Predigt von Nuntius Eterovic am 23. Sonntag im Jahreskreis

Apostolische Nuntiatur, 6. September 2020

(Ex 33,7-9; Ps 95; Röm 13,8-10; Mt 18,15-20)

„Wenn dein Bruder gegen dich sündigt“ (Mt 18,15).

Liebe Schwestern und Brüder!

Das Wort Gottes, das wir gehört haben, gibt wichtige Hinweise für das Gemeinschaftsleben. Ein Christ ist nie allein, lebt nicht einsam, sondern in Gemeinschaft: in einer Familie, einer religiösen Gemeinde, in der Pfarrei, in anderen kirchlichen Einrichtungen. Jesus Christus kennt die menschliche Natur und weiß, daß die Gemeinschaft eine wichtige Stütze bei der menschlichen und religiösen Verwirklichung des Gläubigen ist, jedoch dabei nicht die Probleme und Schwierigkeiten beseitigt. Am häufigsten gibt es interne Konflikte zwischen den Mitbrüdern oder Mitschwestern. Der Herr Jesus gibt praktische Ratschläge, wie solchen Situationen zu begegnen ist (I). Das Wort Gottes zeigt sodann den idealen Zusammenhang zwischen Gebet und Liebe an, in dem die Christen leben sollen, um Probleme vermeiden zu können oder sie, wenn sie vorkommen, auf brüderliche und christliche Weise zu lösen (II). Öffnen wir unsere Herzen der Gnade des Heiligen Geistes, um dem Weg Jesu zu unserem und zum Wohl der heiligen Kirche Gottes zu folgen.

1. Correctio fraterna – die brüderliche Zurechtweisung.

Jesus Christus ist vertraut mit der Natur des Menschen und mit den Schwierigkeiten, die sich im gemeinschaftlichen Leben ergeben können. Er machte diese Erfahrungen auch mit seinen Jüngern, die beispielsweise voller neidischer Empörung gegenüber den Söhnen des Zebedäus waren, weil sie die ersten Plätze in seinem Reich einnehmen wollten (vgl. Mk 10,41-45). Daher zeigt er ihnen einen Weg der brüderlichen Zurechtweisung. Er bezieht sich zunächst auf zwei davon betroffene Personen: „Wenn dein Bruder gegen dich sündigt, dann geh und weise ihn unter vier Augen zurecht“ (Mt 18,15). Ein Bruder kann aus unterschiedlichen Gründen Schuld auf sich laden: aufgrund seines ungestümen Charakters, in einer unmittelbar spontanen Reaktion, durch den Verlust der Selbstkontrolle, wegen anderer Schwierigkeiten, mit denen er konfrontiert ist. Oft handelt es sich um Brüder, die es gut miteinander meinen, und wo die einfühlsamen Warnungen des Mitbruders bereitwillig aufgenommen werden. In diesem Sinne hilft jemand, der in gutem Glauben tadelt, den Bruder zurückzugewinnen (Mt 18,15). Es gibt jedoch auch die Möglichkeit, daß eine Zurechtweisung, selbst wenn sie in guter Absicht geschieht, zurückgewiesen wird. In einem solchen Fall rät Jesus: „Hört er aber nicht auf dich, dann nimm einen oder zwei mit dir, damit die ganze Sache durch die Aussage von zwei oder drei Zeugen entschieden werde“ (Mt 18,16). Die Ermahnung geschieht in einem geschützten Rahmen, um der betreffenden Person auf achtsame Weise die Möglichkeit zu eröffnen, sich mit dem Bruder zu versöhnen. Die Gegenwart von zwei oder drei Zeugen versichert dem Beschuldigten, daß es sich nicht um eine rein persönliche Angelegenheit handelt, sondern um eine objektive Schuld, welche die Gemeinschaft betrifft und die ausgeräumt werden muss. Die Zeugen können auch aktiv werden, indem sie zwischen den beiden vermitteln, um Gerechtigkeit und Frieden wiederzuerlangen. Möglich ist aber, daß auch dieser Versuch der Befriedung scheitert. In einem solchen Fall ist es nötig, sich an die Gemeinschaft zu wenden. Der Herr Jesus sagt: „Hört er auch auf sie nicht, dann sag es der Gemeinde“ (Mt 18,17). Verharrt die Person in ihrer verstockten Haltung und will ihre Schuld weder einsehen, noch umkehren, „dann sei er für dich wie ein Heide oder ein Zöllner“ (Mt 18,17), das heißt ein öffentlicher Sünder, der von der Gemeinschaft der Gläubigen ausgesondert ist.

