Predigt des Nuntius in der Schlussandacht zur 95. Wallfahrt der Eichsfelder nach Bochum-Stiepel

(Joh 19,25-27)

„Siehe dein Sohn …. siehe deine Mutter.“ (Joh 19,26.27)

 

Liebe Brüder und Schwestern!

Bevor wir wieder zurückkehren in das alltägliche Leben, haben wir uns zum Abschluss dieser 95. Wallfahrt der Eichsfelder in der Fremde versammelt, um Dank für die geistlichen Erfahrungen dieses Tages zu sagen und um den Segen zu bitten, die Gnade dieses Sonntags in den oft wunderlosen Alltag mitzunehmen, damit wir dort, wo wir leben und arbeiten eifrige Missionare Jesu Christi und glaubwürdige Zeugen für Seine Frohe Botschaft werden. Hierzu ermuntert uns der Heilige Vater Franziskus immer wieder, denn nur so können wir in der Welt und der Gesellschaft von heute so etwas werden wie „das Licht der Welt und das Salz der Erde“ (Mt 5,13.14). In der Kraft des Heiligen Geistes vermögen wir als Kinder Gottes die Freudenboten unseres Herrn Jesus sein.

Wir wissen allerdings, daß wir von uns aus nur sehr wenig vermögen. Oft suchen wir die Quellen, die unseren Durst nach einem kraftvollem Glauben, stärkerer Hoffnung und glühender Liebe stillen kann. Wie oft überwältigen uns die Zweifel angesichts einer Welt, die auf die materiellen Bedürfnisse und individuellen Sehnsüchte fixiert ist und keine Sehnsucht mehr spürt nach dem Ewigen, dem Heil? Schon die Propheten haben vor den rissigen Zisternen gewarnt, die das Wasser nicht halten (vgl. Jer 2,13) und verkündet, daß nur Gott vermag, uns zum „Ruheplatz am Wasser“ (Ps 23,2) zu führen. „Ihr werdet Wasser freudig schöpfen aus den Quellen des Heils“ (Jes 12,3).

Eine dieser Quellen ist hier in Bochum-Stiepel, wo wir rasten und ausruhen können, wo wir voll Vertrauen auf die Mutter Jesu schauen, die selige Jungfrau Maria, die als Mater dolorosa auch all unsere Traurigkeit und Erschöpfung kennt. „Alles möcht ich Dir erzählen, alle Sorgen, die mich quälen, alle Zweifel, alle Fragen, möchte ich Mutter, zu Dir tragen“ heißt es in einem der Gebete zur Gottesmutter. Sie, die als Pieta den toten Christus im Schoß hält, trägt auch uns, jeden einzelnen, weil wir zum Herrn gehören, Kirche sind.

Maria gehört zu den wenigen, die dem Herrn Jesus bis zum Kreuz gefolgt sind und darunter ausharren. Der Lieblingsjünger ist dabei, der Heilige Johannes, sonst niemand von den Aposteln. Die Mutter Jesu finden wir im Evangelium bei allen entscheidenden Stationen des irdischen Lebens des göttlichen Logos. Sie ist die gehorsame und treue Begleiterin des Heilswillen Gottes, zu dem sie in jener Stunde in Nazareth ja gesagt hat, als der Engel ihr sagte, sie solle einen Sohn zu empfangen. dem sie den Namen Jesus geben solle (vgl. Lk 1,31). Ihre Antwort ist so schlicht wie bedeutsam: „Siehe, ich bin die Magd des Herrn; mir geschehe, wie du es gesagt hast“ (Lk 1,38). Ihr Ja zum Heilswillen Gottes ist heute ihr Ja zu meinem Heil.

Der Mutter Jesu gilt die letzte Aufmerksamkeit des gekreuzigten Heilandes. Bevor er stirbt, sorgt er sich um sie und vertraut sie dem Heiligen Johannes an, der von nun an ihr Sohn ist: „Siehe dein Sohn“ (Joh 19,26). Die Beziehung von Mutter und Sohn ist eine wechselseitige und eine, die erst mit dem Tod endet und in einer anderen Dimension lebendig bleibt, nämlich in der Gemeinschaft der Heiligen. Man wird und bleibt Zeit des Lebens Mutter oder Sohn. Wenn Maria den Johannes zum Sohn erhält, so ist konsequent, daß er sie zur Mutter bekommt: „Siehe deine Mutter“ (Joh 19,27).

Diese irdische Dimension, die jeder Mensch guten Willens zu verstehen vermag, erhält mit den Augen des Glaubens eine noch tiefere Bedeutung. „Von jener Stunde an nahm sie der Jünger zu sich“ (Joh 19,27). Für uns Christen ist „jene Stunde“ eine, die über die Zeiten fortdauert, die auch jetzt noch ist. Es ist die Stunde der Kirche, die auf dem Fundament der Apostel – und somit auch auf den Heiligen Apostel Johannes – errichtet ist. Die Kirche ist der mystische Leib Christi und Christus selbst ist ihr Haupt (vgl. Kol 1,18). In dieser mystischen Dimension trägt die Pieta auch die Kirche, deren Mutter sie in „jener Stunde“ geworden ist, als der Herr sie dem Johannes zur Mutter gegeben hat. Sie wurde unsere Mutter, an die wir uns heute wenden und rufen: „Mutter, Dir, vom guten Rat,
leg ich alles in die Hände, Du führst es zum rechten Ende“. Amen

 

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