Predigt von Nuntius Eterovic am 4. Sonntag im Jahreskreis

Apostolische Nuntiatur, 31. Januar 2022

(Jer 1,4-5.17-19; Ps 71; 1 Kor 12,31-13,13; Lk 4,21-30)

„Heute hat sich das Schriftwort, das ihr eben gehört habt, erfüllt“ (Lk 4,21).

Liebe Schwestern und Brüder!

Mit denselben Worten wie am vergangenen Sonntag beginnen wir unsere Überlegungen zum Wort Gottes, das heute verkündet worden ist. Denn der Satz ist Teil der Aussage Jesu, in seiner Person sei die Schrift über das Kommen des Messias erfüllt, um die Reaktionen seiner Mitbewohner zu zeigen. Die Szene des Evangeliums wird in gewisser Weise von der ersten Lesung aus dem Buch des Propheten Jeremia vorbereitet (I). Die Reaktionen der Bewohner von Nazareth überraschen uns jedoch (II). Aus dem Wort Gottes lässt sich manches auch für uns und die Kirche in unserer Zeit erwägen (III). Öffnen wir uns der Gnade des Heiligen Geistes, um über das Wort des Lebens nachzusinnen, das wir gehört haben und das in die Tat umzusetzen wir gerufen sind.

1. „Verkünde ihnen alles, was ich dir auftrage“ (Jer 1,17).

Der Gott Israels hat den Propheten Jeremia in seinen Dienst gerufen und ihm eine besondere Aufgabe übertragen. Er lebte zur Zeit des Königs Joschija (ca. 647 bis 609 v. Chr.), der in Israel eine religiöse Reform vorantrieb und den Kult der anderen Götter, insbesondere den des Baal verhindern wollte. Doch nach dem Propheten Jeremia war die Zustimmung des Volkes zu dieser Kultreform nur rein äußerlich und formal, denn die heidnischen Kulte wurden fortgesetzt. In diesem Zusammenhang interveniert JHWH durch den Propheten. Hier ist der Dialog zwischen Gott und Jeremia interessant, da JHWH an seine Erwählung erinnert: „Noch ehe ich dich im Mutterleib formte, habe ich dich ausersehen, noch ehe du aus dem Mutterschoß hervorkamst, habe ich dich geheiligt, zum Propheten für die Völker habe ich dich bestimmt“ (Jer 1,5). Den Prophet überfällt angesichts dieser Berufung Angst und Schrecken, er hält sich weder der Erwählung für würdig, noch der hohen Mission für fähig: „Ach, Herr und GOTT, ich kann doch nicht reden, ich bin ja noch so jung“ (Jer 1,6). Doch Gott gibt ihm zur Antwort: „Sag nicht: Ich bin noch so jung. Wohin ich dich auch sende, dahin sollst du gehen, und was ich dir auftrage, das sollst du verkünden“ (Jer 1,7). Er versichert ihm seinen Schutz: „Fürchte dich nicht vor ihnen; denn ich bin mit dir, um dich zu retten“ (Jer 1,8) und ermutigt ihn: „Tritt vor sie hin“ (Jer 1,17), denn „mögen sie dich bekämpfen, sie werden dich nicht bezwingen; denn ich bin mit dir, um dich zu retten“ (Jer 1,19). Ein Prophet, der ihm Namen Gottes spricht, darf sich weder vor dem König, noch vor den Mächtigen fürchten.

2. „Heute hat sich das Schriftwort erfüllt“ (Lk 4,21).

Jesus Christus befindet sich in einer ähnlichen Situation wie der Prophet Jeremia. Er bezeugt, der Gesalbte Gottes mit einer besonderen Mission zu sein: „Der Geist des Herrn ruht auf mir; denn er hat mich gesalbt. Er hat mich gesandt, damit ich den Armen eine frohe Botschaft bringe; damit ich den Gefangenen die Entlassung verkünde und den Blinden das Augenlicht; damit ich die Zerschlagenen in Freiheit setze und ein Gnadenjahr des Herrn ausrufe“ (Lk 4,18-19). Der Aussage Jesu: „Heute hat sich das Schriftwort, das ihr eben gehört habt, erfüllt“ (Lk 4,21), stimmten ihm zunächst alle zu; „sie staunten über die Worte der Gnade, die aus seinem Mund hervorgingen“ (Lk 4,22). Darauf aber kam es zum Streit, der sich hin zu einer Feindschaft Jesus gegenüber entwickelte. Und anstatt ihn als Messias anzuerkennen, der mächtig in Wort und Tat ist (vgl. Lk 24,19), relativierten sie seine Sendung und erinnerten an seine Herkunft. Denn er war einer von ihnen, aufgewachsen in Nazareth. Sie kannten seine Eltern und nannten ihn den Sohn Josefs (vgl. Lk 4,22). Aus dem Vorwurf Jesu an seine Mitbürger geht hervor, dass die Meinungsverschiedenheit zwei Gründe hatte. Sie forderten, er solle auch in Nazareth Wunder tun, wie er es in Kafarnaum getan hatte. Sodann ereiferten sie sich, als Jesus davon sprach, das Heil übersteige die Grenzen Israels. Um dies klar aufzuzeigen, erwähnt der Herr zwei Wunder, die Gott durch zwei Propheten getan hatte: Elia rettet eine Witwe und deren Sohn in Sarepta bei Sidon zur Zeit der großen Dürre, und der Prophet Elischa wird zum Syrer Naaman gesandt, um ihn zu heilen. Die Mitbürger Jesu aber dachten, der Messias würde inmitten seines Volkes wirken und es von der Fremdherrschaft befreien. So gab es daraufhin eine gewalttätige Reaktion: „Als die Leute in der Synagoge das hörten, gerieten sie alle in Wut. Sie sprangen auf und trieben Jesus zur Stadt hinaus; sie brachten ihn an den Abhang des Berges, auf dem ihre Stadt erbaut war, und wollten ihn hinabstürzen“ (Lk 4,28-29). Wie vorher bei Jeremia, so war JHWH auch mit Jesus und beschützte ihn, denn seine Stunde war noch nicht gekommen. Trotz dieser großen Feindseligkeit „schritt er mitten durch sie hindurch und ging weg“ (Lk 4,30).

