Predigt von Nuntius Eterović am 4. Ostersonntag

(Apg 4,8-12; Ps 118; 1 Joh 3,1-2; Joh 10,11-18)

Berlin, 22. April 2018

„Ich bin der gute Hirt“ (Joh 10,11).

 

Liebe Brüder und Schwestern!

Der heutige vierte Ostersonntag ist als der Sonntag des guten Hirten bekannt. Jesus definiert sich selbst im Evangelium des Heiligen Johannes: „Ich bin der gute Hirt“ (Joh 10,11). Im Licht der Auferstehung reflektieren wir das Wort des Herrn Jesus und verweilen besonders bei der Darstellung seiner selbst (I), sowie bei der Bedeutung dessen, was ein guter Hirte ist. Wir wollen sodann für Priester- und Ordensberufungen beten, wobei wir uns auf die Botschaft des Heiligen Vaters Franziskus beziehen (III).

1. Ich bin der gute Hirt.

Im Licht der Auferstehung des Herrn Jesus erfassen wir den tieferen Sinn dieses Ausspruchs besser, den er während seines öffentlichen Wirkens sagt und den er auf sich selbst bezieht. Jesus Christus präsentiert sich oft in der ersten Person (ἐγὼ εἰμί): „Ich bin das Licht der Welt“ (Joh 8,12); „Ich bin das Brot des Lebens“ (Joh 6,35); „Ich bin das Brot, das vom Himmel herabgekommen ist“ (Joh 6,41); „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben“ (Joh 14,6); „Ich bin die Auferstehung und das Leben“ (Joh 11,25) etc. Im heutigen Evangelium sagt Jesus von sich: „Ich in der gute Hirt“. Diese Ausdrucksweise des Herrn Jesus erinnert uns an die Definition, die JHWH von sich selbst gibt. Auf die Frage Mose über seinen Namen antwortet Gott: „Ich bin, der ich bin“. Dann sprach er: „So sag zu den Israeliten: Der Ich bin ….. hat mich zu euch gesandt. Das ist mein Name für immer und so wird man mich anrufen von Geschlecht zu Geschlecht“ (Ex 3,13-15). Jesus möchte, daß wir die Ähnlichkeit zwischen seinem Namen und dem von JHWH sehen. Im Johannesevangelium sagt er: „Wenn ihr nicht glaubt, dass ich es bin, werdet ihr in euren Sünden sterben“ (Joh 8,24). In der Auseinandersetzung mit den Schriftgelehrten und Pharisäern, die wissen wollten: „Wer bist du?“ antwortet Jesus: „Wenn ihr den Menschensohn erhöht habt, dann werdet ihr erkennen, dass Ich es bin. Ihr werdet erkennen, dass ich nichts von mir aus tue, sondern nur das sage, was mich der Vater gelehrt hat“ (Joh 8,28). Der Bezug auf Gottvater und seine Aussagen über die Gleichheit mit dem Vater waren auch eines der Argumente, um Jesus zu töten: „Darum suchten die Juden noch mehr, ihn zu töten, weil er nicht nur den Sabbat brach, sondern auch Gott seinen Vater nannte und sich damit Gott gleichmachte“ (Joh 5,18).

Die Worte Jesu entfalten ihre wahre Bedeutung im Licht seines Sieges über Sünde und Tod. In der Auferstehung hat er machtvoll gezeigt, daß Er ebenso wie der Vater der „Ich bin“ ist. Die „Ich bin“-Aussagen sind daher keine Vermutungen, sondern Aussagen seines Bewusstseins darüber, der Messias, der Menschensohn und der Sohn Gottes zu sein. Das lädt uns ein, unseren Glauben an Jesus Christus, das fleischgewordene Wort (vgl. Joh 1,14) zu erneuern, „das Alpha und das Omega, der Anfang und das Ende“ (Offb 21,6).

