Predigt von Nuntius Eterovic am 13. Sonntag im Jahreskreis
Apostolische Nuntiatur, 28. Juni 2020
(2 Kg 4,8-11; Ps 89; Röm 6,3-4.8-11; Mt 10,37-42)
„Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, ist meiner nicht wert“ (Mt 10,37).
Liebe Schwestern und Brüder!
Der Abschnitt des Evangeliums, das wir gehört haben, bietet eine Zusammenfassung des 10. Kapitels des Heiligen Matthäus. Es fasst die Weisungen zusammen, die Jesus den Jüngern vor ihrer Aussendung gibt. Einige Aussagen sind auf den ersten Blick schwer verständlich. Im Licht der beiden anderen Lesungen der heutigen Liturgie aber können wir sie besser verstehen. Sie beschreiben die Bedingungen für eine Berufung durch Gott (I), zeigen aber zugleich seine Großherzigkeit all denen gegenüber, die sein Wort aufnehmen und sich mühen, es in die Tat umzusetzen (II).
1. Die Bedingung für die Nachfolge
Der Herr Jesus zeigt klar an, daß sein Jünger Ihn, den Meister, mehr lieben muss als Vater, Mutter, Sohn oder Tochter. Diese Bedingung ist in Wirklichkeit nichts Neues, denn sie wird bereits im ersten Gebot erhoben. Einem Gesetzeslehrer, der danach fragt, welches das größte der Gesetze sei, antwortet Jesus: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit deinem ganzen Denken. Das ist das wichtigste und erste Gebot. Ebenso wichtig ist das zweite: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. An diesen beiden Geboten hängt das ganze Gesetz und die Propheten“ (Mt 22,37-40). Daher kommt die Liebe zum Nächsten, angefangen bei den eigenen Eltern und der Familie, an zweiter Stelle nach der Liebe zu Gott. Diese Ordnung gibt es auch im Dekalog. Nach den ersten drei Geboten, die sich auf Gott beziehen, werden im vierten Gebot die Eltern genannt. „Ehre deinen Vater und deine Mutter, damit du lange lebst in dem Land, das der HERR, dein Gott, dir gibt“ (Ex 20,12). Es handelt sich dabei nicht allein um eine hierarchische Ordnung, sondern um eine dem Inhalt nach. Nur wenn er Gott liebt, ist der Mensch fähig, in rechter Weise seinen Vater, seine Mutter, seinen Sohn und seine Tochter zu lieben. Mit dieser Liebe spiegelt der Jünger die Liebe Jesu, die im Heiligen Geist an erster Stelle an Gottvater gerichtet ist. Diese tiefe Liebe öffnet sich sodann für uns und lässt uns teilhaben am göttlichen Geheimnis, wo jeder von uns zu einem Kind Gottes wird (vgl. 1 Joh 3,2). Die Liebe zu Gott hat den Vorrang, und zuweilen muss die rein menschliche Liebe um dieser Liebe zu Gott willen überwunden werden. Jesus Christus gibt hierfür ein Beispiel, als er für drei Tage allein im Tempel von Jerusalem zurückgeblieben war (vgl. Lk 2,41-50) oder als er verkündete, es gäbe auch ein andere Art familiärer Beziehung, wenn er sagte: „Meine Mutter und meine Brüder sind die, die das Wort Gottes hören und tun“ (Lk 8,21). Auf der anderen Seite bezeugt das Evangelium, daß Jesus seinen Eltern gehorsam war: „Dann kehrte er mit ihnen nach Nazaret zurück und war ihnen gehorsam“ (Lk 2,51).
Mit dieser Sichtweise der Liebe muss auch die Weisung Jesu aufgefasst werden: „Und wer nicht sein Kreuz auf sich nimmt und mir nachfolgt, ist meiner nicht wert“ (Mt 10,38). Jesus Christus ist aus Liebe gestorben, „weil er die Seinen liebte, die in der Welt waren, liebte er sie bis zur Vollendung“ (Joh 13,1). Das Kreuz ist Symbol dieser großen Liebe. So soll es auch für den Jünger charakteristisch werden, der Gott und den Nächsten in der Nachfolge des Meisters lieben will.
