitglieder der Kirche sind, dass es aber keine Segnungen für homosexuelle Paare geben kann. Der Katechismus bleibt in dieser Frage sehr aktuell.

Die Kirche nennt Homosexualität Sünde. Der Katechismus bezeichnet homosexuelle Handlungen als „schlimme Abirrung“, die „in keinem Fall zu billigen“ sei. Bleibt das auch aktuell?

Der Katechismus sagt auch, dass diesen Personen mit Achtung, Mitleid und Takt zu begegnen ist, ohne irgend eine Weise der Diskrimination. Der Katechismus bestätigt auch, dass der Tatbestand einer Todsünde als solche eine schwerwiegende Materie voraussetzt und dass sie mit vollem Bewußtsein und bedachter Zustimmung begangen wird. Da gibt es keinen Automatismus.

Der Fall des deutschen Jesuitenpaters Ansgar Wucherpfennig hat international Aufmerksamkeit erregt. Der Vatikan lässt Wucherpfennig auf sein „Nihil Obstat“ warten, weil der in einem Interview einen offeneren Umgang der Kirche mit Homosexuellen befürwortet hat. Wie passt dieser Vorgang zum Programm von Papst Franziskus, in der Kirche eine neue Stimmung der Offenheit, der Streitkultur, der Synodalität zu schaffen?

Ich sehe da keinen Widerspruch. Synodalität bedeutet übersetzt: zusammen gehen. Einerseits heißt das, dass in der Kirche niemand stehen bleiben soll. Es darf aber auch niemand zu schnell voranpreschen. Synodalität orientiert sich immer an der Gemeinschaft. Das schließt die Möglichkeit brüderlicher Korrekturen ein. In Deutschland sind solche Fälle natürlich sehr sensibel, weil die Deutschen ein besonderes Freiheitsgefühl haben. Aber es ist nun einmal so, dass ein theologischer Hochschullehrer eines katholischen Instituts oder einer katholischen Fakultät im Namen der Kirche lehrt. Also ist er auch dazu aufgerufen, die Lehre der Kirche zu vertreten. Er darf sie erläutern. Er darf sie vertiefen. Aber er darf nicht gegen sie verstoßen.

Verstößt Pater Wucherpfennigs Interview gegen die Lehre der Kirche?

Ich habe es nicht gelesen.

Die ganze Kirche in Deutschland spricht darüber, und Sie haben es gar nicht gelesen?

Die Apostolische Nuntiatur ist ja nicht involviert. Das ist eine Angelegenheit zwischen der Römischen Kurie und der Generalkurie der Jesuiten.

Ich kann es Ihnen vorlesen.

Die Grundideen sind mir bekannt.

Wucherpfennigs These ist, dass es sich bei der Annahme, die Bibel verbiete Homosexualität, möglicherweise um eine Fehlinterpretation handelt. Man könne die einschlägigen Stellen auch anders auslegen.

Diese These ist seine persönliche Meinung. Hochschullehrer brauchen aber eine katholische Meinung. Denn um in einer katholischen Einrichtung lehren zu können, brauchen Professoren das nihil obstat. Das bedeutet, sie sind gefordert, die akademische Wissenschaft mit der Lehre der Katholischen Kirche zu vereinbaren. Sie müssen sich danach richten, was die Kirchenlehre sagt, und die ist zum Beispiel nachzulesen im Katechismus.

Synodalität ist ein Führungsprinzip der Kirche, das Papst Franziskus besonders am Herzen liegt. Das hat man gerade wieder auf der Jugendsynode in Rom gesehen. Sie selbst waren vor Ihrer Zeit in Deutschland für die Organisation der Bischofssynoden zuständig. Was ist an Synodalität eigentlich so wichtig?

