Predigt von Nuntius Eterovic am 5. Fastensonntag

Apostolische Nuntiatur, 3. April 2022

(Jes 45,16-21; Ps 126; Phil 3,8-14; Joh 8,1-11)

Berlin, 3. April 2022

„Geh und sündige von jetzt an nicht mehr“ (Joh 8,11).

Liebe Schwestern und Brüder!

An diesem fünften Fastensonntag legt uns die Kirche die bekannte Erzählung der Ehebrecherin ans Herz, die von den Pharisäern und Schriftgelehrten vor Jesus geschleppt wird. Sie instrumentalisierten die Frau, um Jesus eine Falle zu stellen (I), doch der Herr fand auf seine Weise die Möglichkeit, die Barmherzigkeit Gottes auch mit dieser Sünderin herauszustellen (II). Er spricht zu ihr Worte der Vergebung und fordert sie zugleich zur Umkehr auf (III). Öffnen wir uns der Gnade des Heiligen Geistes, die Lehre Jesu Christi zu erfassen und in unserem persönlichen, familiären und sozialen christlichen Leben umzusetzen. Vor dem Herrn Jesus, dem einzig Heiligen, sind wir alle Sünder. Jesus aber gibt uns allen die Hoffnung auf Vergebung und zur Umkehr, wie auch die Gnade und Kraft, den radikalen Wandel unseres Lebens in die Tat umzusetzen.

1. „Meister, diese Frau wurde beim Ehebruch auf frischer Tat ertappt“ (Joh 8,4).

Mit diesen Worten brachten sie eine Ehebrecherin zu Jesus, um zu sehen, wie er sich verhalten würde. Dem Abschnitt des Evangeliums entnehmen wir, dass sie ihm gegenüber nicht wohlgesonnen waren. Sie wollten „ihn auf die Probe stellen, um einen Grund zu haben, ihn anzuklagen“ (Joh 8,6). Sie waren also nicht am Schicksal der Frau interessiert. Sie machten sie vielmehr zum Objekt ihrer Niedertracht. Sie waren überzeugt, dass Jesus keinen Ausweg aus dem Netz ihrer Intrigen finden könne, zumal sie an die Vorschrift des Gesetzes erinnerten: „Mose hat uns im Gesetz vorgeschrieben, solche Frauen zu steinigen. Was sagst du?“ (Joh 8,5). Der Eifer der Schriftgelehrten und Pharisäer störte den gewöhnlichen Tagesablauf Jesu, der darin bestand, zu beten und das versammelte Volk zu lehren. So beginnt das heutige Evangelium damit, den täglichen Rhythmus Jesu zu beschreiben. Jesus kam vom Ölberg herab, betrat die Stadt Jerusalem und ging zum Tempel hinauf, wo er auf eine große Menge traf. „Alles Volk kam zu ihm. Er setzte sich und lehrte es“ (Joh 8,2).

2. „Wer von euch ohne Sünde ist, werfe als Erster einen Stein auf sie“ (Joh 8,7).

Jesus verstand sofort die teuflische Absicht der Schriftgelehrten und Pharisäer. Die zu verurteilende Person war nicht jene Sünderin, sondern er selbst. Und er empfand eine gewisse Sympathie für die Frau, die ohne jeden Beistand vor ihm stand und welcher der Tod durch Steinigung drohte. Viele kannten seine Barmherzigkeit Sündern gegenüber, denn er hatte gesagt: „Ich bin nicht gekommen, um die Welt zu richten, sondern um die Welt zu retten“ (Joh 12,47) und: „Ich sage euch: Ebenso wird im Himmel mehr Freude herrschen über einen einzigen Sünder, der umkehrt, als über neunundneunzig Gerechte, die keine Umkehr nötig haben“ (Lk 15,7), wie auch: „Ich bin nicht gekommen, um Gerechte zu rufen, sondern Sünder“ (Mt 9,13).

Angesichts der Hartnäckigkeit der Pharisäer und Schriftgelehrten, die lautstark die Verurteilung der Frau forderten, schien Jesu Reaktion zu überraschen. Er trat nicht in ihre Diskussion ein und antwortete ihnen nicht, er schwieg, „bückte sich und schrieb mit dem Finger auf die Erde“ (Joh 8,6). Möglicherweise wollte der Herr mit diesem Verhalten auch den Schriftgelehrten und Pharisäer Gelegenheit zum Nachdenken geben. Die Ankläger der Sünderin sollten sich Zeit nehmen, damit sie nicht aus einem emotionalen Impuls heraus handeln, sondern mit klarem Verstand die Situation beurteilen und auch die Verantwortung der Frau abwägen, die offensichtlich nicht allein Ehebruch begangen hatte. In der Erzählung fehlt gänzlich jener Mann, der ebenfalls gesündigt hat, doch wird in dieser männlich dominierten Gesellschaft ein sündiger Mann eher toleriert. Das Schweigen diente der Reflektion und dazu, eine gerechte Entscheidung zu treffen. Als seine Feinde auf einer Antwort Jesu bestanden, „richtete er sich auf und sagte zu ihnen: Wer von euch ohne Sünde ist, werfe als Erster einen Stein auf sie“ (Joh 8,7). Die Worte waren derart stark und zutreffend, dass sie einen tiefen Eindruck auf die Ankläger der Frau machten. Jesus bückte sich erneut und schrieb auf die Erde. Auf diese Weise wird deutlich, dass Jesus in die verhärteten Herzen der Schriftgelehrten und Pharisäer schreibt, die sich als Sünder erkennen und unwürdig, die sündige Frau zu verurteilen. Nach dem klaren Urteil Jesu „ging einer nach dem anderen fort, zuerst die Ältesten“ (Joh 8,9). Die Alten lebten schon lange und haben mehr Sünden begangen.

