Predigt von Nuntius Eterovic am 33. Sonntag im Jahreskreis

Berlin, den 19. November 2023

(Spr 31,10-13.19-20; Ps 128; 1 Thess 5,1-6; Mt 25,14-30)

„Seid also wachsam! Denn ihr wisst nicht, an welchem Tag euer Herr kommt“ (Mt 24,42).

Liebe Schwestern und Brüder!

Dieser Vers, der uns einen Schlüssel zum Verständnis des heutigen Evangeliums bietet, beschreibt die Haltung der Wachsamkeit im christlichen Leben, vor allem in dieser Zeit zum Ende des Kirchenjahres. Am kommenden Sonntag feiern wir das Hochfest Christkönig, womit das liturgische Jahr endet, bevor es mit dem ersten Adventssonntag neu beginnt. Daher ermahnt uns das Wort Gottes zur Wachsamkeit (I), was auch für die Erfüllung unserer Berufung gilt (II), und die Absage an die Untätigkeit beinhaltet (III). An diesem Sonntag, wo wir den Welttag der Armen begehen, öffnen wir unsere Herzen der Gnade des Heiligen Geistes, um das, was Gott uns über Sein Wort mitteilen will, gut zu verstehen.

1. „Der Tag des Herrn kommt wie ein Dieb in der Nacht“ (1 Thess 5,2).

Der heilige Paulus fordert die Christen in Thessaloniki auf, wach für den Tag des Herrn zu sein, der plötzlich kommen wird, gleichsam „wie ein Dieb in der Nacht“ (1 Thess 5,2). Der Völkerapostel ist sich bewusst, dass die Situation unserer Welt, die einigermaßen ruhig scheint, und auch das Denken der Menschen, sie lebten in „Frieden und Sicherheit“ (1 Thess 5,3), sich schnell und radikal ändern kann. Es genügt, hierbei an die Aggression der Russischen Föderation in Ukraine zu denken, womit eine längere Periode des Friedens auf unserem europäischen Kontinent beendet wurde, oder an den Terror und die Gewalt im Mittleren Osten, um die Wahrheit dieser Aussage zu erkennen. Um das Drama der Welt, aber auch im menschlichen Herzen zu beschreiben, verwendet der heilige Paulus die Kategorien von Nacht und Tag. Die Nacht mit ihrer Dunkelheit ist die Zeit, in der Diebe und Übeltäter bevorzugt tätig sind, oder sie steht für eine Zeit der Passivität von Menschen gegenüber dem sich verbreitenden Bösen. „Denn wer schläft, schläft bei Nacht, und wer sich betrinkt, betrinkt sich bei Nacht“ (1 Thess 5,7). Im Gegensatz dazu müssen die Christen Menschen des Lichtes und des Tages sein, das heißt, sie bleiben wachsam und nüchtern (vgl. 1 Thess 5,6). Doch diese äußere Haltung allein reicht nicht aus. Der Jünger Jesu Christi muss den Geist seines Meisters teilen und aus dem Glauben heraus, in Hoffnung und christlicher Liebe leben: Wir „rüsten (uns) mit dem Panzer des Glaubens und der Liebe und mit dem Helm der Hoffnung auf Rettung“ (1 Thess 5,8). Durch die Taufe und in der Gnade des Heiligen Geistes wurden die Christen mit dem Herrn Jesus bekleidet, der „das Licht der Welt“ ist (Joh 8,12). Auf diese Weise hat Gott „uns nicht für das Gericht seines Zorns bestimmt, sondern dafür, dass wir durch Jesus Christus, unseren Herrn, die Rettung erlangen“ (1 Thess 5,9). Sakramental sind wir mit unserem Herrn Jesus Christus vereint, der für uns gestorben und auferstanden ist, „damit wir vereint mit ihm leben, ob wir nun wachen oder schlafen“ (1 Thess 5,10). Diese tiefe Einheit mit dem Herrn Jesus, dem Menschen und Gott, ist das Fundament unserer christlichen Hoffnung, auch in dieser oft dunklen Welt voller Hass, Gewalt, Terrorismus und Krieg.

2. „Nach langer Zeit kehrte der Herr jener Diener zurück“ (Mt 25,19).