Es ist eine wesentliche Form der katholischen Kirche, die es immer gegeben hat. Zuletzt hat das Zweite Vatikanische Konzil ihre Bedeutung hervorgehoben. Die wichtigste Rolle in der Universalkirche hat natürlich der Papst. Aber nicht nur Franziskus, auch schon seine Vorgänger wollten ihr Amt stärker auf dem synodalen Weg ausfüllen. Sie wollten von den Impulsen der Gesamtkirche profitieren und den Dialog auf allen Ebenen der Kirche fördern.

Kennen Sie die deutsche Redewendung „Außer Spesen nichts gewesen“?

Bisher nicht, aber ich kann mir denken, was sie bedeutet.

Trifft dieser Satz auf die Bischofssynoden im Vatikan zu? Da kommen viele hundert Bischöfe mit ihren Adjutanten zusammen, verbringen einige Wochen in Rom, schichten dabei riesige Textbausteine zu einem gewaltigen Abschlussdokument auf – und am Ende bleibt in der Kirche alles wie immer.

Das ist mir zu pessimistisch beschrieben. Der Austausch der Bischöfe ist von großer Bedeutung, und auch die Abschlussdokumente, die dabei erarbeitet werden, sind sehr wichtig für die Katholiken. Es sind reiche Texte – ich erinnere mich zum Beispiel an das Abschlussdokument der Bischofssynode von 2008 über das Wort Gottes. Solche Texte bleiben. Man muss sie halt nur aktiv nutzen und annehmen.

Sie haben auch ein Buch über Synodalität geschrieben. Darin unterscheiden Sie zwischen „Vielfalt“ und „Pluralität“ in der Kirche. Das eine ist gut, das andere nicht. Dazu zitieren Sie die II. außerordentliche Generalversammlung der Bischofssynode: „Wenn die Vielfalt wahrer Reichtum ist und mit sich die Fülle führt, ist dies wahre Katholizität. Dagegen führt der Pluralismus fundamental gegensätzlicher Positionen zur Auflösung, Zerstörung und Verlust der Identität.“ Was haben wir jetzt gerade in der Kirche, Vielfalt oder Pluralität?

Pluralität meint: Es gibt Parteien, die miteinander streiten, und zwar so heftig, dass die Einheit gefährdet ist. Ich hoffe nicht, dass wir das gerade erleben.

In der Kirche tobt ein offener Streit. Kardinäle beschimpfen sich gegenseitig in Interviews oder begehren sogar öffentlich gegen den Papst auf. Ist das der Preis, den man für Synodalität zu zahlen hat? Dass die Fliehkräfte zunehmen?

Der Papst will sein Amt auf synodale Weise ausüben. Er will keine stille Kirche, keine Kirche der Friedhofsruhe. Gerade die jungen Leute bittet er immer wieder, Krach zu machen, Unruhe zu stiften, dynamisch zu sein. Aber natürlich möchte er nicht, dass dabei die Grenzen des Respekts überschritten werden. Dass es in der Kirche gerade hin und wieder zu extremen Äußerungen kommt, ist bedauerlich, aber das ist eben die menschliche Dimension von Kirche. Wir wissen, dass wir alle Sünder sind. Das ändert nichts daran, dass wir mehr Dialog brauchen, mehr Vermittlung zwischen den gegensätzlichen Standpunkten. Dafür ist die Bischofssynode ein idealer Ort. Dort können wir alles besprechen, auch kritisch. Am Ende wird die Gemeinschaft dadurch nicht geschwächt, sondern gestärkt.

Eine Synode hat in der Regel keine Entscheidungsgewalt. Sie weisen aber in Ihrem Buch darauf hin, dass der Papst ihr theoretisch solche Kompetenz übertragen könnte. Das Kirchenrecht würde das erlauben. Warum macht Franziskus das nicht?

