Predigt von Nuntius Eterovic am 31. Sonntag im Jahreskreis

Berlin, 3. November 2019

(Weish 11,22-12,2; Ps 145; 2 Thes 1,11-2,2; Lk 19,1-10)

„Denn der Menschensohn ist gekommen, um zu suchen und zu retten, was verloren ist.“ (Lk 18,14).

Liebe Schwestern und Brüder!

Im Fall des Zöllners Zachäus lehrt uns Jesus im Abschnitt des Lukasevangeliums, daß Gott alle Menschen retten will und die Sünder zur Umkehr ruft. Der heilige Evangelist bietet daher eine wahre Idee unseres Gottes, der gut, mitfühlend und barmherzig ist. Wir öffnen unsere Herzen der Gnade des Heiligen Geistes, damit wir erfassen können, was uns der Herr Jesus offenbaren will mit der Erfahrung des Zachäus (I), mit dessen Begegnung mit Jesus (II), und was das schließlich für uns Christen bedeutet (III).

1. Die Unruhe des Zachäus

Der Evangelist Lukas beschreibt gut und mit wenigen Worten die Persönlichkeit des Zachäus, der Jesus zu begegnen wünscht. Zachäus war nicht nur ein Zöllner, sondern sogar deren Oberhaupt. Außerdem war er reich. Diese beiden Charakteristiken genügen, um anzuzeigen, daß Zachäus bei der jüdischen Bevölkerung von Jericho, wo er lebte, nicht gut angesehen war. Die Zöllner allgemein wurden in der öffentlichen Meinung als Sünder betrachtet, denn sie dienten einer fremden Regierung, die das Heilige Land besetzt hatte. Außerdem waren sie ehrlos, weil sie die Leute dazu zwangen, über die Summe der geschuldeten Steuer hinaus zu zahlen und diese Differenz für sich selber behielten.

Im Herzen des Zachäus aber begann sich etwas zu ändern. Er hatte von Jesus gehört und wollte ihn sehen. Weil er aber von kleiner Statur war, „lief er voraus und stieg auf einen Maulbeerfeigenbaum, um Jesus zu sehen, der dort vorbeikommen musste“ (Lk 19,4). Zur Neugier des Zachäus, Jesus sehen zu wollen, werden seine natürlichen Talente hinzugefügt: seine Voraussicht und sein Organisationstalent. Hierbei tut er etwas, was er normalerweise nicht machen würde, um nicht von den Leuten ausgelacht zu werden: er klettert auf einen Maulbeerfeigenbaum; ein Verhalten also, das eher jüngeren Leuten entspricht oder einfacheren Menschen, was aber nicht zu einer gesellschaftlich bedeutenden Persönlichkeit wie dem Chef der Zöllner passt.

Die Reaktion Jesu ist ebenfalls bemerkenswert. Als er an diesem Ort vorbeikam, „schaute er hinauf und sagte zu ihm: Zachäus, komm schnell herunter! Denn ich muss heute in deinem Haus bleiben“ (Lk 19,5).

2. Die Freude über die Begegnung

„Da stieg er schnell herunter und nahm Jesus freudig bei sich auf“ (Lk 19,6). Es gibt ein gutes Einvernehmen zwischen Jesus und Zachäus. Jener wollte Jesus sehen, und Jesus wünschte, Zachäus in dessen Haus zu begegnen. Gastfreundschaft ist für die Juden sehr wichtig. Sie drückt Respekt und Freundschaft aus. Daher sollten Gäste, die man zuhause empfängt, vertrauenswürdig und in Freundschaft verbunden sein. Diese Beziehung bestand in keiner Weise zwischen Zachäus und dem Herrn Jesus. Aus diesem Grund murrte das Volk: „Er ist bei einem Sünder eingekehrt“ (Lk 19,7).

Die Begegnung mit Jesus aber hat Zachäus verwandelt. Aus dem heutigen Evangelium ergibt sich nicht, daß der Herr den Zachäus ermahnt oder aufgefordert hätte, sein Leben zu ändern und dem Nächsten Gutes zu tun. Sein Beispiel allein hat genügt, seine Gegenwart, um Zachäus zu bewegen, sein Leben radikal zu ändern. Das sieht man an der Großzügigkeit des Zachäus und man hört es aus seinen Worten, die indirekt Reue über das bisherige Leben und Verhalten ausdrücken, das von Sünde gekennzeichnet war. „Siehe, Herr, die Hälfte meines Vermögens gebe ich den Armen, und wenn ich von jemandem zu viel gefordert habe, gebe ich ihm das Vierfache zurück“ (Lk 19,8). Jesus lobt das Verhalten des Zachäus und spricht: „Heute ist diesem Haus Heil geschenkt worden, weil auch dieser Mann ein Sohn Abrahams ist“ (Lk 19,9). Die folgende Zusammenfassung ist sodann für uns und die Menschen aller Zeiten die Quelle großer Hoffnung: „Denn der Menschensohn ist gekommen, um zu suchen und zu retten, was verloren ist“ (Lk 19,10).

