Predigt von Nuntius Eterovic am 4. Adventssonntag
Apostolische Nuntiatur, 12. Dezember 2021
(Mi 5,1-4; Ps 80; Hebr 10,5-10; Lk 1,39-45)
„Gesegnet bist du unter den Frauen und gesegnet ist die Frucht deines Leibes" (Lk 1,42).
Liebe Schwestern und Brüder!
Die Lesungen dieses vierten Adventssonntags bereiten uns geistlich auf das nahende Hohe Weihnachtsfest vor. Wir öffnen uns dem Heiligen Geist, dem Hauptprotagonisten im Wort Gottes, das wir gehört haben, und verweilen bei der Prophezeiung des Ortes der Geburt Jesu (I), bei seiner freien Entscheidung, Mensch zu werden (II), wie auch bei der Begegnung von Maria mit ihrer Cousine Elisabeth (III).
1. „Aber du, Betlehem-Efrata“ (Mi 5,1).
Der aus Judäa stammende Prophet Micha wirkte in der zweiten Hälfte des achten Jahrhunderts vor Christus. Die Prophezeiung, die wir gehört haben, bezieht sich auf die Geburt des Messias in Bethlehem, der Stadt König Davids. Gott wählt als Ort der Geburt Seines Sohnes nicht Jerusalem, jene große Stadt, das religiöse und politische Zentrum Israels, sondern die kleine Stadt Bethlehem. Auch diese Entscheidung Gottes unterstreicht, wie sehr er die Peripherie bevorzugt und die Demütigen, jene Menschen, die aufmerksam auf seine Stimme hören und bereit sind, seinen Willen zu tun. Bei der Prophetie ist die Verheißung hervorzuheben, der Messias werde König über Israel sein: „Aber du, Betlehem-Efrata, bist zwar klein unter den Sippen Judas, aus dir wird mir einer hervorgehen, der über Israel herrschen soll“ (Mi 5,1). Dabei handelt es sich aber um einen demütigen und friedliebenden König und nicht um einen Gewaltherrscher. „Er wird auftreten und ihr Hirt sein in der Kraft des HERRN“ (Mi 5,3), welche die Kraft der Liebe ist. Daher verkündet der Prophet einen Messias, der den Frieden bringt, und sein Reich erstreckt sich über die ganze Welt: „Sie werden in Sicherheit wohnen; denn nun wird er groß sein bis an die Grenzen der Erde“ (Mi 5,3-4). Die Kirche, die auf den in Bethlehem geborenen Messias gegründet ist, empfängt von Ihm, „dem Friedefürst“ (Jes 9,5), den Auftrag, der ganzen Welt den Frieden zu verkünden.
2. „Siehe, ich komme, um deinen Willen zu tun“ (Hebr 10,9).
Bei der Vorbereitung auf das Weihnachtsfest ist es gut, den Abschnitt aus dem Hebräerbrief zu betrachten, wo betont wird, dass Jesus sich frei entschieden hat, Fleisch anzunehmen, von einer Frau als Mensch geboren zu werden, von der seligen Jungfrau Maria, um so den Willen Gottvaters zu erfüllen. Es war eine Entscheidung aus der Liebe des Sohnes zu seinem Vater, die in unendlicher Weise alle Brandopfer und Tieropfer übersteigt. „An Brand- und Sündopfern hast du kein Gefallen. Da sagte ich: Siehe, ich komme - so steht es über mich in der Schriftrolle -, um deinen Willen, Gott, zu tun“ (Hebr 10,6-7). Jesus war sich der schweren Konsequenzen bewußt, die seine Entscheidung mit sich bringt: ein erniedrigendes Gericht und Urteil, der Tod am Holze des Kreuzes vor der glorreichen Auferstehung. Denn der Wille Gottes ist das Heil, die Erlösung der von Ihm geliebten Menschen (vgl. Lk 2,14). Der Verfasser des Hebräerbriefes spielt auf diese Wirklichkeit an, auf das Opfer der Liebe Jesu, wenn er schreibt: „Aufgrund dieses Willens sind wir durch die Hingabe des Leibes Jesu Christi geheiligt - ein für alle Mal“ (Hebr 10,10). Somit ist die Geburt Jesu in Bethlehem schon ausgerichtet auf den Kalvarienberg, auf den Ort unserer Erlösung.
