Predigt von Nuntius Eterovic am 4. Fastensonntag

Apostolische Nuntiatur, 27. März 2022

(Jos 5,9a.10-12; Ps 34; 2 Kor 5,12-21; Lk 15,1-3.11-32)

4. Fastensonntag – Laetare – LJ C

„Dieser, dein Bruder, war tot und lebt wieder; er war verloren und ist wiedergefunden worden.“ (Lk 15,32).

Liebe Schwestern und Brüder!

Der vierte Fastensonntag wird Laetare-Sonntag genannt wegen des Eingangsverses zur Heiligen Messe: Laetare Jerusalem – Freu dich, Stadt Jerusalem „und jauchzt in ihr alle, die ihr sie liebt! Jubelt mit ihr, alle, die ihr um sie trauert, auf dass ihr trinkt und satt werdet an der Brust ihrer Tröstungen“ (Jes 66,10-11). In der Mitte der Fastenzeit werden wir zur Freude ermuntert, denn wir nehmen auf geistliche Weise die Osterfreude vorweg, die heute in besonderer Weise in der Barmherzigkeit unseres Vaters im Himmel wahrgenommen wird. Denn das gehörte Gleichnis offenbart uns das barmherzige Antlitz Gottvaters, der seinen beiden Söhnen, dem jüngeren (I) wie auch dem älteren (II) gegenüber Barmherzigkeit übt. Das Gleichnis ist uns bekannt, doch ist es gut, es in der Fastenzeit nochmals zu lesen, um das Fehlverhalten der beiden Söhne, die Umkehr und Rückkehr zur barmherzigen Liebe des Vaters (III) zu betrachten.

1.  Vater, „ich bin nicht mehr wert, dein Sohn zu sein“ (Lk 15,21).

In gewisser Weise haben wir alle schon die Erfahrung des jüngeren Sohnes gemacht, dessen Verhalten im heutigen Evangelium gut beschrieben wird. Er wollte seine Heimat und die Familie verlassen und unabhängig werden, die große Welt bereisen und kennenlernen. Dafür brauchte er Geld und verlangte von seinem Vater die Auszahlung seines Erbes. Der Beschreibung ist zu entnehmen, dass der Jüngling noch nicht wirklich erwachsen war. Er wusste nicht gut mit seinem Vermögen umzugehen. Mit einem ausschweifenden Lebensstil verprasste er es rasch. Ohne Geld musste er „die Schweine hüten“ (Lk 15,15), um der Hungernot zu entgehen, die in jenem Land herrschte, wo er lebte. Diese Angabe zeigt, dass er in einem heidnischen Land war, denn Juden züchten keine Schweine, weil sie diese Tiere für unrein halten. Zugleich zeigt dies, wie tief der junge Jude gesunken war, wenn er sich um Schweine kümmern musste.

Der Jüngling aber begann nachzudenken. Er hat erfahren, wie flüchtig Reichtum ist und wie sinnlos ein Abenteurerleben in einer fremden Welt sein kann. Er ging in sich, tief in sein Sein und das Herz, bereute und beschloss, zurück nachhause zu seinem Vater zu kehren. Seine reuevollen und bußfertigen Gedanken, die er dem Vater mitteilen wollte, formulierte er mit den Worten: „Vater, ich habe mich gegen den Himmel und gegen dich versündigt. Ich bin nicht mehr wert, dein Sohn zu sein; mach mich zu einem deiner Tagelöhner“ (Lk 15,18-19).

Wir finden uns in diesem Sohn jedes Mal dann wieder, wenn wir um jeden Preis unsere Bedürfnisse befriedigen und nur nach unserem Willen leben wollen. Das gilt insbesondere für junge Leute, die nicht selten gegen ihre Eltern, ihre Art zu leben rebellieren und jene Werte ablehnen, die sie für ein persönliches, familiäres und soziales Leben für wichtig erachten. Unsere Entscheidung zählt, auch wenn man wenig darüber nachgedacht oder das Pro und Contra abgewogen und die Meinung von reiferen Menschen mit mehr Lebenserfahrung eingeholt hat. Oft sind es die Launen der Jugend, die jedoch zuweilen ernsthafte Folgen für das ganze Leben haben können. Wichtig ist, was der junge Mann im Evangelium tat, nämlich in sich zu gehen, zu bereuen und zum Haus des Vaters zurückzukehren, der bereit ist, uns zu verzeihen. Es ist nie zu spät für die Umkehr und einen Neuanfang.

2.  „Siehe, so viele Jahre schon diene ich dir“ (Lk 15,29).

Um die Beschreibung der Reaktion des älteren Sohnes besser zu verstehen, muss man an den Anfang des Abschnitts aus dem Evangelium zurückkehren, wo steht, dass Jesus Christus mit diesem Gleichnis auf die Kritik der Pharisäer und Schriftgelehrten reagierte, die empört riefen: „Dieser nimmt Sünder auf und isst mit ihnen“ (Lk 15,1). Für Pharisäer und Schriftgelehrte bleibt der Sünder für immer ein Sünder, der abgelehnt und verurteilt werden muss. Der ältere Sohn ist gleichsam ein Vertreter von denen, die sich selbst für gerecht und überlegen halten. Doch nach Jesus haben auch diese die Umkehr nötig. Denn der ältere Sohn verhält sich schlecht. Als er gewahr wird, dass sein Bruder zurückgekehrt war, wollte er nicht ins Haus gehen. Seinem Vater, der kam, ihn zu suchen, hielt er seine Treue vor: „Siehe, so viele Jahre schon diene ich dir und nie habe ich dein Gebot übertreten; mir aber hast du nie einen Ziegenbock geschenkt, damit ich mit meinen Freunden ein Fest feiern konnte“ (Lk 15,29). Und dann wirft er dem Vater das Verhalten dem verschwenderischen Sohn gegenüber vor: „Kaum aber ist der hier gekommen, dein Sohn, der dein Vermögen mit Dirnen durchgebracht hat, da hast du für ihn das Mastkalb geschlachtet“ (Lk 15,30).