2. Die Großherzigkeit Gottes
Die Botschaft Jesu enthält nicht allein Notwendigkeiten, sondern auch die Weite der Gnade, des Lebens und der fruchtbaren Liebe. Diese Passage findet sich beispielsweise in der Aussage: „Wer das Leben findet, wird es verlieren; wer aber das Leben um meinetwillen verliert, wird es finden“ (Mt 10,39). Der Heilige Paulus hilft uns, die Bedeutung dieser Worte zu verstehen. In der zweiten Lesung reflektiert er über die Wirklichkeit der Taufe, in welcher der Christ Jesus in den Tod und die Auferstehung folgt. „Wir wurden ja mit ihm begraben durch die Taufe auf den Tod, damit auch wir, so wie Christus durch die Herrlichkeit des Vaters von den Toten auferweckt wurde, in der Wirklichkeit des neuen Lebens wandeln“ (Röm 6,4). Der Christ verliert sein Leben in der Vereinigung mit dem Tod des Herrn Jesus und mit Ihm ersteht er aus dem Taufbecken. Mit dem siegreichen Christus vereint, ersteht der Gläubige zu neuem Leben. Weil er sein Leben verloren hatte, indem er an der Sünde gestorben war, hat er nun gewonnen und lebt „für Gott, in Christus Jesus“ (Röm 6,11). Auf dem Fundament der Taufe, die man ein einziges Mal im Leben empfängt, kämpft der Jünger Jesu beständig gegen die Sünde und verliert das Leben, um im Leben der Gnade zu bleiben, das den Kindern Gottes gehört.
Die Großherzigkeit Gottes zeigt sich auch in der Verheißung über die Aufnahme: „Wer euch aufnimmt, der nimmt mich auf, und wer mich aufnimmt, nimmt den auf, der mich gesandt hat“ (Mt 10,40). Die Apostel sprechen nicht im eigenen Namen; sie sind von Jesus ausgesandt und verkünden Sein Evangelium. Daher nehmen jene, die sie aufnehmen, auch Jesus, wie auch den Vater auf, wovon her alle Sendung Jesu und seiner Jünger kommt. Diese Aufnahme bewirkt den Segen des dreieinen Gottes. Der Herr hat dies ausdrücklich gesagt: „Wer einen Propheten aufnimmt, weil es ein Prophet ist, wird den Lohn eines Propheten erhalten“ (Mt 10,41). Die erste Lesung aus dem zweiten Buch der Könige bietet ein konkretes Beispiel eines solchen Lohnes. Eine vornehme Frau nimmt den Propheten Elischa großzügig bei sich auf. Diese Geste wird mit dem belohnt, was sie sich am meisten wünscht, mit dem Geschenk der Fruchtbarkeit. Zu der Frau, die keine Kinder hatte, sagt der Prophet voll Freude: „Im nächsten Jahr um diese Zeit wirst du einen Sohn liebkosen“ (2 Kg 4,16). Ähnlichen Segen verdienen auch jene, die einen Gerechten aufnehmen. Gott ist großmütig und segnet die Menschen, die den Nächsten aufnehmen, insbesondere jene, die es bitter nötig haben. In der heutigen Situation sind das die Armen, vor allem die Flüchtlinge und Migranten, die aufgrund von Gewalt, Krieg, Verfolgung oder Hunger ihre Länder verlassen mussten. An die großherzigen Menschen wendet sich der Herr Jesus und richtet verheißungsvolle Worte an sie: „Und wer einem von diesen Kleinen auch nur einen Becher frisches Wasser zu trinken gibt, weil es ein Jünger ist - Amen, ich sage euch: Er wird gewiss nicht um seinen Lohn kommen“ (Mt 10,42). Diese Verheißung lässt uns an das Versprechen des Herrn denken: „Amen, ich sage euch: Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan“ (Mt 25,40.45), womit die Liste der Kriterien endet, wonach der Herr Jesus uns beim letzten Gericht richten wird (vgl. Mt 25,31-46).
Liebe Brüder und Schwestern, Jesus Christus ruft auch uns in seine Mission in unserer Welt, die in Deutschland und im stark säkularisierten Europa ist. Unter diesen Umständen scheinen die Bedingungen des Evangeliums umso notwendiger. Wir dürfen jedoch keine Angst haben. Der Herr der Ernte ist mit uns und segnet jede unserer Tätigkeiten der Verkündigung, die wir durch Werk der Liebe begleiten. Die Großherzigkeit Gottes übersteigt die Schwierigkeiten unseres Verzichts und der Opfer. Erneuern wir daher die Entscheidung, Jesus großherzig zu folgen und die Mission mit neuem Eifer zu erfüllen, die er uns anvertraut hat. Vertrauen wir unsere guten Vorsätze der Fürsprache der seligen Jungfrau Maria an, der Mutter der Apostel, auf daß sie für uns alle die Gnade von Ihrem Sohn erflehe, den tiefen Sinn seiner Worte zu erfassen: „Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, ist meiner nicht wert“ (Mt 10,37) und sie zu unserem und der ganzen Kirche Heil auch zu tun. Amen.