Auch im heutigen Evangelium ist der Gedanke der Wiederkunft des Herrn gegenwärtig, der mit dem Bild des Gutsbesitzers vorgestellt wird, der zu einer langen Reise aufbricht. Er war reich und entwickelte einen Plan für die gute Verwaltung seiner Güter. Vor seiner Abreise vertraute er seinen Knechten sein Vermögen an: „Dem einen gab er fünf Talente Silbergeld, einem anderen zwei, wieder einem anderen eines, jedem nach seinen Fähigkeiten“ (Mt 25,15). Wir müssen uns bewusst machen, dass in der antiken Welt ein Talent ein großes Vermögen darstellte. In der Erzählung wird hervorgehoben, dass der Herr die Fähigkeiten seiner Knechte gut kannte, weswegen er jedem so viel anvertraute, womit er umzugehen imstande war. Und so legte der Diener, der fünf Talente erhalten hatte, diese gewinnbringend an und erhielt weitere fünf hinzu. Gleicherweise verhielt es sich bei jenem, der zwei Talente erhalten hatte und weitere zwei hinzuverdiente. Beide wurden gelobt: „Sehr gut, du tüchtiger und treuer Diener. Über Weniges warst du treu, über Vieles werde ich dich setzen. Komm, nimm teil am Freudenfest deines Herrn“ (Mt 25,21.23). Mit diesem Gleichnis will Jesus Christus seine Jünger ermuntern, in der Welt aktiv zu sein, um die Gaben fruchtbar zu machen, die uns Gott anvertraut hat.

Auch „die tüchtige Frau“ aus der ersten Lesung gestaltet ihre Aufgabe als Ehefrau und Mutter aktive. „Das Herz ihres Mannes vertraut auf sie“ (Spr 31,11). „Sie tut ihm Gutes und nichts Böses alle Tage ihres Lebens“ (Spr 31,12). Darüber hinaus sorgt diese kluge und weise Frau durch ihrer Hände Arbeit dafür, dass es der ganzen Familie an nichts fehlt. Mehr noch, sie ist großherzig auch zu den Armen und Hilfsbedürftigen: „Sie öffnet ihre Hand für den Bedürftigen und reicht ihre Hände dem Armen“ (Spr 31,20). Auf diese Weise sieht die tüchtige Frau nicht so sehr auf äußere Schönheit, die vergänglich ist und schnell vergeht, sondern sie pflegt die innere Schönheit, die aus großherziger Liebe entsteht, die auf dem Fundament des Glaubens an Gott steht, sich in der Liebe zu ihrem Ehemann und ihren Kindern ausdrückt und die Armen nicht vergisst. „Trügerisch ist Anmut, vergänglich die Schönheit, eine Frau, die den Herrn fürchtet, sie allein soll man rühmen“ (Spr 31,30). Die Werke ihrer Hände sprechen für sich und verdienen Lob vor Gott und den Menschen. Insofern bekommt in der „tüchtigen Frau“ die Botschaft des diesjährigen Welttages der Armen ein Gesicht, wenn es mit Worten aus dem Buch Tobit heißt: „Wende dein Angesicht von keinem Armen ab“ (Tob 4,7). Zur christlichen Wachsamkeit gehört somit auch, aufmerksam auf die Armen zu achten. Der Heilige Vater Franziskus beklagt zurecht, dass die „Aufmerksamkeit für die Ärmsten nicht gefördert wird“ und „Hektik, die tägliche Begleiterin des Lebens, verhindert, dass man innehält, dem anderen hilft und sich um ihn kümmert“ (Botschaft zum 7. Welttag der Armen, 19. November 2023, 4). Dabei muss unsere Zuwendung zu den Armen vom Evangelium geleitet werden und nicht nur aus sozialer Verantwortung: „Unsere Aufmerksamkeit für die Armen soll immer von einem evangeliumsgemäßen Realismus geprägt sein. Das Teilen muss den konkreten Bedürfnissen des Anderen entsprechen, es geht nicht darum, dass ich Überflüssiges loswerde. Auch hier bedarf es der Unterscheidung, unter der Führung des Heiligen Geistes, damit wir die wahren Bedürfnisse unserer Brüder und Schwestern erkennen, und nicht unsere eigenen Bestrebungen. Was sie sicherlich dringend brauchen, ist unsere Mitmenschlichkeit, unser für die Liebe offenes Herz“ (a.a.O., 9).

3. „Der Diener, der das eine Talent erhalten hatte“ (Mt 25,24).

