Predigt von Nuntius Eterovic am 5. Ostersonntag

Apostolische Nuntiatur, 7. Mai 2023

(Apg 6,1-7; Ps 33; 1 Petr 2,4-9; Joh 14,1-12)

„Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben“ (Joh 14,6).

Liebe Brüder und Schwestern!

Im Abschnitt des Johannesevangeliums tröstet Jesus seine Jünger vor dem Ostergeheimnis, das seine Erniedrigung durch Leiden und Tod einschließt. Diese Absicht erfasst man bereits in den ersten Worten des heutigen Evangeliums, wenn es heißt: „Euer Herz lasse sich nicht verwirren“ (Joh 14,1). Jesus ermuntert die Jünger, im Vertrauen auf Gott und Ihn stark zu bleiben: „Glaubt an Gott und glaubt an mich“ (Joh 14,1). Sein Tod, den er ankündigt, ist nicht das letzte Wort: er ist vielmehr der Übergang in die Herrlichkeit des Sieges, zur Auferstehung und zum ewigen Leben. Daher ist der Grund des Vertrauens, das Jesus den Seinen abverlangt, seine Versicherung, dass Er, der Meister, allen seinen Jüngern einen Platz im Himmel bereiten wird: „Ich gehe, um einen Platz für euch vorzubereiten?

Wenn ich gegangen bin und einen Platz für euch vorbereitet habe, komme ich wieder und werde euch zu mir holen, damit auch ihr dort seid, wo ich bin“ (Joh 14,2-3).
In diesem Zusammenhang der Vorbereitung der Zwölf auf das Ostergeheimnis möchte ich einladen, kurz über den bekannten Satz des Herrn Jesus nachzudenken: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben“ (Joh 14,6). Erleuchtet vom Heiligen Geist, die Gabe des auferstandenen Herrn, entdecken wir, was diese Aussage für uns, wie für alle Christen zu jeder Zeit bedeutet.

1. „Ich bin der Weg“ (Joh 14,6).

Der Nachfrage des heiligen Thomas ist diese schöne Antwort Jesu Christi zu verdanken. Während Jesus sagt, die Jünger würden den Weg zu dem Ort kennen, wohin er gehen werde (Joh 14,4), stellt Thomas die Frage: „Herr, wir wissen nicht, wohin du gehst. Wie können wir dann den Weg kennen?“ (Joh 14,5). Hierauf gibt Jesus die bekannte Antwort: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben“ (Joh 14,6). Und mit den folgenden Worten erläutert der Herr, was damit gemeint ist, dass Er der Weg sei: „Niemand kommt zum Vater außer durch mich“ (Joh 14,6). Das Ziel des Lebens ist es, zum Vater im Himmel zu gelangen. Auf sichere Weise gelangt man dorthin, indem man Jesus folgt, dem Eingeborenen Sohn des Vaters (vgl. Mk 1,11). Der Vater hat für Jesus Zeugnis abgelegt. Bei der Verklärung auf dem Berg Tabor hat er versichert: „Dieser ist mein auserwählter Sohn, auf ihn sollt ihr hören“ (Lk 9,35). Weil er eine ganz besondere Beziehung zum Vater hat, weiß Jesus um den Weg, der zum Himmel führt. Im Gespräch mit Nikodemus hat er gesagt: „Niemand ist in den Himmel hinaufgestiegen außer dem, der vom Himmel herabgestiegen ist: der Menschensohn“ (Joh 3,13). Der Himmel aber ist die Wohnung Gottes, des Vaters.

Liebe Brüder und Schwestern, wir befinden uns bei der Vorbereitung der Generalversammlung der Bischofssynode, die im Oktober in Rom zum Thema der Synodalität stattfinden wird. Das Wort σύν und οδος bedeutet, gemeinsam gehen. In unserer pluralistischen Welt, wo es unterschiedliche Antwortversuche und Wege gibt, ist es umso dringender, Jesus Christus als dem einzigen Weg zu folgen, der uns nach dieser Pilgerschaft des Lebens, das kurz oder lang sein mag, zur erlösenden Begegnung mit Gottvater in der Liebe des Heiligen Geistes führt. Daher lasst uns gemeinsam mit den anderen Schwestern und Brüdern gehen und den Blick immer fest auf das Angesicht Jesu Christi gerichtet, damit wir auf dem richtigen Weg bleiben, der uns zur liebenden Umarmung mit dem Vater und zur Gemeinschaft mit allen Heiligen im Himmel bringt.