Weil das nicht einfach ist. In einer Synode haben Sie in der Regel weniger als 300 Bischöfe als Teilnehmer. Die repräsentieren zwar den gesamten weltweiten Episkopat, der mehr als 5.000 Mitglieder umfasst, aber diese Repräsentation ist eher symbolischer Natur, anders als auf einem Konzil, wo wirklich der gesamte Episkopat physisch anwesend ist. Auf der Jugendsynode in Rom zum Beispiel waren vier deutsche Bischöfe. Es gibt aber 70 deutsche Bischöfe. Das heißt, die deutsche Synodendelegation repräsentiert nicht im juridischen Sinn den gesamten deutschen Episkopat. Selbst wenn die deutsche Bischofskonferenz eine Delegation wählen würde, könnte diese Delegation unmöglich alle Einzelmeinungen aller deutschen Bischöfe auf einer Synode vertreten. Das ginge nur, wenn eine Bischofssynode wirklich zu einer ganz konkreten, klar beschränkten Frage eine Entscheidung fällen müsste, Ja oder Nein. Eine nationale Bischofskonferenz könnte dann ihre Delegation damit beauftragen, zu dieser speziellen Frage Ja oder Nein zu sagen. Aber selbst das bliebe problematisch, denn bei so einer Synode gäbe es ja auch lange Diskussionen, mit Vertretern aus allen anderen Gegenden der Welt. Diese Diskussionen könnten dazu führen, dass die deutsche Delegation das Thema plötzlich in einem ganz neuen Licht sieht und seine Meinung gerne ändern würde. Dann würden sie aber ihre Repräsentationspflichten verletzen. Kurz gesagt: In der Praxis ist eine Bischofssynode mit Entscheidungsgewalt schwer vorstellbar. Aber das ist auch gar nicht die Idee dieser Art von Versammlung. Die Synodenväter sollen nichts entscheiden, sondern dem Papst helfen, sich eine Meinung zu bilden. Nicht mehr und nicht weniger.

Kann es auch Synodenmütter geben? Frauen als stimmberechtigte Synodenteilnehmerinnen?

Für Bischofssynoden ist das nicht möglich, denn die sind getragen von der Kollegialität der Bischöfe, und Bischöfe sind bekanntlich Männer. Aber sie vertreten die gesamte Kirche: Laien, Priester und Ordensleute, Frauen und Männer. Außerdem werden ja durchaus Laien zu den Synoden eingeladen, Männer und Frauen, als Fachleute oder Auditoren. So haben auch auf der Jugendsynode viele junge Menschen über ihre Erwartungen, Schwierigkeiten und Hoffnungen gesprochen. Nur mit abstimmen können sie nicht. Eine Synode, auf der Laien das könnten, wäre eine andere Veranstaltung. Eine Synode des Volkes Gottes vielleicht. Aber keine Bischofssynode.

Als Nuntius obliegen Ihnen die Verfahren zur Ernennung neuer Bischöfe in Deutschland. Könnte man an dieser Auswahl die Laien stärker beteiligen, im Sinne einer synodalen Kirche?

Laien sind seit Langem ein fester Teil des Prozesses, wie er in Deutschland üblich ist: Im Zuge des sogenannten Informationsverfahrens, in dem mögliche Bischofskandidaten gesucht werden, dürfen auch Laien Vorschläge machen, dem jeweiligen Domkapitel vor Ort oder auch mir als Nuntius. Dieser Einfluss wird derzeit tatsächlich ausgebaut im Sinne des synodalen Wegs. Als nach dem Tod von Kardinal Joachim Meisner der Kölner Bischofsstuhl vakant war, hat das Domkapitel mit Einverständnis der Nuntiatur und des Heiligen Stuhls eine Konsultation veranstaltet: Rund dreihundert Laien und Priester, Frauen und Männer wurden gebeten, schriftlich mögliche Charakteristika des künftigen Erzbischofs zu definieren und auch Kandidaten vorzuschlagen. Aus dieser Konsultation hat das Domkapitel eine Dreierliste destilliert und an die Nuntiatur geschickt.

Und wie viel Gewicht hat ein solches Laienvotum für Ihr weiteres Verfahren?

