Predigt von Nuntius Eterovic am 33. Sonntag im Jahreskreis
Apostolische Nuntiatur, 13. November 2022
(Mal 3,19-20; Ps 98; 2 Thess 3,7-12; Lk 21,5-19)
„Wenn ihr standhaft bleibt, werdet ihr das Leben gewinnen“ (Lk 21,19).
Liebe Schwestern und Brüder,
an diesem vorletzten Sonntag des Kirchenjahres und bevor wir am kommenden Sonntag das Hochfest Christkönig feiern, ermuntert uns das Wort Gottes, über das Ende der Welt und unserer menschlichen Existenz nachzudenken (I). Zugleich begehen wir heute den VI. Welttag der Armen, wozu der Heilige Vater Franziskus eine Botschaft geschrieben hat, die unsere Aufmerksamkeit verdient (II).
1. „Wenn ihr standhaft bleibt, werdet ihr das Leben gewinnen“ (Lk 21,19).
Dieser Zusicherung des Herrn Jesus muss man mit der dramatischen Ankündigung bewußt bleiben: „Es werden Tage kommen, an denen von allem, was ihr hier seht, kein Stein auf dem andern bleibt, der nicht niedergerissen wird“ (Lk 21,6). Jesus bezieht sich auf die Zerstörung des Jerusalemer Tempels, der somit ein Symbol für die Endzeit der Welt wird. Auf die Frage der Jünger: „Meister, wann wird das geschehen und was ist das Zeichen, dass dies geschehen soll?“ (Lk 21,7) antwortet der Herr nicht direkt. Vielmehr gibt er Hinweise, wie sich seine Jünger in der beschriebenen Zeit verhalten sollen. Sie mögen sich zunächst nicht täuschen lassen und falschen Propheten folgen (vgl. Lk 21,8). Inmitten der Kriege und Revolutionen sollen sie sich sodann nicht in Schrecken versetzen lassen, sondern in Ruhe und Frieden verharren und das Vertrauen in den lebendigen Gott behalten, denn Er ist stärker als alle menschliche Gewalt. Nach dem Herrn Jesus gilt dies auch in Zeiten, wo seine Jünger verfolgt werden. Er, der wahrhaft Unschuldige, wurde selbst verhaftet und zum Tod am Kreuz verurteilt. Auch nach seiner Auferstehung und seinem Sieg über Sünde und Tod geht die Verfolgung der Kirche und der Christen aufgrund seines Namens weiter (vgl. Lk 21,12). Die Verfolgung ist eine Konsequenz der Sünde im Herzen der Menschen, die auch das Universum negativ beeinflusst. Das Beispiel Jesu zeigt, dass der, der das Gute tut, oft verfolgt wird, weil er das Gute tut; ehrlose Leute unterstützen ihn nicht und suchen, nicht nur die Botschaft, sondern auch den Botschafter los zu werden.
Der Herr Jesus ermutigt uns auch in diesem dramatischen Umfeld und deutet auf einige positive Aspekte für die Kirche und seine Jünger. Verfolgung bietet die Möglichkeit, „Zeugnis zu geben“ (Lk 21,13). Auf diese Weise bereitet das Gute den Sieg über das Böse. Der auferstandene Herr ist besonders bei den um seines Namens willen Verfolgten gegenwärtig und unterstützt sie vor den Tribunalen: „Ich werde euch die Worte und die Weisheit eingeben, sodass alle eure Gegner nicht dagegen ankommen und nichts dagegen sagen können“ (Lk 21,15). Besonders schmerzhaft ist die Verfolgung durch eigene Angehörige, was nicht selten dann geschieht, wenn ein Familienmitglied sich bekehrt, und die anderen dies mit allen Mitteln zu verhindern suchen. Auf wenn alle uns um des Namens Jesu willen hassen, so ermutigt der Herr uns, Vertrauen in seine göttliche Vorsehung zu haben: „Euch wird kein Haar gekrümmt werden“ (Lk 21,18). Und er schließt mit den Worten: „Wenn ihr standhaft bleibt, werdet ihr das Leben gewinnen“ (Lk 21,19). Die Jünger Jesu sollen nicht jene fürchten, die zwar den Leib töten, „die Seele aber nicht töten können“ (Mt 10,28).
