Predigt des Apostolischen Nuntius am 2. Advent
(Jes 40,1-5.9-11; Ps 85; 2 Petr 3,8-14; Mk 1,1-8)
Berlin, 10. Dezember 2017
„Anfang des Evangeliums von Jesus Christus, Gottes Sohn" (Mk 1,1).
Liebe Brüder und Schwestern!
Die ersten Worte des Markusevangeliums sind sehr bedeutsam. Das Wort Anfang (ἀρχή) erinnert uns an die Genesis, das erste Buch der Bibel, das ebenfalls mit den Worten beginnt: „Im Anfang erschuf Gott Himmel und Erde“ (Gen 1,1). Der Evangelist Markus ist sich der Bedeutung des Ereignisses von Jesus Christus bewußt. Mit ihm beginnt eine neue Epoche, das Neue Testament, in dem sich die in den Büchern des Alten Testamentes enthaltenen Verheißungen erfüllen. Das Evangelium (εὐαγγέλιον), das ist die Gute und Schöne Nachricht, bezieht sich auf „Jesus Christus, Gottes Sohn“ (Mk 1,1). Jesus von Nazareth, der Gesalbte Gottes, der erwartete Messias ist zugleich der Sohn Gottes und der Menschensohn. In dieser Zeit des Advents erwarten wir sein Kommen. Die christliche Erwartung hat einen dreifachen Inhalt (I), den wir mit Freude (II) und wachsam (III) leben.
1. Der Advent ist eine Zeit der Erwartung.
Aus den Texten der Heiligen Schrift wissen wir, daß es drei verschiedene Weisen der Erwartung unseres Herrn Jesus Christus gibt. In der Zeit des Adventes ist es gut, daran noch einmal zu erinnern. Im Advent erwarten wir das Hochfest der geschichtlichen Geburt Jesu Christi in Bethlehem. Wir erwarten die Verwirklichung der Prophetie von Johannes dem Täufer: „Nach mir kommt einer, der ist stärker als ich; ich bin es nicht wert, mich zu bücken und ihm die Riemen der Sandalen zu lösen“ (Mk 1,7). Die zweite Erwartungshaltung bezieht sich auf das Kommen des Herrn Jesus in seiner Herrlichkeit am Ende der Menschheitsgeschichte. In diesen Wochen des Endes und des Anfangs des liturgischen Jahres haben wir oft die Schilderungen des Menschensohnes gelesen und gehört, der kommen wird, zu richten die Lebenden und die Toten. Der Heilige Matthäus beschreibt zum Beispiel das Universalgericht mit den Worten: „Wenn der Menschensohn in seiner Herrlichkeit kommt und alle Engel mit ihm, dann wird er sich auf den Thron seiner Herrlichkeit setzen“ (Mt 25,31). Die dritte Haltung des Wartens betrifft jeden von uns. Es handelt sich um die persönliche Begegnung mit dem Herrn, der kommt. Er selbst sagt: „Siehe, ich stehe vor der Tür und klopfe an. Wenn einer meine Stimme hört und die Tür öffnet, bei dem werde ich eintreten und Mahl mit ihm halten und er mit mir“ (Offb 3,20). Das Wort Gottes bezieht sich in besonderer Weise auf die Eucharistie, der sakramentalen Begegnung des Gläubigen mit seinem Herrn und Heiland. Denn der Name Jesus, ישוע Jeschua, bedeutet: Der Herr rettet.
