Predigt von Nuntius Eterovic am 5. Fastensonntag
Apostolische Nuntiatur, 21. März 2021
(Jer 31,31-34; Ps 51; Hebr 5,7-9; Joh 12,20-33)
„Und ich, wenn ich über die Erde erhöht bin, werde alle zu mir ziehen“ (Joh 12,32).
Liebe Schwestern und Brüder,
an diesem fünften Fastensonntag heften wir unseren Blick auf Jesus Christus, der sich auf sein Leiden vorbereitet. Den Griechen, die Jesus sehen wollten (I), eröffnet der Herr sein österliches Geheimnis (II). Wir alle sind als Christen und als seine Jünger aufgerufen, am Drama seines Lebens, seiner Passion und an seinem Tod teilzuhaben, um dank der Kraft des Glaubens, den der Heilige Geist schenkt, mit Jesus zu einem neuen Leben aufzuerstehen (III).
1. „Herr, wir möchten Jesus sehen“ (Joh 12,21).
Einige Griechen waren zum Paschafest nach Jerusalem gekommen und wollten Jesus sehen. Es waren fromme Menschen, die sich zum monotheistischen Glauben der Juden hingezogen fühlten. Sie wandten sich an Philippus, denn er trug einen griechischen Namen, der übersetzt „Pferdefreund“ bedeutete. Sie wussten, er stammte aus Galiläa, einer Region, wo auch Heiden lebten. So finden wir in der Heiligen Schrift auch die Bezeichnung „Gebiet der Nationen“ (Jes 8,23) oder „das heidnische Galiläa“ (Mt 4,15). Sie hatten von Jesus gehört und wollten ihn sehen. Um sich dem Meister zu nähern, wandte sich Philippus an Andreas, dessen Name ebenfalls griechischen Ursprungs ist und so viel bedeutet wie „mannhaft, tapfer“. Möglicherweise bat Philippus den Andreas um Hilfe, denn er war einer der ersten Jünger und stand Jesus nahe. Daher unterbreiteten sie Jesus beide den Wunsch der Griechen.
Bei diesem Verlangen der Griechen können wir das Bestreben aller Menschen guten Willens erfassen. Alle Menschen sind nach dem Bild Gottes geschaffen (vgl. Gen 1,26-28) und in jedem gibt es das Verlangen, Gott zu sehen, den Schöpfer. Zuweilen ist dieses Verlangen unter Schichten und Überlagerungen verborgen, was die Sorgen des Lebens sein können, die Suche nach materiellem Wohlstand, die religiöse Gleichgültigkeit, das Fehlen einer religiösen Erziehung. Dennoch erwacht diese Sehnsucht in den besonderen, vor allem schweren Momenten des Lebens, beim Tod lieber Menschen, in Krankheiten, wie aktuell bei den Folgen der Corona-Pandemie, und äußert sich in manchen Fragen nach Gott, nach dem Sinn des Lebens, des Leidens und des Todes. Auf diese Fragen kann allein nur der Herr Jesus Christus wahrhaft antworten.
2. „Die Stunde ist gekommen, dass der Menschensohn verherrlicht wird“ (Joh 12,23).
Die gläubigen Griechen bekamen keine direkte Antwort von Jesus. Vielmehr ist sie ausführlich und in eine theologische und spirituelle Sprache gekleidet. Die Frage der Griechen gab Jesus die Möglichkeit auszuführen: „Die Stunde ist gekommen, dass der Menschensohn verherrlicht wird. Amen, amen, ich sage euch: Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein; wenn es aber stirbt, bringt es reiche Frucht“ (Joh 12,23-24). Auch die Heiden werden in der Lage sein, Jesus zu sehen, doch allein in seinem Ostergeheimnis. Sie müssen seine Demütigung durch Kreuz und Tod annehmen, um an der Freude über seine Auferstehung Anteil zu erhalten. Das also ist der Sinn des Bildes vom Weizenkorn, das sterben muss, wenn es in die Erde gesät wurde, denn nur so bringt es Frucht.
Angesichts von Leiden und Tod empfindet Jesus eine große Bedrängnis. Das bezeugen seine Worte: „Jetzt ist meine Seele erschüttert“ (Joh 12,27). Auch im soeben verkündeten Abschnitt aus dem Hebräerbrief haben wir eine eindrückliche Beschreibung der Not Jesu: „Christus hat in den Tagen seines irdischen Lebens mit lautem Schreien und unter Tränen Gebete und Bitten vor den gebracht, der ihn aus dem Tod retten konnte“ (Hebr 5,7). Zugleich ist sich Jesus bewußt, dass seine Mission auch das Kreuz einschließt. Deswegen fügt er hinzu, als er sich der inneren Erregung bewußt wird: „Was soll ich sagen: Vater, rette mich aus dieser Stunde? Aber deshalb bin ich in diese Stunde gekommen“ (Joh 12,27). Jesus spürt, er braucht die Nähe seines göttlichen Vaters, an den er sich voll kindlichen Gehorsams wendet: „Vater, verherrliche deinen Namen!“ (Joh 12,28). Der Vater nimmt das Verhalten Seines Eingeborenen Sohnes Jesus an und lässt ihn über eine Stimme vom Himmel her wissen: „Ich habe ihn schon verherrlicht und werde ihn wieder verherrlichen“ (Joh 12,28).
