Predigt von Nuntius Eterovic am 4. Fastensonntag
Apostolische Nuntiatur, 22. März 2020
(1 Sam 16,1.4.6-7.10-13; Ps 23; Eph 5,8-14; Joh 9,1-41)
„Ich bin das Licht der Welt“ (Joh 9,5).
Liebe Schwestern und Brüder!
Das Evangelium des vierten Fastensonntags ermuntert uns, Jesus Christus über das Licht zu loben, denn er ist das wahre Licht der Welt. Das Licht ist ein in der Bibel oft gebrauchtes Symbol. Es genügt, an den Beginn der Heiligen Schrift zu erinnern. Das erste Werk Gottes war die Schöpfung des Lichts: „Gott sprach: Es werde Licht. Und es wurde Licht. Gott sah, dass das Licht gut war. Und Gott schied das Licht von der Finsternis. Und Gott nannte das Licht Tag und die Finsternis nannte er Nacht. Es wurde Abend und es wurde Morgen: erster Tag“ (Gen 1,3-5). In der Apokalypse am Ende der Bibel finden wir das neue Licht, das die heilige Stadt Gottes erleuchtet. „Die Stadt braucht weder Sonne noch Mond, die ihr leuchten. Denn die Herrlichkeit Gottes erleuchtet sie und ihre Leuchte ist das Lamm“ (Offb 21,23). Weiterhin schreibt der inspirierte Autor: „Es wird keine Nacht mehr geben und sie brauchen weder das Licht einer Lampe noch das Licht der Sonne. Denn der Herr, ihr Gott, wird über ihnen leuchten und sie werden herrschen in alle Ewigkeit“ (Offb 22,5). Im Evangelium des Heiligen Johannes nimmt das Licht einen überaus bevorzugten Platz ein. Erinnern wir uns an den Prolog, wo der Apostel über Jesus Christus sagt: „Das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet, kam in die Welt. Er war in der Welt und die Welt ist durch ihn geworden, aber die Welt erkannte ihn nicht“ (Joh 1,9-10). Im neunten Kapitel des Johannesevangeliums, das verkündet worden ist, finden wir erneut das Lichtsymbol. Jesus selbst präsentiert sich als das Licht der Welt: „Solange ich in der Welt bin, bin ich das Licht der Welt“ (Joh 9,5). Vor Jesus, dem Licht der Welt, muss der Mensch sich entscheiden, ob er das Licht Jesu annimmt oder vor ihm flieht, indem er Augen und Herz verschließt. In der Erzählung des Evangeliums finden wir diese beiden Haltungen angesichts des Lichts, das in letzter Analyse Jesus Christus ist. Nach dem Herrn Jesus gibt es zwei Arten von Blindheit: die leibliche (I) und die geistliche (II). Die biblische Erzählung lässt uns die Wichtigkeit des inneren Lichts verstehen, des Glaubens, den wir aufgrund der Gnade des Heiligen Geistes erhalten und lebendig machen können (III).
1. Der Blindgeborene
Der Bericht von der Begegnung Jesu mit dem Blindgeborenen bricht mit den Vorurteilen jener Zeit. Man dachte nämlich, jede Krankheit sei die Konsequenz aus vorausgegangenen Sünden. Da es sich um einen Blinden von Geburt an handelte, musste er die Sünden seiner Eltern sühnen. Jesus dagegen sagt: „Weder er noch seine Eltern haben gesündigt, sondern die Werke Gottes sollen an ihm offenbar werden“ (Joh 9,3). Tatsächlich wird die Heilung des Blinden zum Lob an Gott, den Vater, welcher der Schöpfer sowohl des Menschen wie des Lichts ist. Als zweites gibt Jesus dem Sabbat, dem Tag des Herrn der Juden, seine wahre Bedeutung. Im Gegensatz zur formalen und legalistischen Auffassung lehrt Jesus, daß es auch am Sabbat erlaubt sei, Gutes zu tun, einen Blindgeborenen zu heilen und auf diese Gott zu loben. Der Herr wirkt das Wunder, wobei er sich bewußt ist, daß er sich mit dieser Haltung den Zorn der Pharisäer zuzieht. Die Beschreibung des Dialogs Jesu mit dem Blinden, wie auch der Prozess der Heilung im Vertrauen auf die Anweisungen des Herrn bieten einen katechetischen Weg, der auf die Situation des Blindgeborenen hin angewandt wird, insofern er sich vom Herrn führen lässt. Der Evangelist beschreibt gut den Übergang von der materialen, leiblichen Heilung hin zu einer geistlich-spirituellen. Der Blinde legt auch in dem feindlichen Umfeld seiner Begegnung mit den Pharisäern Zeugnis davon ab, was Jesus an ihm getan hat. Am Ende erkennt er in Jesus den Menschensohn und sagt dies mit einem bewegenden Ausdruck des Glaubens: „Ich glaube, Herr“ (Joh 9,38).