3. „Auch ich verurteile dich nicht. Geh und sündige von jetzt an nicht mehr!“ (Joh 8,11).

Das Ende des heutigen Evangeliums ist voller Trost und Hoffnung. Endlich bekommt die Frau die Möglichkeit zu sprechen, als sie mit Jesus allein ist. Er übernimmt die Initiative und fragt die Frau: „Frau, wo sind sie geblieben? Hat dich keiner verurteilt?“ (Joh 8,10). Auf die Frage Jesu antwortet die Frau erleichtert: „Keiner, Herr“ (Joh 8,11). Der einzige, der ohne Sünde war und sie hätte verurteilen können, war Jesus, der Mensch und Gott. Doch er ist gekommen, die Barmherzigkeit seines himmlischen Vaters zu verkünden, der „kein Gefallen am Tod des Schuldigen hat, sondern daran, dass ein Schuldiger sich abkehrt von seinem Weg und am Leben bleibt“ (Ez 33,11). In ähnlicher Weise verhält sich der Herr Jesus gegenüber der Sünderin. Als erstes versichert er der Frau: „Auch ich verurteile dich nicht“ (Joh 8,11). Danach aber fordert er sie auf: „Geh und sündige von jetzt an nicht mehr“ (Joh 8,11). Diese Worte, die befreien und zur Verantwortung mahnen, erinnern an die Begegnung Jesu mit einer anderen Sünderin im Haus des Pharisäers Simon, die mit ihren Tränen die Füße Jesu wusch und sie mit ihren Haaren abtrocknete. Zur ihr sagte der Herr: „Deine Sünden sind dir vergeben. …… Dein Glaube hat dich gerettet. Geh in Frieden“ (Lk 7,48.50).

Liebe Brüder und Schwestern, die Lehre aus der Erzählung, die wir gehört haben, richtet sich an jeden von uns, vor allem in dieser Fastenzeit, die eine Zeit der Vergebung und der Umkehr ist. Sie erinnert uns, dass wir alle Sünder sind, jedoch berufen zur Umkehr und zur Heiligkeit. Seien wir uns bewußt, dass wir sündige Menschen sind, um demütiger zu sein und damit wir nicht in die Versuchung geraten, andere zu verurteilen. Der Herr selbst mahnt uns eindringlich: „Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet (Mt 7,1). Aus eigener Kraft erreichen wir dieses Ideal des christlichen Lebens nicht. In seiner großen Güte und grenzenlosen Barmherzigkeit schenkt uns Gottvater die Gabe des Heiligen Geistes, der uns das Sakrament der Buße oder der Versöhnung finden lässt. Hierdurch vergibt uns der Priester die Sünden, wenn er im Namen Jesus Christi, in persona Christi, sagt: „Ich spreche dich los von deinen Sünden im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes“. Im Sakrament der Versöhnung schenkt uns Gott außerdem die Gnade des Neuanfangs eines christlichen und kraftvollen Lebens.

Erst kürzlich hat der Heilige Vater Franziskus die Priester erneut dazu ermahnt, gerne bereit zu sein, die Beichte zu hören. „Ich ermuntere: seid gerne im Beichtstuhl, empfangt freundlich, hört zu, begleitet und seid euch bewußt, dass alle, wirklich alle Vergebung brauchen, das heißt, sich als Kind Gottes geliebt zu fühlen. Wenn wir sagen: ‚Ich spreche dich los von deinen Sünden“, dann bedeutet das auch: ‚Du, Bruder, Schwester, bist kostbar, kostbar für Gott; es ist gut, dass du da bist‘. Und das ist eine sehr wirksame Medizin für die Seele und für eines jeden Psyche“ (Papst Franziskus, Ansprache an Teilnehmer des 32. Kurses über das Forum Internum der Apostolischen Pönitentiarie, 25. März 2022).

Wir leben in schwierigen und dramatischen Zeiten; denken wir nur an den Krieg in Ukraine, wo jeden Tag Menschen getötet oder verletzt werden. In letzter Zeit wird sogar von der Möglichkeit eines Atomkrieges gesprochen, der das Ende unserer Zivilisation brächte, wenn er in Gänze ausbricht. Als Menschen der Kirche haben wir nicht nur die Pflicht zu wiederholen, sondern wir müssen die Worte der Umkehr des Herrn Jesus laut und schallend von den Dächern rufen: „Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe. Kehrt um und glaubt an das Evangelium“ (Mk 1,15).

Vertrauen wir unsere Betrachtungen der mächtigen Fürsprache der seligen Jungfrau Maria an, der Königin des Friedens und Mutter der Versöhnung. In Einheit des Gebetes mit dem Heiligen Vater Franziskus haben wir am Hochfest der Verkündigung des Herrn die Welt und vor allem Russland und Ukraine dem Unbefleckten Herzen Mariens geweiht und für den Frieden gebetet, der nur durch Umkehr und Glaube erreicht wird. Hören wir nicht auf, hierfür zu beten, damit die Gottesmutter vom dreieinen Gott die Gnade erflehe, dass die Herzen aus Stein der russischen Kriegstreiber in Ukraine zu Herzen aus Fleisch werden, die das Leid der Menschen empfinden, vor allem der Unschuldigen. Beten wir für die Umkehr der Verantwortlichen dieses Krieges, damit auch sie die Worte der Hoffnung unseres Herrn Jesus Christus hören können: „Geh und sündige von jetzt an nicht mehr“ (Joh 8,11). Amen.

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