Die Stunde der Verherrlichung Jesu umfaßt auch die Verbreitung des Glaubens in die ganze Welt, auch unter die Völker der Heiden. Das bestätigen seine Heilsworte: „Und ich, wenn ich über die Erde erhöht bin, werde alle zu mir ziehen“ (Joh 12,32). Mit dem österlichen Geheimnis wird der Herr Jesus allen, die an ihn glauben, das ewige Leben schenken. Die Voraussetzung des Heils ist die Verbreitung und die Annahme des Glaubens an Jesus. Dieser Heilswille Jesu Christi verlangt nach der Mission von Kirche, die deswegen beauftragt ist, das Evangelium aller Welt und jeder Kreatur zu verkünden (vgl. Mk 16,15). Jesus selbst hat klargemacht: „Wer glaubt und sich taufen lässt, wird gerettet; wer aber nicht glaubt, wird verurteilt werden“ (Mk 16,16). Heute müssen wir nicht in ferne Länder reisen, um das Evangelium zu verkünden. Auch auf unserem europäischen Kontinent, auch in Deutschland, gibt viele Menschen, die nicht getauft sind, die Jesus Christus nicht kennen und leben, als gäbe es Gott nicht. Nach einigen Statistiken bezeichnen sich in Deutschland etwa 38-39 Prozent als religionslos. Auch an sie müssen wir denken, wenn wir über die Begegnung Jesu mit den Griechen nachdenken, die Jesus sehen wollten. Diese Fastenzeit, die vom Kampf gegen die Verbreitung des Corona-Virus gekennzeichnet ist, möge zum Ansporn werden, dass diese Menschen die Flamme des Glaubens entdecken, die der Schöpfergott auch ihnen ins Herz gegeben hat.
3. „Und ich, wenn ich über die Erde erhöht bin, werde alle zu mir ziehen“ (Joh 12,32).
Mit diesen Worten gibt der Herr Jesus zu verstehen, „auf welche Weise er sterben werde“ (Joh 12,33). Es handelt sich um einen schmachvollen Tod, der eigentlich den Sklaven vorbehalten ist, den Verbrechern und denen, die aus der Gemeinschaft ausgestoßen wurden. Paradoxerweise zeigt Jesus, dass mit diesem Tod die Stunde seiner Verherrlichung schlägt. Gerade durch das Kreuz hat Jesus den Fürsten dieser Welt besiegt: „Jetzt wird Gericht gehalten über diese Welt; jetzt wird der Herrscher dieser Welt hinausgeworfen werden“ (Joh 12,31). Das Gericht über die Gott entgegenstehende Welt, der Sieg über den Dämon, den Fürsten dieser Welt, öffnet allen Christen das Tor zum Sieg und zum ewigen Leben. Das hat der Herr Jesus verheißen und versichert: „Wenn einer mir dienen will, folge er mir nach; und wo ich bin, dort wird auch mein Diener sein. Wenn einer mir dient, wird der Vater ihn ehren“ (Joh 12,26). Dem Herrn zu folgen heißt, das eigene Kreuz aufzunehmen und dem Meister zu folgen (vgl. Mt 10,38). Für jeden Christen ist das Kreuz integraler Teil des Heilswegs in der Nachfolge Jesu Christi. Er selbst sagt: „Wer sein Leben liebt, verliert es; wer aber sein Leben in dieser Welt gering achtet, wird es bewahren bis ins ewige Leben“ (Joh 12,25). Alle Heiligen sind auf diesem Weg der christlichen Vollkommenheit gewandelt, vor allem die selige Jungfrau Maria, die wir in dieser Fastenzeit als Schmerzensmutter anrufen. Auch wir, die wir ihrem Beispiel folgen, wollen uns Jesus Christus zeigen, mit unserem Gebet und unseren Tränen, unseren Schwierigkeiten und Ängsten, den Krankheiten und Leiden, denn wir sind gewiss, dass er all das in Früchte des Guten und des Segen verwandeln wird, zu unserem und der Kirche Heil.
Liebe Brüder und Schwestern, das Wort des Herrn Jesus vervollständigt und sein Werk besiegelt den neuen Bund, den schon der Prophet Jeremia angekündigt hat: „Ich habe meine Weisung in ihre Mitte gegeben und werde sie auf ihr Herz schreiben. Ich werde ihnen Gott sein und sie werden mir Volk sein“ (Jer 31,33). Aus der geöffneten Seite des gekreuzigten Jesus flossen Wasser und Blut, die Symbole für die Taufe und die Eucharistie. Beide Sakramente sind zur Vergebung der Sünden eingesetzt. Gott hat durch den Propheten Jeremia angekündigt: „Ich vergebe ihre Schuld, an ihre Sünde denke ich nicht mehr“ (Jer 31,34). Jesus Christus hat bei den Wandlungsworten über den Wein betont: „Das ist mein Blut des Bundes, das für viele vergossen wird zur Vergebung der Sünden“ (Mt 26,28). Daher wollen wir uns in dieser österlichen Bußzeit mit Gott versöhnen. Das dafür geeignetste Mittel ist das Bußsakrament, das symbolisch vom Pönitenten verlangt, durch Tod und Grab zum neuen Leben im auferstandenen Herrn zu gehen. Durch dieses Sakrament können wir wahrhaft den gekreuzigten und auferstandenen Herrn Jesus sehen, wie Er ist: gütig und barmherzig, jederzeit bereit, die Heilsworte zu sprechen: „Hab Vertrauen, mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben“ (Mt 9,2). Auf diese Weise werden auch wir in die Stunde Jesu eintreten und uns zu Ihm ziehen lassen, wie er verheißen hat: „Und ich, wenn ich über die Erde erhöht bin, werde alle zu mir ziehen“ (Joh 12,32). Amen.