Predigt von Nuntius Eterovic am 28. Sonntag im Jahreskreis
Apostolische Nuntiatur, 10. Oktober 2021
(Weish 7,7-11; Ps 90; Hebr 4,12-13; Mk 10,17-30)
„Eines fehlt dir noch: Geh, verkaufe, was du hast, gib es den Armen und du wirst einen Schatz im Himmel haben; dann komm und folge mir nach“ (Mk 10,21).
Liebe Schwestern und Brüder!
Das Wort des Herrn Jesus richtet sich nicht allein an den reichen jungen Mann im heutigen Evangelium. Es bezieht sich auf alle, insbesondere an uns Christen, die wir getauft und gefirmt sind und daher entschieden haben, Jesus Christus zu folgen, indem wir uns bemühen, die Heilsbotschaft in die Tat umzusetzen. Es zeigt die Kraft des Gotteswortes (I), welches den Menschen die wahre Weisheit offenbart (II) und zeigt, welche Haltung sie im Umgang mit den materiellen Gütern einnehmen sollen (III).
1. „Denn lebendig ist das Wort Gottes, wirksam und schärfer als jedes zweischneidige Schwert“ (Hebr 4,12).
Das Wort Gottes berührt das Herz des Gläubigen und zeigt seine ihm innewohnende Kraft. Ein für den Heiligen Geist offener Mensch erfasst die Macht des göttlichen Wortes. In Anwendung des Bildes aus dem Hebräerbrief ist dieses Wort stärker als ein Schwert und durchdringt die Person bis in das Innerste seiner selbst, „es dringt durch bis zur Scheidung von Seele und Geist, von Gelenken und Mark“ (Hebr 4,12). Die Macht des Wortes kommt von Gott. Denn es ist Sein Wort, das in gewisser Weise die Allmacht Gottes reflektiert. Dieses Wort richtet sich an jeden und keiner kann sich ihm entziehen: „vor ihm bleibt kein Geschöpf verborgen“. Und durch das Wort, das tief in uns eindringt, erkennt uns Gott: „alles liegt nackt und bloß vor seinen Augen“. Gott erwartet daher unsere Antwort auf sein Wort, weil wir Ihm „Rechenschaft schulden“ (Hebr 4,13).
Im heutigen Evangelium berühren die Worte des Herrn Jesus über die irdischen Güter das Herz eines jungen Mannes, doch auch das der Apostel, die sich über die Lehre Jesu wunderten und den Meister um Erklärung baten. Denn sie empfanden den Reichtum als Ausdruck des göttlichen Segens, wie es gemeinhin auf der Grundlage der Bücher des Alten Testamentes interpretiert wurde. Diese Sicht hat der Herr Jesus vervollständigt und hierfür den Begriff der Armen im Geiste eingeführt (Mt 5,3), um zu zeigen, dass die materiellen Güter auch zur Hilfe für die Armen verwandt werden müssen.
2. Der Geist der Weisheit
In der ersten Lesung haben wir den Lobpreis der Weisheit vernommen, jener großen Gabe Gottes. Sie ist die Frucht des Gebetes des frommen Menschen: „Daher betete ich und es wurde mir Klugheit gegeben; ich flehte und der Geist der Weisheit kam zu mir“ (Weish 7,7). Nach dem inspirierten Autor ist Weisheit mehr wert als Reichtum. „Denn alles Gold erscheint neben ihr wie ein wenig Sand und Silber gilt ihr gegenüber so viel wie Lehm“ (Weish 7,9). Sie ist kostbarer als Gesundheit oder Schönheit; ihr Licht geht nicht unter (vgl. Weish 7,10). Die Gabe der Weisheit erlaubt, alles zu schätzen, was ist und darin den wahren Reichtum zu erblicken: „Zugleich mit ihr kam alles Gute zu mir, unzählbare Reichtümer waren in ihren Händen“ (Weish 7,11).
Für die Juden stammt die Weisheit von Gott und fällt mit seinem Wort und Gesetz in eins. Christen erblicken die Weisheit in der Person des Herrn Jesus, die Weisheit, die den Mund des Allerhöchsten verlässt (vgl. Sir 24,2) und ihr Zelt inmitten der Menschen aufgeschlagen hat. Im Gegenzug hat Jesus nach der Auferstehung den Heiligen Geist über seine Apostel ausgegossen und tut dies weiterhin in Fülle (vgl. Joh 3,34) über alle, die an Ihn glauben. Sie können die Gabe der Weisheit erlangen und teilhaben am göttlichen Leben und dem Geheimnis des dreieinen Gottes, wenn sie danach trachten, die Weisheitslehre in die Tat umzusetzen, die in der Heiligen Schrift aufgeschrieben sind, die jedoch umso mehr und tieferen Wert bekommt in der persönlichen Begegnung des Gläubigen mit Gott in der Gemeinschaft der Gläubigen, in der Kirche.
3. „Verkaufe, was du hast, und gib es den Armen“ (Mk 10,21).