Es ist natürlich nicht das einzige Kriterium für einen künftigen Bischof, ob er bei den Laien des zu besetzenden Bistums beliebt ist. Aber es trägt schon zum Gesamteindruck bei: Gute Kandidaten zeichnen sich dadurch aus, dass man von allen Seiten Gutes über sie hört. Sowohl von offizieller Seite als auch von nicht-offizieller.

Sie sind die Schlüsselfigur in all diesen Verfahren. Jeder Priester mit Karriereambitionen, den Sie hier in Deutschland treffen, weiß, wie wichtig Sie sind. Wie ist das für Sie, mit lauter Leuten zu tun zu haben, die von Ihrem Wohlwollen abhängig sind?

So denke ich nicht. Ich möchte mit allen Priestern einen normalen, guten Kontakt haben, und das ist auch gar nicht schwierig. Ich bin nicht etwa von lauter unterwürfigen Ja-Sagern umgeben – so etwas gibt es in Deutschland gar nicht, die Deutschen sind immer kritisch, was mir sehr sympathisch ist. Außerdem haben wir 27 Diözesen, und bis auf Fulda ist jedes Bistum besetzt. Das heißt, wir haben jetzt keine permanente Suche nach neuen Bischöfen, so dass sich das Problem gar nicht ergibt. Die Anzahl potenzieller Bischofskandidaten ist ohnehin sehr klein, und ob von denen überhaupt jeder gerne Bischof werden würde, angesichts all der aktuellen Herausforderungen, ist noch mal eine andere Frage.

Sie haben in den vergangenen fünf Jahren eine ganze Reihe Bischofsstühle besetzt. Burger in Freiburg, Oster in Passau, Heße in Hamburg, Bätzing in Limburg, Kohlgraf in Mainz, Wilmer in Hildesheim, Jung in Würzburg (Kardinal Woelki in Köln, Bischof Koch in Berlin, Bischof Dieser in Aachen, Bischof Neymeyr in Erfurt, Bischof Timmerevers in Dresden). Was haben die alle gemeinsam, außer, dass sie alle unter 60 sind und aus Westdeutschland stammen? Welche Eigenschaften muss man mitbringen, um unter Papst Franziskus ein heißer Bischofskandidat in Deutschland zu sein?

Sie alle sind gute Gläubige, engagiert im ewigen Bemühen, heilig zu werden. Sie verfügen über viel pastorale Erfahrung. Papst Franziskus ist es sehr wichtig, dass Bischöfe einen guten Kontakt zu den Menschen pflegen können. Und dass sie sozial denken, dass sie ein Herz haben für die Armen und Ausgegrenzten, für Flüchtlinge, für die Letzten.

In Ostdeutschland wechseln die Bischöfe rasch. Heiner Koch, Konrad Zdarsa und Rainer Maria Woelki verließen Dresden, Görlitz und Berlin jeweils schon nach wenigen Jahren wieder. Magdeburgs Bischof Gerhard Feige hat deshalb kritisiert, ostdeutsche Bistümer seien offenbar so etwas wie ein „Verschiebebahnhof“ oder eine „Praktikumsstelle“ zur Qualifizierung für „höhere Ämter“. Warum ist das so?

Grundsätzlich gilt: Ein Bischof bleibt in seiner Diözese. Aber der Heilige Stuhl sucht immer nach der besten Lösung für eine neu zu besetzende Diözese. Die Versetzung eines Bischofs in eine andere Diözese sollte aber die Ausnahme von der Regel sein.

Wird sich Franziskus eines Tages noch einmal persönlich ein Bild machen von der Kirche in Deutschland?

Dem Papst liegt Deutschland sehr am Herzen. Er hat ja hier studiert und verbindet viele schöne Erinnerungen an das Land. Aber es gibt derzeit keine entsprechenden Reisepläne. Es ist bekannt, dass Franziskus gerne die Peripherie besucht. Und Deutschland ist nicht Peripherie.



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