In dieser Adventszeit, die sich ihrem Ende zuneigt, bedenken wir mit wachem Bewußtsein das Weihnachtsgeheimnis, jene große Liebe Jesu Christi zu seinem Vater und zu uns allen. Nehmen wir seine Liebe auf und teilen wir sie mit den Menschen, denen wir auf unserem Lebensweg begegnen.
3. „Gesegnet bist du unter den Frauen und gesegnet ist die Frucht deines Leibes" (Lk 1,42).
Die Begegnung der beiden Verwandten, von Maria und Elisabeth, erfüllt uns mit Freude. Beide Frauen hatten Grund, sich zu freuen, denn sie waren vom Heiligen Geist erfüllt, der sie die Größe des Geheimnisses verstehen ließ, das sie erlebten. Maria hat Jesus durch das Wirken des Heiligen Geistes empfangen (vgl. Lk 1,35). Elisabeth wurde „vom Heiligen Geist erfüllt“ (Lk 1,41), als sie den Gruß Marias hörte „und rief mit lauter Stimme: Gesegnet bist du unter den Frauen und gesegnet ist die Frucht deines Leibes“ (Lk 1,42). Der Heilige Geist ist die Hauptperson bei dieser Begegnung der Cousinen, und er lässt Elisabeth verstehen, dass Maria den Herrn in ihrem Schoß trägt. Sie erachtet sich eines solchen Besuches nicht würdig. Dennoch erfüllt er sie mit Freude, auch weil sie selbst im sechsten Monat schwanger ist. Daher sagt sie: „Wer bin ich, dass die Mutter meines Herrn zu mir kommt?“ (Lk 1,43). Vom Heiligen Geist erfüllt, beschließt Elisabeth ihren außergewöhnlichen Gruß, indem sie Maria dafür preist, das Wort Gottes angenommen zu haben, das in ihrem Leib Fleisch geworden ist: „Und selig, die geglaubt hat, dass sich erfüllt, was der Herr ihr sagen ließ“ (Lk 1,45).
Maria freut sich ebenfalls im Heiligen Geist, denn sie wird die Mutter Jesu, der nach der Ankündigung des Engels „heilig und Sohn Gottes genannt werden wird“ (Lk 1,35). Doch es genügt ihr nicht, sich auf die Geburt des Sohnes vorzubereiten, sondern wir lesen im heutigen Evangelium. „Maria machte sich auf den Weg und eilte in eine Stadt im Bergland von Judäa“ (Lk 1,39), um ihrer Verwandten Elisabeth beizustehen, bei der sie dann „etwa drei Monate blieb“ (Lk 1,56), das heißt also bis zur Geburt von Johannes. Auf diese Weise gibt Maria ein ausgezeichnetes Beispiel der Liebe. Sie denkt mehr an andere, als an sich selbst. Aus dieser Haltung erwächst aber ein Moment der Freude und des Segens, nicht nur für die beiden Cousinen und für Zacharias, den Mann der Elisabeth, oder für Jesus und Johannes, sondern für uns alle, die wir diese wunderschöne Seite unserer Erlösung betrachten.
Lassen auch wir uns vom Heiligen Geist führen und gemeinsam mit Maria ausrufen: „Meine Seele preist die Größe des Herrn und mein Geist jubelt über Gott, meinen Retter. Denn auf die Niedrigkeit seiner Magd hat er geschaut“ (Lk 1,46-48).
Liebe Brüder und Schwestern, mit Freude und Demut, wie die selige Jungfrau Maria, die Mutter Jesu und unsere Mutter, wollen wir uns auf das nahe Weihnachtsfest vorbereiten. Wir betrachten besonders den Reichtum an Bedeutung im Gruß der Elisabeth: „Gesegnet bist du unter den Frauen und gesegnet ist die Frucht deines Leibes“ (Lk 1,42). Wir tun dies jeden Tag und immer, wenn wir den Engel des Herrn und den Rosenkranz beten. Während wir auf die Ankunft des Herrn warten, beten wir, dass sich in uns und in der heiligen Mutter Kirche die Bitte erfüllen möge, die wir an den allmächtigen Gott mit folgenden Worten richten: „Herr, du hast eine demütige Tochter Israels erwählt, um in ihr Mensch zu werden. Schenke deiner Kirche eine tiefe Anhänglichkeit an deinen Willen, damit sie in der Nachahmung des Gehorsams des Wortes, das in die Welt gekommen ist, um zu dienen, mit Maria einstimme in den Lobpreis über dein Heil und dir ein ewiges Loblied singe“. Amen.