Predigt von Nuntius Eterovic am 28. Sonntag im Jahreskreis

Berlin, 14. Oktober 2018

(Weish 7,7-11; Ps 90; Heb 4,12-13; Mk 10,17-30)

„Geh, verkaufe, was du hast, und gib es den Armen“ (Mk 10,21).

Liebe Brüder und Schwestern!

Das Wort Gottes ist immer aktuell. Es ist gleich einer Leuchte für des Menschen Wege (vgl. Ps 119,105). Das gilt in besonderer Weise für das Wort, daß uns an diesem 28. Sonntag im Jahreskreis vorgelegt wird. In der zweiten Lesung wird ausdrücklich die Kraft des Wortes Gottes betont (I). Die beiden übrigen Lesungen illustrieren diese Kraft und beflügeln unsere Meditation über die Bedeutung der Weisheit (II) und der Loslösung von den materiellen Gütern (III). Lassen wir uns von diesem Wort führen, um zu erfassen, was der Heilige Geist unserem Geist eingibt, aber auch unserer Gemeinschaft und der Katholischen Kirche in der gegenwärtigen Situation.

1. „Denn lebendig ist das Wort Gottes, wirksam und schärfer als jedes zweischneidige Schwert“ (Hebr 4,12).

Das Wort ist Mittel der gewöhnlichen Kommunikation unter den Menschen. In der heutigen Gesellschaft werden wir von Worten überflutet, welche die zwischenmenschlichen Beziehungen der Familie oder einer Gemeinschaft übersteigen. Die Kommunikationsmittel sind so mächtig geworden, daß sie unser Leben auf direkte Weise beeinflussen – denken wir nur an das Radio und das Fernsehen – oder auf indirekte Weise durch die digitalen Medien, wie zum Beispiel die Mobiltelefone. In diesem Zusammenhang, die wir als eine Klanginvasion der unterschiedlichsten Worte beschreiben können, warnt uns das Wort Gottes. Es sind Worte des Lebens. Es sind Worte, die eine besondere Kraft haben und fähig, bis zum Herzen des Menschen vorzudringen und seine Umkehr zu bewegen. Es ist das Wort Gottes, das sich an uns, an jeden Menschen mit einer Genauigkeit wendet, denn es handelt sich um das Wort Gottes und nicht um Menschenworte. Der Hebräerbrief unterstreicht diese Kraft: „Denn lebendig ist das Wort Gottes, wirksam und schärfer als jedes zweischneidige Schwert“ (Hebr 4,12). Es dringt bis zum Herzen des Menschen vor: „Bis zur Scheidung von Seele und Geist, von Gelenken und Mark“ (Heb 4,12). Kraftvoll ruft es den Menschen und findet seine Wirklichkeit auch in den negativen Elementen, die zuweilen versteckt und verborgen sind, denn „es richtet über die Regungen und Gedanken des Herzens“ (Hebr 4,12). Vor der Macht des Gotteswortes kann nichts verborgen bleiben; im Gegenteil erleuchtet das Wort Gottes die dunklen Seiten des menschlichen Herzens und ruft ihn zur Verantwortung, denn „vor ihm bleibt kein Geschöpf verborgen, sondern alles liegt nackt und bloß vor den Augen dessen, dem wir Rechenschaft schulden“ (Hebr 4,13).

Der Christ ist gerufen, die Macht des Wortes Gottes inmitten der vielen Worte, die uns umzingeln, zu entdecken. Charakteristisch für das Gotteswort sind Leben und Wirkmacht. Das heißt, was Gott sagt, das hat er: sein Wort nimmt teil an seinem Schöpfungsakt. Erinnern wir uns an die Erschaffung der Welt durch das Wort. Das zeigt das erste gesprochene Wort, das wir in der Bibel finden: „Gott sprach: Es werde Licht. Und es wurde Licht“ (Gen 1,3).

2. „Der Geist der Weisheit“ (Weish 7,7).

Im heutigen Evangelium und in der ersten Lesung finden wir zwei Beispiele für die Kraft des Wortes Gottes. König Salomon preist die Weisheit: „Daher betete ich und es wurde mir Klugheit gegeben; ich flehte und der Geist der Weisheit kam zu mir“ (Weish 7,7). Es handelte sich um eine wertvollere Gabe als jeder menschliche Reichtum, Gesundheit und Schönheit. Am Beginn seines Königtums über das erwählte Volk erbat Salomon von Gott „ein hörendes Herz, damit er dein Volk zu regieren und das Gute vom Bösen zu unterscheiden versteht“ (1 Kg 3,9). JHWH hat die Bitte Salomos erhört und ihm die Gabe der Weisheit geschenkt: „Weil du gerade diese Bitte ausgesprochen hast und nicht um langes Leben, Reichtum oder um den Tod deiner Feinde, sondern um Einsicht gebeten hast, um auf das Recht zu hören, werde ich deine Bitte erfüllen. Sieh, ich gebe dir ein so weises und verständiges Herz, dass keiner vor dir war und keiner nach dir kommen wird, der dir gleicht“ (1 Kg 3,11-12). Neben der Weisheit hat JHWH in seiner Güte dem Salomon außerdem Reichtum und Ehre geschenkt (vgl. 1 Kg 3,13). Salomon hat im Buch der Weisheit ausgerufen, daß mit der Weisheit „alles Gute zu mir (kam), unzählbare Reichtümer waren in ihren Händen“ (Weish 7,11).