3. Das christliche Verhalten

Die Begegnung des Herrn Jesus mit dem Zöllner Zachäus ist für uns alle sehr lehrreich. Zunächst lässt sie uns besser die von Jesus Christus verkündete und praktizierte Barmherzigkeit Gottes begreifen. Er „ist gekommen, um zu suchen und zu retten, was verloren ist“ (Lk 19,10), wie wir gerade gehört haben. Es handelt sich dabei nicht um eine isolierte Aussage. Wir erinnern an andere: „Denn ich bin nicht gekommen, um Gerechte zu rufen, sondern Sünder“ (Mt 9,13); „Nicht die Gesunden bedürfen des Arztes, sondern die Kranken. Ich bin nicht gekommen, um Gerechte, sondern Sünder zur Umkehr zu rufen“ (Lk 5,31-32).

Auf der anderen Seite wirkt im Herzen des Menschen der Heilige Geist, wenn er sich auf verschiedene Weise dem Guten zuwendet und besonders auf die Begegnung mit Gott, der die Quelle und der Höhepunkt des Guten ist. Daher zeigt Jesus, wie nötig es ist, diese günstigen Momente zu ergreifen, den Kairos (Καιρός), wo sich zwei freie Willen begegnen: Gott kommt zum Menschen und der Mensch wird vom Geist zu Gott geführt. Die Suche nach Gott kann lange dauern, geschieht in den Augenblicken der Reflexion, der Lektüre, der Diskussion oder des Gebetes. Das alles kann dienlich sein, wie es der Maulbeerfeigenbaum für Zachäus war: dieser erhob den Menschen zu größerer Höhe, um ihm die Begegnung mit Gott zu erleichtern. Wenn aber der günstige Zeitpunkt da ist, dann ist es nötig, bereit zu sein. Das geschieht, wenn der Mensch die Stimme Gottes hört und Ihm sein Herz öffnet. Das passiert zuweilen wie bei der Begegnung mit Zachäus, der auf den Maulbeerfeigenbaum geklettert war und sofort herabstieg, um Jesus in seinem Haus zu empfangen. Diese Begegnung ist viel wichtiger, als es die negativen Reaktionen der gewöhnlichen Leute sind. Den Zachäus scherte das nicht. Ähnlich König David, der nicht aufhört, aus Leibeskräften vor dem Herrn in der Bundeslade JHWH zu tanzen, weswegen ihm seine Frau Mikal Vorwürfe machte (vgl. 2 Sam 6,14-23).

Eine weitere Belehrung liegt in der Notwendigkeit zur Umkehr. Auch ein großer Sünder wie der Chef der Zöllner kann Barmherzigkeit und Vergebung von Gott erlangen. Alle Menschen, alle Kinder Abrahams sind zur Begegnung mit dem dreieinen Gott gerufen. Dieser Weg verlangt unverzichtbar die Umkehr. „Kehrt um und glaubt an das Evangelium“ (Mk 1,15), so lautet der ständige Aufruf Jesus Christi an uns Menschen. Wir alle haben die Umkehr nötig, auch wenn die Art und Weise unterschiedlich sein kann. Jeder weiß in den Tiefen seines Herzens und vor Gott, welcher Art sein Reichtum ist, der ehrlos und sündhaft aufgehäuft wurde, so daß man sich davon befreien muss. Hierbei handelt es sich nicht nur um die materiellen Güter; es gibt auch Leidenschaften, Abhängigkeiten, Vorurteile und Abschottungen gegenüber dem Nächsten, vor allem gegenüber den Bedürftigen, die unsere geistliche und materielle Hilfe nötig haben.

Die Begegnung mit dem Herrn, die Umkehr ist der Weg, der zur Freude darüber führt, Christ zu sein. Auch Zachäus hat diese Freude erfahren, gleich in dem Moment, als er die Worte Jesu hörte: „Zachäus, komm schnell herunter! Denn ich muss heute in deinem Haus bleiben“ (Lk 19,5).

Vertrauen wir unsere Überlegungen der Fürsprache der seligen Jungfrau Maria an, der Mutter der Kirche, auf daß wir in der Begegnung mit dem Herrn Jesus, der uns durch den Heiligen Geist zu Gott, unserem Vater führen will, der voller Güte und Barmherzigkeit ist, die Freude des Christseins (wieder)finden. Diese Dynamik ist dem Wirken des Geistes in unseren Herzen, unseren Familien und Gemeinschaften eigen. Sie möge sich ausweiten auf alle Menschen, denen wir auf unserem Lebensweg begegnen. Allen verkünden wir die Worte der Hoffnung des Herrn Jesus: „Denn der Menschensohn ist gekommen, um zu suchen und zu retten, was verloren ist“ (Lk 19,10). Amen.

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