2. „ Jesus Christus … wurde euretwegen arm“ (2 Kor 8,9).
In diesen apokalyptischen Kontext vom Ende der Geschichte bringt der Heilige Vater Franziskus eines der grundsätzlichen Themen des Evangeliums zur Sprache: die Armut. „Der Welttag der Armen ist auch in diesem Jahr wieder eine gesunde Provokation, um uns zu helfen, über unsere Lebensweise und die vielen Formen der Armut der Gegenwart nachzudenken“ (Botschaft zum VI. Welttag der Armen, 13. Juni 2022, 1). Zu den Ursachen von Armut in der Welt tritt nach der Corona-Pandemie nunmehr auch der Krieg in Ukraine, der durch die Aggression der Russischen Föderation verursacht ist: „Wo immer wir unseren Blick hinwenden, sehen wir, wie die Gewalt die Wehrlosen und Schwächsten trifft. Es gibt Deportationen von Tausenden von Menschen, insbesondere von Kindern, um sie zu entwurzeln und ihnen eine andere Identität aufzuzwingen“ (a.a.O., 2). In diesem düsteren Zusammenhang ermutigt Papst Franziskus, indem er dem heiligen Paulus folgt, „den Blick auf Jesus zu richten: er, »der reich war, wurde euretwegen arm, um euch durch seine Armut reich zu machen« (2 Kor 8,9)“ (a.a.O., 3).
Von diesem Geist beseelt und der Bitte der Apostel Petrus, Jakobus und Johannes folgend, wird der heilige Paulus zum Spendensammler für die Armen der Kirche in Jerusalem, die unter einer Hungersnot litten, die das Land erfasst hatte. „Die Christen in Korinth erwiesen sich als sehr mitfühlend und hilfsbereit. Auf Anweisung von Paulus sammelten sie jeden ersten Tag der Woche, was sie angespart hatten, und alle waren sehr großzügig“ (a.a.O., ebd.). Dies wiederholt sich bis heute an jedem Sonntag bei der Feier der heiligen Eucharistie, denn auch wir „legen unsere Gaben zusammen, damit die Gemeinschaft auf die Not der Ärmsten antworten kann“ (a.a.O., ebd.). Möge diese Feier die Gelegenheit sein, die kirchliche und soziale Bedeutung der Kollekte und des Almosengebens zu erneuern.
Die Christen sind aufgerufen, mit den Armen zu teilen. Doch es geht nicht „um eine Wohlfahrtsmentalität gegenüber den Armen, wie es oft der Fall ist, sondern es geht darum, sich dafür einzusetzen, dass es niemandem am Nötigsten fehlt. Es ist nicht der Aktivismus, der rettet, sondern die aufrichtige und großherzige Aufmerksamkeit, mit der man sich einem armen Menschen als Bruder nähert, der seine Hand ausstreckt, damit ich aus der Lähmung, in die ich gefallen bin, erwache“ (a.a.O., 7). Es geht vielmehr darum, den Armen angemessene Bedingungen für deren eigene ökonomische, soziale und kulturelle Entwicklung zu schaffen, was der Würde der menschlichen Person entspricht. Hierzu schreibt der Papst: „Es ist dringend notwendig, neue Wege zu finden, die über den Ansatz jener Sozialpolitiken hinausgehen, die verstanden wird als eine Politik ‚gegenüber‘ den Armen, aber nie ‚mit‘ den Armen, die nie die Politik ‚der‘ Armen ist und schon gar nicht in einen Plan integriert ist, der die Völker wieder miteinander vereint“ (a.a.O., ebd.).