Mit dem Geist der Weisheit, was die Gabe des Heiligen Geistes ist, der auch durch das Evangelium offenbart worden ist, können wir in rechter Weise die Lehre Jesu über den Gebrauch der materiellen Güter verstehen. Der Dialog mit dem jungen reichen Mann gibt Jesus die Gelegenheit zur Aussage, wie unmöglich es ist, dass der Reiche gerettet werde. Den verwunderten Jüngern sagt er: „Wie schwer ist es für Menschen, die viel besitzen, in das Reich Gottes zu kommen“ (Mk 10,25). Es gibt also eine Unvereinbarkeit zwischen dem irdischen Reichtum und dem Heil. Um das Wort Jesu zu verstehen, erinnern wir uns, was er in der Bergpredigt gesagt hat: „Niemand kann zwei Herren dienen; er wird entweder den einen hassen und den andern lieben oder er wird zu dem einen halten und den andern verachten. Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon“ (Mt 6,24). Der Mensch, dessen Herz von der Sorge über den Reichtum erfüllt ist, hat keinen Raum für Gott und schließt sich selbst aus dem Himmelreich aus. In diesem Fall wird aus dem Reichtum ein Götze, weswegen ein solcher Mensch die Nöte der Armen nicht mehr wahrnimmt. Der Heilige Vater Franziskus ist für dieses Thema sehr sensibel. In seiner Botschaft an die Päpstliche Akademie der Sozialwissenschaften hat er geschrieben: „Wir sehen heute, dass die Welt noch nie so reich war und trotz all dieses Wohlstandes Armut und Ungleichheit fortbestehen und leider noch größer werden. In dieser Zeit des Überflusses, in der es doch möglich sein sollte, der Armut ein Ende zu bereiten, sagen die Mächte des Einheitsdenkens nichts über die Armen, auch nichts über die Alten, die Immigranten, die Ungeborenen, die Schwerkranken. Für die Mehrheit der Menschen sind sie unsichtbar und werden behandelt wie „Weggeworfene“ (04. Oktober 2021).
Jesus Christus aber bietet auch den Reichen eine Möglichkeit, indem er präzisiert: „Für Menschen ist das unmöglich, aber nicht für Gott; denn für Gott ist alles möglich“ (Mk 10,27). Das Wunder, von dem Jesus spricht, geschieht über den Heiligen Geist, der jene Personen, die großen Besitz haben, verstehen lässt, wie sie damit in rechter Weise umgehen sollen. Sie sollen mit den Gütern dienen und helfen und ihnen nicht erlauben, sie zu Sklaven ihres Reichtums zu machen. Auch an irdischen Gütern Reiche können großzügig sein, indem sie den Armen helfen, die neben ihnen oder weltweit leben. Leider hat die Corona-Pandemie die Schere zwischen den wenigen Reichen und den vielen Armen in der Welt noch größer werden lassen. Wir können nicht warten, dass sich der Skandal von Armut auf globale Weise erledigt, der seinen Tiefpunkt im Hunger so vieler Menschen in unserer Welt erlebt und deren Zahl sich einer Milliarde von Hungernden nähert, um mit unseren Mitteln denen zu helfen, die der Hilfe bedürfen. Hier einige Beispiele. Alle können nach ihren Möglichkeiten einen Teil ihrer Einkünfte der Caritas oder wohltätigen Organisationen spenden, auf die Deutschland so stolz sein kann. Auf dem von Jesus aufgezeigten Weg gehört auch ein Unternehmer, der seine Arbeiter und Angestellten in der Krise nicht entlässt, sondern ihnen einen gerechten Lohn zahlt und sie für das gute Funktionieren des Unternehmens mitverantwortlich macht.
Besondere Aufmerksamkeit verdient der Verzicht auf Reichtum um des Himmelreiches willen. Der junge reiche Mann war derart gebunden an seinen Besitz, dass er die Aufforderung Jesu nicht angenommen hat: „Eines fehlt dir noch: Geh, verkaufe, was du hast, gib es den Armen und du wirst einen Schatz im Himmel haben; dann komm und folge mir nach“ (Mk 10,21). Die zwölf Apostel hingegen haben die Einladung des Herrn angenommen und sind ihm auf dem Weg der Armut gefolgt. Sie waren Zeugen der Fruchtbarkeit eines solchen Verzichts, der eine andere Weise von Reichtum mit sich brachte, wie der Herr verheißen hat: „Amen, ich sage euch: Jeder, der um meinetwillen und um des Evangeliums willen Haus oder Brüder, Schwestern, Mutter, Vater, Kinder oder Äcker verlassen hat, wird das Hundertfache dafür empfangen. Jetzt in dieser Zeit wird er Häuser und Brüder, Schwestern und Mütter, Kinder und Äcker erhalten, wenn auch unter Verfolgungen, und in der kommenden Welt das ewige Leben“ (Mk 10,29-30).
Liebe Brüder und Schwestern, danken wir Gott, dem Vater, Sohn und Heiligem Geist für die Gabe der Weisheit, die er uns durch das geschriebene Wort Gottes in der Heiligen Schrift geschenkt hat und das in der Person des Herrn Jesus Fleisch geworden ist. Folgen wir dem Beispiel der seligen Jungfrau Maria, die das Wort Gottes in ihrem Herzen erwogen und betrachtet hat (vgl. Lk 2,19). Auf diese Weise können wir die Lehre Jesu über den Reichtum und den rechten Gebrauch der materiellen Güter begreifen, die Gott uns zur Verfügung stellt, damit wir mit ihnen helfen und das Gute tun. Amen.