Predigt von Nuntius Eterovic am 26. Sonntag im Jahreskreis

Apostolische Nuntiatur, 1. Oktober 2023

(Ez 18,25-28; Ps 24; Phil 2,1-11; Mt 21,28-32)

„Wer von den beiden hat den Willen seines Vaters erfüllt?“ (Mt 21,31)

Liebe Schwestern und Brüder,

das Wort Gottes an diesem 26. Sonntag im Jahreskreis fragt nach der Qualität unseres christlichen Lebens. Im Licht des Verhaltens der beiden Söhne, von denen im Evangelium gesprochen wird, sind wir guten Gewissens eingeladen, dem Herrn Jesus Rechenschaft über unser Verhalten abzulegen: nehmen wir den Ruf Gottes an, in seinem Weinberg an die Arbeit zu gehen, oder nicht? Öffnen wir unsere Herzen dem Heiligen Geist, um begnadet zu werden mit der Einsicht darüber, was unsere christliche Berufung benötigt. Bei der Unterscheidung hierüber helfen uns die erste Lesung (I), wie auch das Evangelium (II).

1. Die Weise des Herrn zu handeln (vgl. Ez 18,25).

In der ersten Lesung wendet sich der Prophet Ezechiel an seine Zeitgenossen, die wie er nach Babylon ins Exil geschickt worden waren. Er wurde im Jahr 597 vor Christus zusammen mit etwa zehntausend Personen deportiert, um auf den Feldern zu arbeiten. Während dieser schwierigen Situation hatte Ezechiel prophetische Visionen, die ihm von JHWH mit der Absicht gegeben waren, sein Volk zu trösten. Im Namen des allmächtigen und barmherzigen Gottes besteht der Prophet darauf, dass die im Exil Lebenden nicht für die Sünden ihrer Väter bestraft würden. Es gibt keine Kollektivstrafe, sondern die Vergeltung geschieht individuell. Vor den Juden verteidigt der Prophet daher das Verhalten Gottes und weist auf die Verantwortung seiner Landsleute hin. Sie werden nicht allein durch die Tatsache gerettet, zum erwählten Volk zu gehören. Dies ist wichtig, aber nicht entscheidend. Gott schaut auf das Herz und auf das wahre Verhalten des mit Freiheit begabten Menschen. Der Mensch kann sich ändern – zum Guten wie zum Schlechten hin -, aber die Verantwortung für dieses Verhalten liegt eher bei der einzelnen Person. Der Prophet unterscheidet zwei Fälle. Der erste ist negativ: „Wenn jedoch ein Gerechter sich abkehrt von seiner Gerechtigkeit und Unrecht tut, all die Gräueltat, die auch der Schuldige verübt, sollte er dann etwa am Leben bleiben? Keine seiner gerechten Taten wird ihm angerechnet. Wegen seiner Treulosigkeit, die er verübt, und wegen der Sünde, die er begangen hat, ihretwegen muss er sterben“ (Ez 18,24). Der zweite Fall ist positiv: „Wenn ein Schuldiger von dem Unrecht umkehrt, das er begangen hat, und nach Recht und Gerechtigkeit handelt, wird er sein Leben bewahren“ (Ez 18,27). Der Prophet weist auch auf den Prozess der Umkehr hin. Der Ungerechte kommt zur Einsicht über „alle seine Vergehen, die er verübt hat“ und kehrt um, weswegen „er bestimmt am Leben bleibt. Er wird nicht sterben“ (Ez 18,28).

Liebe Brüder und Schwestern, der Prophet Ezechiel verkündet die gute Nachricht der Vergebung einem niedergeschlagenen und bedrückten Volk. Diese Ankündigung ist auch für uns gültig, denn wir alle sind Sünder, jedoch von Gott zur Heiligkeit berufen. Aus diesem Grund erbitten wir zu Beginn einer jeden Heiligen Messe die Vergebung unserer Sünden. Bei den schwereren Sünden aber ist es nötig, die Vergebung im Sakrament der Beichte zu erbitten. Wir haben keine Angst, unsere kleinen und großen Fehler vor dem guten und barmherzigen Gott zu bekennen. Er vergibt uns. Die Tatsache, dass wir Glieder der Kirche sind, hilft uns, doch befreit uns dies nicht von der Umkehr und dem Bemühen zu einem authentischen christlichen Leben. Umkehr ist immer personal, auch wenn sie innerhalb der kirchlichen Gemeinschaft dank des Gebetes, des Opfers und der guten Beispiele so vieler guter Christen geschieht.