2. Der Advent ist eine Zeit der freudigen Erwartung.
Die erste Lesung aus dem Buch des Propheten Jesaja beschreibt die Freude, mit der sich das jüdische Volk vorbereitet, von der Knechtschaft Babylons loszukommen und in das verheißene Land zurückzukehren. Die Worte des Propheten Jesaja erfüllen uns vor allem in dieser Zeit des Advents mit Freude, weil auch wir in gewisser Weise die Erfahrung machen, unter der Knechtschaft der Sünde und des Egoismus zu leben, wovon wir uns befreien müssen, um in der Freiheit der Kinder Gottes leben zu können. Der Prophet übermittelt den Juden folgende Worte von Gott: „Tröstet, tröstet mein Volk, spricht euer Gott“ (Jes 40,1). Grund der Freude ist das Ende der Sklaverei und die Rückkehr in die Heimat. Das Volk soll sich auch spirituell auf dieses große Ereignis vorbereiten, das einem neuen Exodus vergleichbar ist. Daher fordert der Prophet dazu auf: „In der Wüste bahnt den Weg des Herrn, ebnet in der Steppe eine Straße für unseren Gott! Jedes Tal soll sich heben, jeder Berg und Hügel sich senken. Was krumm ist, soll gerade werden, und was hüglig ist, werde eben“ (Jes 40,3-4). Auch Johannes der Täufer, der als „Stimme eines Rufers in der Wüste“ vorgestellt wird (Mk 1,3), wiederholt im Evangelium die Aufforderung des Propheten Jesaja: „Bereitet den Weg des Herrn! Macht gerade seine Straßen!“ (Mk 1,3). Die Freude über die Befreiung und die Rückkehr erleichtert die Umkehr der Menschen, welche die äußeren und inneren Hindernisse auf dem Weg zu Gott beseitigen müssen, der kommen will, ihnen zu begegnen. Sie müssen die Täler auffüllen, die durch deren Versäumnisse entstanden sind, und die Berge und Hügel ihres Egoismus abtragen. Dieser Prozess der Umkehr reinigt das Herz des Menschen und erfüllt es mit Freude. Die Wurzel der Freude ist der Herr, der kommt und den wir mit Freude erwarten.
3. Der Advent ist eine Zeit wachsamer Erwartung.
Der Heilige Petrus mahnt uns: „Der Tag des Herrn wird aber kommen wie ein Dieb“ (2 Petr 3,10). Die offensichtliche Verzögerung seines Kommens nimmt der Apostel zum Anlass darzulegen, daß das Verständnis Gottes von der Zeit von dem unseren unterschieden ist und somit, „dass beim Herrn ein Tag wie tausend Jahre und tausend Jahre wie ein Tag sind“ (2 Petr 3,8).
Darüber hinaus sieht er in dieser Verzögerung einen Ausdruck seiner Geduld und Güte. Gott will nämlich nicht, „dass jemand zugrunde geht, sondern dass alle zur Umkehr gelangen“ (1 Petr 3,9). Auch Jesus mahnt uns zur Wachsamkeit: „Gebt Acht und bleibt wach! Denn ihr wisst nicht, wann die Zeit da ist“ (Mk 13,33). Die Wachsamkeit sollte eine christliche Existenz formen: „Wie heilig und fromm müsst ihr dann leben, die Ankunft des Tages Gottes erwarten und beschleunigen“ (1 Petr 3,11-12). Daher fordert der Apostel die wachsamen Christen auf: „Bemüht euch darum, von ihm ohne Makel und Fehler in Frieden angetroffen zu werden“ (2 Petr 3,14).
Liebe Brüder und Schwestern, öffnen wir unser Herz dem Wort Gottes, das zur freudigen und wachsamen Erwartung auf das Kommen Jesu Christi in der Heiligen Nacht einlädt. Vertrauen wir unsere guten Vorsätze der Fürsprache der seligen Jungfrau Maria an, der Mutter in Erwartung, damit wir ihrem Beispiel folgen können und unsere Herzen und unsere Gemeinschaft auf das Kommen des Herrn Jesus vorbereiten. Über dessen Kommen in der Geschichte und der persönlichen Begegnung, besonders in der Eucharistie, erweitern wir unseren Horizont auf sein Kommen in Herrlichkeit durch die Teilnahme am Dialog zwischen der Kirche und ihrem Bräutigam. Die Kirche ruft: „Komm, Herr Jesus“ (Offb 22,20), worauf Jesus antwortet: „Siehe, ich komme bald“ (Offb 22,12). Amen.