Im Gleichnis liegt auf dem Diener, der ein Talent erhalten hatte, ein besonderer Akzent. Im Unterschied zu den beiden anderen Dienern, welche die erhaltenen Talente gewinnbringend angelegt hatten, blieb er passiv und gab schließlich nur das eine empfangene Talent dem Gutsherrn zurück. Aus seinen Worten kann man auf eine falsche Vorstellung von seinem Herrn schließen, die ihn als harten Menschen darstellt. Und so rechtfertigt er sich mit den Worten: „Weil ich Angst hatte, habe ich dein Geld in der Erde versteckt“ (Mt 25,25).

Die Haltung des Dieners lässt uns über das Bild Gottes nachdenken und über Sein Handeln an uns. Der Herr im Evangelium ist unser Vater im Himmel, der sich dennoch jedem von uns hier auf Erden zuwendet. Jedem gibt er die Talente nach seinem freien Willen und unseren spirituellen und materiellen Fähigkeiten. Der göttliche Wille ist, dass wir als Jünger seines Eingeborenen Sohnes Jesus Christus aktiv sind und die uns anvertrauten Gaben fruchtbar machen. Es ist nicht wichtig, wie viele Talente ein jeder empfangen hat, sondern entscheidend ist die Weise, was man damit macht, das heißt, ob man sie fruchtbringend einsetzt oder nicht. Auch der Diener mit dem einen empfangenen Talent hätte, wenn schon nicht ein weiteres Talent, so doch wenigstens die Zinsen hinzuverdienen können: „Du hättest mein Geld auf die Bank bringen müssen, dann hätte ich es bei meiner Rückkehr mit Zinsen zurückerhalten“ (Mt 25,27). Es ist der Wille Gottes, dass die Christen tüchtig sind und mit den empfangenen Gaben zum Wohl der Gemeinschaft arbeiten. Mit den Worten Jesu können wir zusammenfassen: „Denn wer hat, dem wird gegeben werden und er wird im Überfluss haben; wer aber nicht hat, dem wird auch noch weggenommen, was er hat“ (Mt 25,29). Für sein Nichtstun werden dem faulen und ängstlichen Diener nicht nur Vorwürfe gemacht, sondern er wird bestraft: Der Gutsbesitzer nahm ihm das Talent weg und ordnete an: „Werft den nichtsnutzigen Diener hinaus in die äußerste Finsternis! Dort wird Heulen und Zähneknirschen sein“ (Mt 25,30).

Liebe Brüder und Schwestern, die Worte des Herrn Jesus erlauben uns, Gott, seinen und unseren Vater, besser zu kennen. An Ihn dürfen wir uns im vertrauensvollen und liebenden Gebet wenden und Ihm auf seine große Liebe zu uns antworten. Wir müssen uns von der leider oft auch unter Christen verbreiteten irrigen Vorstellung des strengen Richters befreien, der nichts anderes tut, als dem Menschen auf Schritt und Tritt zu folgen, um ihm Vorwürfe zu machen und zu bestrafen. Im Gegensatz dazu hat uns Jesus Christus das Gesicht eines guten und barmherzigen Gottes geoffenbart, der möglich macht, auch das verlorene Schaf auf den rechten Weg zurückzuführen. Das Gleichnis vom barmherzigen Vater zeigt uns, dass wir einen Gott glauben, der mit großer Geduld auf die Umkehr des sündigen Kindes und auf seine Rückkehr in das Vaterhaus wartet (vgl. Lk 15,11-24). Der Herr Jesus lehrt uns, Gott vertrauensvoll als „Abba, Vater“ anzurufen (Mk 14,36). Er hat uns gelehrt, uns an Gott zu wenden mit dem wunderbaren Gebet des „Vater unser im Himmel“ (Mt 6,9-13). Diese rechte Haltung zu Gott wird in der Bibel auch mit dem Ausdruck der „Gottesfurcht“ beschrieben, womit nämlich die Weisheit beginnt (vgl. Spr 9,10; Ps 111,10).

Das beste Beispiel, wie man diese Gottesfurcht lebt, ist die selige Jungfrau Maria, die wir als „vollkommene Frau“ beschreiben können. Ihrer mütterlichen Fürsprache vertrauen wir auch die Erfüllung dieser Überlegungen an, damit jeder von uns wachsam bleibe, das Angesicht von keinem Armen abwende, im Licht des Tages lebe, den Verlockungen der Nacht und der Dunkelheit widerstehe und stets der Mahnung des Herrn Jesus bewusst ist: „Seid also wachsam! Denn ihr wisst nicht, an welchem Tag euer Herr kommt“ (Mt 24,42). Amen.

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