Um die Worte des Herrn Jesus gut zu verstehen, ist nötig, an einige Weisungen der Heiligen Schrift zu erinnern. In der ersten Lesung weist JHWH den Propheten Ezechiel an, den Gottlosen zu ermahnen, um ihn von seiner falschen Haltung abzubringen, so daß er sich bekehrt (vgl. Ez 33,7-9). Der Prophet muss treu das Wort Gottes übermitteln und auf diese Weise sein eigenes Leben retten. Das Schicksal des Gottlosen hängt von seiner Reaktion ab: wenn „er sich nicht abkehrt von seinem Weg, dann wird er seiner Sünde wegen sterben“ (Ez 33,7-9). Im Buch Levitikus steht geschrieben: „Du sollst in deinem Herzen keinen Hass gegen deinen Bruder tragen. Weise deinen Mitbürger zurecht, so wirst du seinetwegen keine Sünde auf dich laden“ (Lev 19,17). Daher drängt Gott den Gerechten zum Handeln. Es ist nicht gut, in seinem Herzen Groll zu hegen, was mit der Zeit dazu führen kann, daß es verkümmert; ebenso wenig soll man den in Schuld und Irrtum gefallenen Bruder unbehelligt lassen. Der Herr Jesus hat seinen Aposteln die Fähigkeit zur Unterscheidung und die Verantwortung des Urteilens für ihre Mission in der Welt gegeben, was auch Auswirkungen auf das Himmelreich hat. Diese Vollmachten, die Jesus vorrangig dem Simon Petrus nach dessen Messiasbekenntnis in Cäsarea Philippi gegeben hatte (vgl. Mt 16,17-19), werden nunmehr auf alle Zwölf ausgedehnt: „Alles, was ihr auf Erden binden werdet, das wird auch im Himmel gebunden sein, und alles, was ihr auf Erden lösen werdet, das wird auch im Himmel gelöst sein“ (Mt 18,18). In der Treue zur Lehre ihres Herrn Jesus hat die Kirche in ihrer 2.000jährigen Geschichte stets gesucht, sie mit Blick auf die brüderliche Zurechtweisung in die Tat umzusetzen, was den Ausschluss derer aus der Kirche einschließt, die ohne Glauben und gottlos sind, zum Wohl des Volkes Gottes.

2. Das bevorzugte Klima: das Gebet und die Liebe.

Das verkündete Gotteswort zeigt zwei wesentliche Haltungen, um das christlichen Lebens im Gleichgewicht zu halten, die Gemeinschaft der Gläubigen zu stärken, wie auch die angemessene Weise, die brüderliche Zurechtweisung zu üben. Es handelt sich um das Gebet und die brüderliche Liebe.

Das Gebet. Jesus selbst hat die Wirksamkeit des gemeinschaftlichen Gebetes versichert: „Was auch immer zwei von euch auf Erden einmütig erbitten, werden sie von meinem himmlischen Vater erhalten“ (Mt 18,19). Dieses Gebet gefällt Gottvater, weil es im Namen seines Eingeborenen Sohnes Jesus Christus geschieht. Er nämlich hat präzisiert: „Denn wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen“ (Mt 18,20). Es ist bezeichnend, daß Jesus das gemeinschaftliche Gebet empfiehlt. Im Übrigen hat er im Vaterunser, dem christlichen Gebet schlechthin, gelehrt, gerade diese Dimension im Bewusstsein zu behalten. Daher wenden wir uns an unseren Vater im Himmel und bitten unter anderem: „Unser tägliches Brot gibt uns heute. Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern. Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen“. Das Gebet des Herrn spornt uns zur brüderlichen Zurechtweisung in dem Sinne an, die Gemeinschaft des Bruders mit der beleidigten Person zurückzugewinnen und die kirchliche Gemeinschaft auf jene Weise, die uns Jesus Christus gezeigt hat, wieder herzustellen.

Die vorzügliche Weise des gemeinschaftlichen Gebetes ist die Heilige Messe. Daher lädt Gott uns ein, dessen Bedeutung wieder neu zu entdecken, vor allem in dieser Zeit der Corona-Pandemie, wo viele Gläubige daran gehindert sind, sich physisch in ihren Pfarrkirchen zu versammeln, um das eucharistische Opfer zu feiern, mit dem Jesus die Menschheit mit Gott versöhnt hat. In dieses große Sakrament fügen sich unsere Absichten zur brüderlichen Zurechtweisung ein, wie auch das Geschenk der Vergebung für begangene Schuld und Sünden.

Die brüderliche Liebe. Neben dem Gebet ist diese Liebe die zweite grundlegende Haltung, die für das christliche Leben unverzichtbar ist, auch und gerade für die christliche Weise der brüderlichen Zurechtweisung. Hierzu schreibt der Heilige Paulus: „Die Gebote: Du sollst nicht die Ehe brechen, du sollst nicht töten, du sollst nicht stehlen, du sollst nicht begehren! und alle anderen Gebote sind in dem einen Satz zusammengefasst: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“ (Röm 13,9). Die Liebe ist so bedeutsam, daß sie nach dem Völkerapostel „die Erfüllung des Gesetzes“ ist (Röm 13,10). Zum Liebesgebot gehört auch die Bemühung, den Nächsten zurechtzuweisen. Nur mit der Haltung der Liebe können wir die Umkehr des Nächsten erreichen. Jener wird erfassen, daß wir mit unserem Einsatz nur Gutes für ihn wollen und ihm nicht unsere Überlegenheit demonstrieren möchten oder gar den Nächsten zu verletzen beabsichtigen, denn der Heilige Paulus drückt es klar aus: „Die Liebe tut dem Nächsten nichts Böses“ (Röm 13,10).

Liebe Brüder und Schwestern, auf die Fürsprache der Seligen Jungfrau Maria, der Mutter der Kirche, bitten wir den guten und barmherzigen Gott, er möge unser Gebet stärken und in uns die Liebe zu Ihm und zum Nächsten mehren, was sich auch in der brüderlichen Zurechtweisung bewahrheitet, „wenn dein Bruder gegen dich sündigt“ (Mt 18,15). Amen.

Zurück