2. „Wer von den beiden hat den Willen seines Vaters erfüllt?“ (Mt 21,31).

Die Antwort auf diese Frage ist wichtig, um die Lehre des Herrn Jesus zu verstehen. Sie ist in dem Satz enthalten, der vor allem für die Hohenpriester und die Ältesten des Volkes eine Provokation darstellt: „Die Zöllner und die Dirnen gelangen eher in das Reich Gottes als ihr“ (Mt 21,31). Die Edlen des Volkes haben die Kritik, die Jesus an sie richtete, gut verstanden, denn ihr Verhalten ähnelt dem des ersten Sohnes. Er antwortete seinem Vater positiv bejahend, geht dann aber nicht hin, um im Weinberg zu arbeiten (vgl. Mt 21,30). Am Beispiel des zweiten Sohnes können sie im Gegenteil erahnen, dass Jesus sich eher auf die Sünder bezog, auf jene, die nicht zu dem von JHWH auserwählten Volk gezählt wurden, wie eben Prostituierte und Betrüger. Denn der zweite Sohn lehnt die Aufforderung des Vaters ab und verneint auf negative Weise: „Ich will nicht. Später aber reute es ihn und er ging hinaus“ (Mt 21,29). Offensichtlich waren alle überzeugt, dass der zweite Sohn den Willen des Vaters erfüllt hat (vgl. Mt 21,31).

Der Herr Jesus wollte sodann den Sinn seiner Aussage zum Vorrang der Sünder mit Blick auf das Himmelreich erklären. Sie ist verbunden mit ihrer Umkehr in einem genauen geschichtlichen Kontext. Bezugspunkt ist hierbei Johannes der Täufer, der Vorläufer Jesu, der kraftvoll alle aufforderte: „Kehrt um! Denn das Himmelreich ist nahe“ (Mt 3,2). Diesen Ruf hörten die Dirnen und Zöllner und setzten ihn in die Tat um, denn sie haben geglaubt, dass Johannes der Täufer ein Prophet war und ihm Namen Gottes sprach. Die Hohenpriester und Ältesten des Volkes hingegen haben nicht geglaubt und bekehrten sich nicht, obwohl auch sie hörten, was Johannes der Täufer verkündete, und sahen, was Gutes im Namen Gottes geschehen ist (vgl. Mt 21,32). Diese bereuten ihre bösen Taten und bekehrten sich. Die Hohenpriester und die Ältesten des Volkes sind diesen Weg nicht gegangen; weder bereuten sie, noch bekehrten sie sich.

Liebe Schwestern und Brüder, wir müssen erkennen, dass auch wir uns oft wie der erste Sohn verhalten: wir sagen dem Vater zu, zur Arbeit in seinen Weinberg zu gehen und seinen Willen zu erfüllen, doch leider ändern wir nicht selten unsere Meinung in negativem Sinn; oder wenn wir in den Weinberg gehen, dann ermüden wir rasch und geben die Arbeit auf oder verrichten sie schlecht. Das Wort Jesu ist eine Gelegenheit zur ehrlichen Gewissenserforschung. Gott sei Dank und dankbar den Eltern und der christlichen Gemeinschaft wurden wir in christliche Familien hineingeboren und in lebendige Pfarrgemeinden aufgenommen, die uns geholfen haben, den christlichen Glauben zu kennen und die Schönheit dieses Glaubens zu erfahren. Das ist ein großes Geschenk, das aber nicht ausreicht, vor allem nicht in unserer säkularisierten Welt, in der viele Brüder und Schwestern leben, als gäbe es Gott nicht. In einem solch gleichgültigen Umfeld, das zuweilen feindlich gesinnt ist, braucht es die Gabe eines lebendigen und authentischen Glaubens, der von der personalen Begegnung mit dem Herrn Jesus in der Gnade des Heiligen Geistes lebt. Sicher braucht es auch die Unterstützung der Familie oder der christlichen Gemeinschaft, einer Pfarrgemeinde, eines religiösen Ordens oder einer Gebetsgruppe. Mehr noch braucht es jene Haltung, die der Herr Jesus auch im Evangelium von heute fordert: bereit zu sein, Fehler zu bereuen, Vergebung zu erbitten und sich zu bekehren.

Vertrauen wir diese Überlegungen der Fürsprache der seligen Jungfrau Maria an, die stets den Willen Gottes erfüllt hat, auf dass sie für uns die Gabe der Demut erflehe, um unsere Sünden zu erkennen und Kraft finden, umzukehren und Vergebung zu erbitten. Amen.

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