Jeder von uns ähnelt dem älteren Sohn, wenn wir uns auf diese Weise verhalten, wenn wir uns selbst als gerecht ansehen, in Übereinstimmung mit den religiösen Vorschriften und leicht andere verurteilen, auch wenn wir ihnen nicht ins Herz geschaut haben oder deren Gründe kennen, weil sie sich so verhalten, wie sie es tun. Wir sind dem älteren Sohn ähnlich, wenn wir vortäuschen, ohne Sünde zu sein und daher den Empfang des Bußsakramentes nicht nötig zu haben. Wir vergessen, dass wir nicht nur durch das Tun sündigen, sondern auch durch das Unterlassen. Zu Beginn der Heiligen Messe wenden wir uns an Gott und bitten um seine Verzeihung, denn wir haben „Gutes unterlassen und Böses getan“, haben gesündigt „in Gedanken, Worten und Werken“ (im Lateinischen heißt es: cogitatione, verbo, opere et omissione – in Gedanken, Worten, Werken und durch Unterlassung, Nichtstun, Untätigkeit). Die Fastenzeit ist die für die sakramentale Beichte eigene Zeit, um das Verhalten des älteren Sohnes abzulegen, der sich weder über die Rückkehr seines Bruders, noch über einen reuigen Sünder freuen konnte, und dem Beispiel des barmherzigen Vaters zu folgen.

3.  „Dieser, dein Bruder, war tot und lebt wieder; er war verloren und ist wiedergefunden worden“ (Lk 15,32).

Die Gestalt des Vaters bestimmt die biblische Erzählung. Jesus zeigt Gott, seinen und unseren Vater, der in seiner Güte und Barmherzigkeit bereit ist, uns immer wieder aufzunehmen, wenn wir mit zerknirschtem Herzen zu Ihm zurückkehren.

Es überrascht in gewisser Weise, wie leicht der Vater seinen jüngeren Sohn in die Welt ziehen lässt, obwohl er weiß, dass dies eine falsche und waghalsige Entscheidung ist, die ihn in große Schwierigkeiten bringen wird. Der Vater aber achtet die Persönlichkeit seines Sohnes und seine Freiheit. Er wünscht sich, dass er durch Lebenserfahrung reif und erwachsen wird. Aus dem biblischen Bericht wissen wir, dass die Entscheidung des Sohnes dem Vater sehr zu Herzen ging, er immer an ihn dachte und seine Rückkehr erwartete. Als der Sohn zurückkehrte, zeigte sich der Vater ihm gegenüber großzügig und machte ihm keine Vorwürfe, sondern gab ihm seine Stellung als Sohn zurück und richtete wegen seiner leiblichen und geistlichen Rückkehr ein großes Fest aus.

Der Vater zeigt auch dem älteren Sohn gegenüber Barmherzigkeit. Er spricht mit ihm und macht klar, dass zu ihrem Zusammenleben gehört, alles gemeinsam zu haben: „Mein Kind, du bist immer bei mir und alles, was mein ist, ist auch dein“ (Lk 15,31). Außerdem suchte der Vater, das Herz seines älteren Sohnes zu erweichen, damit auch er erfahren kann, wie selig es macht, barmherzig zu sein. Daher sagt er zu ihm: „Aber man muss doch ein Fest feiern und sich freuen; denn dieser, dein Bruder, war tot und lebt wieder; er war verloren und ist wiedergefunden worden“ (Lk 15,32).

Wir entnehmen dem Evangelium nicht, ob der ältere Sohn auf den Vater gehört hat. Das Fehlen dieser Antwort treibt jeden von uns möglicherweise umso mehr an, alles zu tun, in die offenen Arme des Vaters zu fallen, um in sein Haus einzutreten und sich mit dem jüngeren Bruder und anderen zu versöhnen. Auf jeden Fall ist eine kompromisslose, formalistisch strenge Haltung wie die des älteren Bruders zu vermeiden, damit man sich immer mehr der Barmherzigkeit des göttlichen Vaters anzunähern imstande ist. Das ist im Übrigen eine christliche Berufung, wie Jesus lehrt, wenn er uns als Maxime gibt: „Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist“ (Lk 6,36).

In dieser Barmherzigkeit werden wir die christliche Freude finden, auch in dieser Fastenzeit, die vom tragischen Krieg gezeichnet ist, wo Ukraine das Opfer der Aggression der mächtigen russischen Armee ist. Vertrauen wir unsere Betrachtungen und vor allem unser Gebet der mächtigen Fürsprache der seligen Jungfrau Maria an, der Königin des Friedens, damit alle Völker der Erde wahren Frieden in Gerechtigkeit finden mögen. Beten wir, dass bald die Waffen schweigen und Verhandlungen beginnen, auf dass viele Menschenleben gerettet werden. In diesem Sinn können wir auch für die Friedenshoffnung in Ukraine und überall in der Welt das Wort des göttlichen Vaters anwenden: „Dieser, dein Bruder, war tot und lebt wieder; er war verloren und ist wiedergefunden worden“ (Lk 15,32). Amen.

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