Das Lob der Weisheit lässt uns an die Weisheit denken, die am Anfang bei Gott war: „In frühester Zeit wurde ich gebildet, am Anfang, beim Ursprung der Erde“ (Spr 8,23). Die Weisheit nimmt teil an der Schöpfung: „Als er den Himmel baute, war ich dabei“ (Spr 8,27), „ich war seine Freude Tag für Tag und spielte vor ihm allezeit“ (Spr 8,30). Die Weisheit spielte „als geliebtes Kind“ (Spr 8,30) vor dem Schöpfer und „spielte auf seinem Erdenrund und meine Freude war es, bei den Menschen zu sein“ (Spr 8,31). Für die Christen ist diese Weisheit Jesus Christus, der eingeborene Sohn des Vaters.
Die Worte und das Beispiel Salomos lehren uns, von Gott die Gabe der Weisheit zu erbitten, die wir Christen unter anderem in der Bibel beschrieben finden. Aus diesem Grund ist es notwendig, die Heilige Schrift gut zu kennen, um diese Weisheit zu entdecken, die letztendlich die Person Jesu Christi ist, der Mensch und Gott. Er ist der Meister der Weisheit, was er im Verlauf seiner Predigttätigkeit zeigt, wie die Bücher des Neuen Testamentes bezeugen. Die Heilige Schrift nimmt also an seiner Weisheit und Kraft teil. Wie Gottvater, vollbringt auch Jesus durch das Wort viele Wunder. So hat er beispielsweise die Tochter des Jairus ins Leben zurückgerufen, als er ihre Hand nahm und sagte: „Talita kum!, das heißt übersetzt: Mädchen, ich sage dir, steh auf!“ (Mk 5,41)

3. „Geh, verkaufe, was du hast, und gib es den Armen“ (Mk 10,21).

Jesus Christus, die fleischgewordene Weisheit, fordert von seinen Schülern die Ablösung von den materiellen Gütern, denn sie behindert die Berufung und die Nachfolge. Dem reichen Jüngling, der die Vorschriften des Gesetzes getreu befolgte, hat Jesus gesagt: „Eines fehlt dir noch: Geh, verkaufe, was du hast, gib es den Armen und du wirst einen Schatz im Himmel haben; dann komm und folge mir nach!“ (Mk 10,21). Angesichts des Rückzugs des Jünglings, der sich nicht zu lösen vermochte, unterstreicht Jesus Christus die Gefahr des Reichtums, der das Herz des Menschen vor der Gnade Gott und seiner Weisheit verschließt: „Wie schwer ist es für Menschen, die viel besitzen, in das Reich Gottes zu kommen!“ (Mk 10,23). Die Worte des Herz beschreiben eine objektive Schwierigkeit, wenn der Mensch davon beherrscht ist, Güter anzusammeln, wofür es allgemein keine Grenze gibt: er weiht sein ganzes Leben dafür, seine Reichtümer zu mehren und macht den Reichtum zum Ziel seines Lebens. Es gibt aber auch einen anderen Typus von Personen, der auf ehrliche Weise reich ist und seine Mittel einsetzt, anderen zu helfen, und somit letztlich der ganzen Gemeinschaft hilft. Sie haben besondere Talente empfangen, die Früchte bringen und die er mit anderen teilt. Ein Unternehmer, der sich für seine Firma einsetzt, damit er jeden Monat den rechten Lohn an seine Arbeiter zahlen kann, verdient Lob und Anerkennung. Für diese Personen gelten die Worte Jesu über das Heil der Reichen als Werk Gottes: „Für Menschen ist das unmöglich, aber nicht für Gott; denn für Gott ist alles möglich“ (Mk 10,27).

Den Menschen, die zu einem besonderen Dienst in der Kirche gerufen sind, den Priester und Ordensleuten, gilt die Aufforderung Jesu zu einer radikalen Ablösung von den materiellen Gütern zugunsten seines Evangeliums. Frei von den materiellen Dingen werden die Jünger die Fülle der Gaben erhalten: „Amen, ich sage euch: Jeder, der um meinetwillen und um des Evangeliums willen Haus oder Brüder, Schwestern, Mutter, Vater, Kinder oder Äcker verlassen hat, wird das Hundertfache dafür empfangen. Jetzt in dieser Zeit wird er Häuser und Brüder, Schwestern und Mütter, Kinder und Äcker erhalten, wenn auch unter Verfolgungen, und in der kommenden Welt das ewige Leben“ (Mk 10,29-30). Nehmen wir die Weisheitsworte des Herrn Jesus an und folgen wir ihnen in der Erfüllung unserer kirchlichen Mission, indem wir die zu unserer Verfügung stehenden materiellen Dinge für die Ziele der Evangelisierung und der menschlichen Förderung einsetzen.

Liebe Brüder und Schwestern, auf die Fürsprache der seligen Jungfrau Maria, dem Sitz der Weisheit, sagen wir dem dreieinen Gott Dank für den Ruf zu einem christlichen Leben. Wir nehmen die Gnade des Heiligen Geistes an, die uns die Kraft des Gotteswortes und die wahre Weisheit in der Person Jesu Christi, dem fleischgewordenen Wort Gottes, erkennen lässt. Wie zu dem reichen jungen Mann, so ermahnt er auch uns: „Geh, verkaufe, was du hast, und gib es den Armen“ (Mk 10,21). Beten wir, daß wir Gott stets den ersten Platz einräumen und die materiellen Dinge dazu dienen, dem Nächsten beizustehen, besonders den hilfsbedürftigen Personen. Amen.

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