2. Der gute Hirt gibt sein Leben hin für die Schafe.

In dem kurzen Evangelientext wiederholt Jesus Christus fünfmal das Verb hingeben im Zusammenhang mit den ihm Anvertrauten: „Der gute Hirt gibt sein Leben hin für die Schafe“ (Joh 10,11); „Ich gebe mein Leben hin für die Schafe“ (Joh 10,15); „Deshalb liebt mich der Vater, weil ich mein Leben hingebe, um es wieder zu nehmen“ (Joh 10,17); „Niemand entreißt es mir, sondern ich gebe es von mir aus hin. Ich habe Macht, es hinzugeben, und ich habe Macht, es wieder zu nehmen“ (Joh 10,18). Die Hingabe des Lebens charakterisiert daher den guten Hirten. Er gibt sein Leben hin für die Schafe, die er kennt, und die Schafe kennen ihn. Er verhält sich nicht wie ein bezahlter Knecht, der die Schafe in der Stunde der Gefahr verlässt, sondern er gibt sein Leben für sie. Es handelt sich dabei nicht um eine kleine Herde. Seine von Gottvater gewollte Mission ist universal, insofern Er „noch andere Schafe (hat), die nicht aus diesem Stall sind; auch sie muss ich führen und sie werden auf meine Stimme hören; dann wird es nur eine Herde geben und einen Hirten“ (Joh 10,16).
In dieser österlichen Zeit setzten wir die Reflektionen fort über das großherzige Lebensopfer Jesu für die seinen, für uns, und über den Grund einer solchen Haltung, die wir in seiner großen Liebe finden: „Er liebte sie bis zur Vollendung“ (Joh 13,1). Nach einigen Exegeten wäre eine Übersetzung des griechischen Originaltextes mit ablegen genauer, als mit hingeben. Der Sinn wäre der Haltung Jesu beim letzten Abendmahl ähnlich: Er „stand vom Mahl auf, legte sein Gewand ab und umgürtete sich mit einem Leinentuch. Dann goss er Wasser in eine Schüssel und begann, den Jüngern die Füße zu waschen und mit dem Leinentuch abzutrocknen, mit dem er umgürtet war“ (Joh 13,4-5). Die Kleider ablegen, symbolisiert den Tod Jesu, das anschließende Anlegen der Kleider seine Auferstehung. Lesen wir in diesem Licht das Stück des Evangeliums: „Als er ihnen die Füße gewaschen, sein Gewand wieder angelegt und Platz genommen hatte, sagte er zu ihnen: Begreift ihr, was ich an euch getan habe? Ihr sagt zu mir Meister und Herr und ihr nennt mich mit Recht so; denn ich bin es. Wenn nun ich, der Herr und Meister, euch die Füße gewaschen habe, dann müsst auch ihr einander die Füße waschen. Ich habe euch ein Beispiel gegeben, damit auch ihr so handelt, wie ich an euch gehandelt habe“ (Joh 13,12-15). Hier lädt uns also der Herr, der aus freiem Willen sein Leben opfert, es ablegt, dazu ein, ihn nachzuahmen und insbesondere den Brüdern die Füße zu waschen und sich dem Dienst in der Kirche zu weihen.

3. Der Weltgebetstag um geistliche Berufungen.

An diesem Sonntag fleht die Kirche den guten Hirten um Berufungen zum Priestertum und zum geweihten Leben. Die Worte Jesu sind heute sehr aktuell: „Die Ernte ist groß, aber es gibt nur wenig Arbeiter. Bittet also den Herrn der Ernte, Arbeiter für seine Ernte auszusenden!“ (Mt 9,37-38).

Der Heilige Vater Franziskus hat auch in diesem Jahr aus Anlass des genannten Weltgebetstages eine Botschaft geschrieben, den die Kirche zum 55. Mal begeht. Das Thema des heutigen Tages ist: „Den Ruf des Herrn hören, erkennen und leben“. Der Bischof von Rom ermuntert alle, über die eigene Existenz nachzudenken und zu entdecken: „Unser Leben und unser Sein in der Welt entstammen einer göttlichen Berufung!“ Das Urbild jeder Berufung ist Jesus Christus. Er hat zudem in exemplarischer Weise das Hören, die Erkenntnis und den Ruf gelebt. Diese drei Aspekte „bilden auch den Rahmen für den Beginn der Sendung Jesu, als er, nach den Tagen des Gebets und der Kampfes in der Wüste, die Synagoge von Nazareth besucht und dort das Wort hört, den Inhalt der ihm vom Vater übertragenen Sendung erkennt und ankündigt, gekommen zu sein, um es ‚heute‘ zu verwirklichen. (vgl. Lk 4,16-21)“. Jeder junge Mensch ist gerufen, einem ähnlichen Weg zu folgen. Auch in unserer Welt, die voll Unruhe, äußerem Lärm ist, braucht es die Zeiten der Stille, um die Stimme Gottes zu hören, die uns anspricht. Es ist sodann nötig, die eigene Berufung über die geistliche Unterscheidung zu finden, „also durch einen Prozess, innerhalb dessen ein Mensch dazu gelangt, im Dialog mit dem Herrn und im Hören auf die Stimme des Geistes, ausgehend vom Lebensstand, die grundlegenden Entscheidungen zu treffen“. Darüber hinaus ist es wichtig, die Berufung zu leben, zu der uns der Herr ruft, und die Freude des Evangeliums im Heute unserer Geschichte und der Welt zu entdecken.

Beschließen wir unsere Überlegungen mit den vertrauensvollen Worten von Papst Franziskus an die Gottesmutter, die Königin des Himmels: „Die selige Jungfrau Maria, das junge Mädchen von der Peripherie, das auf das menschgewordene Wort Gottes gehört, es angenommen und gelebt hat, behüte uns und begleite uns allzeit auf unserem Weg“. Amen.

 

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