3. „Geht hinaus in die ganze Welt und verkündet das Evangelium“ (Mk 16,15).

Das Wort Gottes erinnert uns daran, dass Er in seinen Dienst ruft, wen er will (vgl. Mk 3,13). In diesem Sinn beruft Jesus die zwölf Apostel (vgl. Mk 3,13-19). Sie spielen eine bedeutende Rolle bei der Fortsetzung der Mission der Evangelisierung, der Befreiung und allgemein der menschlichen Förderung (vgl. Lk 9,1-6). Doch mit der Taufe ruft Gott alle Christen, seine Zeugen zu sein, vor allem durch ein glaubwürdiges Leben, und wenn nötig auch mit Worten. Daher sind alle Glieder des Volkes Gottes, ist die ganze Kirche aufgerufen, das Evangelium zu verkünden. Alle sind „ein heiliger Stamm, ein Volk, das sein besonderes Eigentum wurde, damit ihr die großen Taten dessen verkündet, der euch aus der Finsternis in sein wunderbares Licht gerufen hat“ (1 Petr 2,9). Inmitten dieses Volkes hat Gott die Nachfolger der Apostel, die Bischöfe, Priester und Diakone in besonderer Weise berufen. Ihnen ist der Auftrag anvertraut, mit Vollmacht die Heilsbotschaft, das Evangelium zu verkünden. Sie sollen wie der Prophet Jeremia freimütig reden (παρρησία) und ohne Furcht vor den Mächtigen dieser Welt, die nicht selten das Gegenteil von dem tun, was das Evangelium lehrt,  das Wort Gottes verkünden. Ihr Wort wird stark sein, wenn sie das Gebot Gottes treu befolgen. Andernfalls wird es für sie zum Grund der Verurteilung werden. Das geschieht, wenn der Bote des Wortes Gottes der Versuchung erliegt, es abzuschwächen oder seine prophetische Kraft zu verwässern. Daher ermahnt der Heilige Paulus die Christen: „Und gleicht euch nicht dieser Welt an, sondern lasst euch verwandeln durch die Erneuerung des Denkens, damit ihr prüfen und erkennen könnt, was der Wille Gottes ist: das Gute, Wohlgefällige und Vollkommene“ (Röm 12,2). Wie das Beispiel Jesu zeigt, bringt die authentische Verkündigung des Wortes Gottes Schwierigkeiten bis hin zum Martyrium mit sich. Nach dem Beispiel des Herrn Jesus haben viele Christen ihr Blut vergossen, weil sie Gott und ihrer christlichen Sendung treu geblieben sind. Ihr Blut wurde zum fruchtbaren Boden, denn es war der Same für neue Christen, wie es nach einem Wort des Tertullian (ca. 150 bis ca. 220  n.Chr.) heißt: „Der Same der Märtyrer ist der Same der Christen“ (Semen est sanguis christianorum – Apologeticum 50).

Um das Wort Gottes aufnehmen zu können, ist Glaube nötig. Jesus selber brauchte den Glauben, um Wunder tun zu können, wie wir im Abschnitt des Lukasevangeliums gehört haben. Wenn er andererseits auf Menschen traf, die glaubten, auch wenn sie nicht zum jüdischen Volk gehörten, heilte er sie oder half ihnen auf wundersame Weise. Jesus wirkt noch heute Wunder, und im Bewußtsein unseres schwachen Glaubens wie bei den Aposteln, wenden auch wir uns mit der Bitte an den Herrn: „Stärke unseren Glauben“ (Lk 17,5). Das Zeichen dieses Glaubens ist die Taufe. Denn der auferstandene Herr hat verheißen: „Wer glaubt und sich taufen lässt, wird gerettet; wer aber nicht glaubt, wird verurteilt werden“ (Mk 16,16).

Jesus will alle Menschen retten und dass alle „zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen“ (1 Tim 2,4). Im Unterschied zu den Bewohnern von Nazareth sollen wir uns daher über diese gute Nachricht des Evangeliums freuen, das allen ohne geographische, sprachliche, kulturelle oder nationale Grenzen gilt. Das haben die vielen Missionarinnen und Missionare im Laufe der Geschichte verstanden, die hinaus in die ganze Welt zogen, um allen Menschen und Völkern das Evangelium vom Heil Jesu Christi zu bringen. Denn der Herr allein kann versichern, „der Weg, die Wahrheit und das Leben“ (Joh 14,6) zu sein.

Liebe Brüder und Schwestern, vertrauen wir unsere Überlegungen der machtvollen Fürsprache der seligen Jungfrau Maria an, der Mutter der Kirche. Erflehen wir die Gabe des Heiligen Geistes, damit alle Christen das Wort des Heils in seiner Tiefe erfassen, und damit wir es mit Seiner Hilfe in unseren Familien und Gemeinschaften leben und es darüber hinaus jenen Menschen verkünden, denen wir auf unserem Lebensweg begegnen. Und allen rufen wir freudig zu: „Heute hat sich das Schriftwort, das ihr eben gehört habt, erfüllt“ (Lk 4,21).

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