An diesem Punkt ist die Unterscheidung zwischen Armut im negativen Sinn und der im positiven Sinn nach der Lehre Jesu wichtig. Armut im negativen Sinn „ist das Elend, das Ergebnis von Ungerechtigkeit, Ausbeutung, Gewalt und ungerechter Verteilung der Ressourcen. Das ist die verzweifelte Armut, die keine Zukunft hat, weil sie von der Wegwerfkultur aufgezwungen wird, die weder Perspektiven noch Auswege bietet. Das ist die Armut, welche Menschen in extreme Bedürftigkeit bringt und dadurch auch die spirituelle Dimension untergräbt, die, auch wenn sie oft übersehen wird, existiert und zählt. Wenn das einzige Gesetz die Gewinnberechnung am Ende des Tages ist, dann gibt es keine Hemmungen mehr, der Logik der Ausbeutung von Menschen zu folgen: die Anderen sind nur Mittel. Gerechte Löhne, gerechte Arbeitszeiten gibt es nicht mehr, und es werden neue Formen der Sklaverei geschaffen, unter denen die Menschen leiden, die keine Alternative haben und diese bittere Ungerechtigkeit hinnehmen müssen, um das Existenzminimum zusammenzukratzen“ (a.a.O., 8). Die Christen und die Menschen guten Willens müssen dafür eintreten, diese Form der Armut aus der Welt zu verbannen.
Im Gegensatz dazu gibt es eine Armut, die reich macht und befreit. Es ist eine Armut, „die sich uns als verantwortungsvolle Entscheidung präsentiert, um Ballast abzuwerfen und sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. In der Tat kann man bei vielen Menschen leicht Unzufriedenheit erkennen, weil sie das Gefühl haben, dass etwas Wichtiges fehlt und sie sich wie ziellose Wanderer auf die Suche danach begeben. Auf der Suche nach dem, was sie befriedigen kann, müssen sie sich den Geringen, Schwachen und Armen zuwenden, um so endlich zu begreifen, was sie wirklich brauchen. Die Begegnung mit den Armen ermöglicht es, viele Ängste und substanzlose Befürchtungen zu überwinden und zu dem vorzustoßen, was im Leben wirklich zählt und was uns niemand wegnehmen kann: die wahre und unentgeltliche Liebe. Die Armen sind in der Tat, noch bevor sie Empfänger unserer Almosen sind, Individuen, die uns helfen, uns von den Fesseln der Rastlosigkeit und der Oberflächlichkeit zu befreien“ (a.a.O., ebd.).
Auch in unseren Tagen ist die Kirche gerufen, jene Lehre Jesu von der Armut zu verbreiten, die uns reich macht. Das bedeutet, dass, „Gott in seinem Sohn Jesus diesen Weg gewählt hat und ihn gegangen ist. Weil er für uns arm geworden ist, wird unser Leben erhellt und verwandelt und erhält einen Wert, den die Welt nicht kennt und nicht geben kann. Der Reichtum Jesu besteht in seiner Liebe, die sich niemandem verschließt und allen entgegenkommt, vor allem diejenigen, die an den Rand gedrängt und des Nötigsten beraubt sind. Aus Liebe hat er sich erniedrigt und menschliche Gestalt angenommen. Aus Liebe wurde er ein gehorsamer Diener, bis hin zum Tod am Kreuz (vgl. Phil 2,6-8). Aus Liebe wurde er zum »Brot des Lebens« (Joh 6,35), damit niemandem das Lebensnotwendige fehlt und er die Nahrung für das ewige Leben finden kann“ (a.a.O., 9).
Liebe Brüder und Schwestern, vertrauen wir unsere Gedanken an diesem Welttag der Armen der Fürsprache der seligen Jungfrau Maria an, der Mutter der Armen, damit auch wir die Lehre Jesu, der arm unter den Armen war, annehmen können. Die Armen sind unsere Brüder und Schwestern, vor allem die Opfer von Gewalt und Krieg, was uns die apokalyptischen Zustände am Ende der Welt und der Menschen vor Augen führt und danach hoffentlich zur Begegnung mit dem lebendigen Gott in der Gemeinschaft der Heiligen führt. Wir folgen dem Beispiel des Herrn Jesus, der uns in seiner Armut reich gemacht hat. Dafür unverzichtbar ist: „Wenn wir wollen, dass das Leben über den Tod triumphiert und die Würde von der Ungerechtigkeit befreit wird, dann ist der Weg der seine: Er besteht darin, der Armut Jesu Christi zu folgen, das Leben aus Liebe zu teilen, das Brot der eigenen Existenz mit den Brüdern und Schwestern zu brechen, angefangen bei den Geringsten, bei denen, denen das Nötigste fehlt, damit Gleichheit erreicht wird, die Armen vom Elend und die Reichen von der Selbstgefälligkeit befreit werden, die beide hoffnungslos sind“ (a.a.O., 9). Amen.