2. Die geistlich-spirituelle Blindheit
Über die leibliche Blindheit hinaus, die in der Person des Blindgeborenen repräsentiert ist, gibt es eine andere, eine spirituelle Blindheit, die im Evangelium den Pharisäern eigen ist. Sie wollen nicht die Tatsache akzeptieren, daß Jesus ein Wunder vollbracht und einem Blinden die Augen geöffnet hat. Sie tun alles, um sich diesem Beweis zu entziehen. Zweimal befragen sie den Blindgeborenen und auch dessen Eltern. Außerdem stellen sie abstrakte Überlegungen an. Einer, der das Gesetz nicht achtet und somit auch nicht das Sabbatgebot, ist ein Sünder und kann deswegen auch kein Wunder tun. Als der Blindgeborene jedoch auf der Wahrheit seiner Worte und seiner Erfahrung besteht, traktieren ihn die Pharisäer mit bösen Worten und werden handgreiflich: „Du bist ganz und gar in Sünden geboren und du willst uns belehren? Und sie stießen ihn hinaus“ (Joh 9,34). Jesus Christus verurteilt streng eine solche Haltung, die aufgrund des Namens Pharisäer gemeinhin als pharisäisch bezeichnet wird. Sie verstehen die Worte des Herrn gut: „Um zu richten, bin ich in diese Welt gekommen: damit die nicht Sehenden sehen und die Sehenden blind werden“ (Joh 9,39), worauf sie ihn fragen: „Sind etwa auch wir blind?“ (Joh 9,40). Die Antwort des Herrn ist hart: „Wenn ihr blind wärt, hättet ihr keine Sünde. Jetzt aber sagt ihr: Wir sehen. Darum bleibt eure Sünde“ (Joh 9,41). Die Pharisäer sehen zwar mit ihren leiblichen Augen, doch geistlich sind sie blind.
3. „Ich bin das Licht der Welt“ (Joh 9,5).
Jesus wiederholt diese Wahrheit auch heute an alle Menschen auf der Welt, die wegen der Ausbreitung des Corona-Virus verängstigt sind. Er unterscheidet klar zwischen der leiblichen und der geistlichen Blindheit. Durch ein Wunder schenkte er dem Blindgeborenen das Sehvermögen. Auf diese Weise ermutigt er uns, das Leben unserer blinden Brüder zu erleichtern, die dank moderner Technik und Methoden eine gute Bildung erhalten und aktive Mitglieder der Gesellschaft im Allgemeinen und in der kirchlichen Gemeinschaft im Besonderen werden können. Es gibt aber eine spirituelle Blindheit, die mit Blick auf den Glauben das wahre Problem ist. Symbolisch stehen hierfür die Pharisäer, welche die Bibel gut kennen, die den von Jesus Geheilten gesehen haben und die dennoch nicht an Ihn glauben. Aufgrund ihrer verstockten Herzen geht Jesus hart mit ihnen um. Wir sollten jedoch darauf achten, daß solches nicht auch uns und unseren Zeitgenossen geschieht. Leider passiert dies, wenn Menschen ihr Herz der Gnade Gottes verschließen und deswegen das Geschenk des Glaubens nicht annehmen, das als Licht imstande ist, ihr persönliches, familiäres und soziales Leben zu erleuchten. Nach den statistischen Daten steigt die Zahl dieser Menschen in Europa.
Jesus Christus, das Licht der Welt, erleuchtet die Gläubigen auch in Zeiten der Corona-Virus-Epidemie. Sie lässt uns die wahre menschliche Natur erkennen. Der Mensch ist groß, ihm hat Gott die Sorge für die geschaffene Welt anvertraut (vgl. Gen 1,26-31). In der Bibel wird der Mensch gleichsam wie ein Gott beschrieben. Jesus zitiert aus Psalm 81 den Vers 6: „Steht nicht geschrieben in eurem Gesetz: Ich habe gesagt: Ihr seid Götter?“ (Joh 10,34). Andererseits ist der Mensch schwach, aus Staub gemacht (vgl. Gen 3,19). Zu Beginn der Fastenzeit, am Aschermittwoch, werden wir an diese Wirklichkeit durch die Formel, die beim Auftragen des Aschenkreuzes gesprochen wird, erinnert: „Bedenke Mensch, daß du Staub bist und zum Staub zurückkehren wirst“. Diese Wahrheit drängt uns, demütig zu sein und unsere Grenzen zu kennen: wir sind gebrechliche und sterbliche Menschen. Gott liebt auch diesen Staub, der wir sind, und er verheißt uns das ewige Leben: hierin besteht die Großartigkeit des Menschen. Das also ist die große Hoffnung, die wir auch in dieser Zeit von Todesangst wiederentdecken sollten. Der Tod bedeutet das Ende des irdischen Lebens, eröffnet jedoch das Tor zum ewigen Leben für alle, die an Jesus glauben und sein Licht des Lebens ergreifen. In Situationen wie diesen werden wir uns des gemeinsamen Schicksals der Menschheit bewußt: wir alle sind in Gefahr und wir alle sind gerufen, einander beizustehen. Die allgemeine Solidarität ist die goldene Regel. Menschen mit Krankheitssymptomen müssen achtsam sein, um das Virus nicht an andere zu übertragen. Sie müssen daher in Quarantäne oder Selbstisolation bleiben. Kranke Menschen, vor allem die Schwerkranken müssen angemessene medizinische und spirituelle Hilfe bekommen.
Als Jünger Jesu Christi, dem Licht der Welt, setzen wir unser Vertrauen auf das Gebet, das alle menschliche Anstrengungen begleitet, um die Ausbreitung der Epidemie einzudämmen, vor allem mittels intensiver wissenschaftlicher Forschung, um wirksame Medikamente zu finden. Im Gebet begleiten wir die Menschen, die ihre Lieben verloren haben, und bitten darum, sie mögen Trost im Glauben an das ewige Leben finden. Wir vertrauen unser Gebet der Fürsprache der heiligen Schutzpatrone an, vor allem der Gottesmutter Maria, Heil der Kranken, damit wir auch in diesen dunklen Zeiten feststehen im Glauben an den Herrn Jesus, der uns versichert: „Ich bin das Licht der Welt“ (Joh 9,5). Amen.