2. „Ich bin die Wahrheit“ (Joh 14,6).

Der Herr Jesus zeigt sich selbst als die Wahrheit. Es handelt sich nicht um die Wahrheit im philosophischen Sinn, die Gegenstand verschiedener Schulen und Auffassungen ist, die es im Lauf der Menschheitsgeschichte schon gegeben hat. Derzeit ist die Idee des Relativismus sehr verbreitet, nach der die Wahrheit weder über Gott, noch über den Menschen zu erlangen sei. Diese Haltung finden wir übrigens schon zu Beginn des Christentums, wenn wir nur an die Frage von Pontius Pilatus an Jesus denken: „Was ist Wahrheit?“ (Joh 18,38). Doch auch die Antwort Jesu in diesem tragischsten Augenblick seines Lebens bleibt für uns sehr aktuell. Denn auf des Pilatus‘ Frage: „Also bist du doch ein König? Jesus antwortete: Du sagst es, ich bin ein König. Ich bin dazu geboren und dazu in die Welt gekommen, dass ich für die Wahrheit Zeugnis ablege. Jeder, der aus der Wahrheit ist, hört auf meine Stimme“ (Joh 18,37). Die Wahrheit zu kennen und in ihr zu bleiben, ist das Werk des Heiligen Geistes. Er ist „der Geist der Wahrheit“ (Joh 14,15), den die Welt nicht kennt. Die Jünger Jesu hingegen kennen ihn und geben Zeugnis davon: „Wenn aber der Beistand kommt, den ich euch vom Vater aus senden werde, der Geist der Wahrheit, der vom Vater ausgeht, dann wird er Zeugnis für mich ablegen. Und auch ihr legt Zeugnis ab, weil ihr von Anfang an bei mir seid“ (Joh 15,26-27). Auf das Gebet des Herrn, heiligt der Vater die Zeugen Jesu Christi in der Wahrheit. Das Wort des Vaters ist Wahrheit (vgl. Joh 17,17).

Liebe Brüder und Schwestern, auch wir wollen die Stimme des Herrn Jesus hören, der uns die Wahrheit über den dreieinen Gott und über den Menschen und dessen wahre Natur und Berufung offenbart. Wenn Jesus während seines öffentlichen Wirkens seine Lehre formuliert, beginnt er oftmals mit dem Ausdruck: „Amen, ich sage euch“, was auch übersetzt werden kann mit: „In Wahrheit ich sage euch“. Im heutigen Evangelium wiederholt er dies zweimal: „Amen, Amen, ich sage euch“, um die Bedeutung seiner Aussage zu unterstreichen. Alles, was Jesus in Wort und Tat offenbart hat, ist die für unser Heil entscheidende Wahrheit. Diese Wahrheit gibt uns darüber hinaus klare Kriterien, das Gute vom Bösen zu unterscheiden, wie auch das rechte Maß zur Wertung des Tuns von Menschen und der Realität dieser Welt. Nach Jesus befreit uns die Wahrheit. Er sagt: „Wenn ihr in meinem Wort bleibt, seid ihr wahrhaft meine Jünger. Dann werdet ihr die Wahrheit erkennen und die Wahrheit wird euch befreien“ (Joh 8,31-32). Es handelt sich um eine dynamische Wahrheit, die zum Geheimnis Gottes vordringt, weswegen der Christ gerufen ist, die ganze Wahrheit zu suchen und immer tiefer in ihre erlösende Wirklichkeit einzudringen, wie der Herr sagt: „Wenn aber jener kommt, der Geist der Wahrheit, wird er euch in der ganzen Wahrheit leiten. Denn er wird nicht aus sich selbst heraus reden, sondern er wird reden, was er hört, und euch verkünden, was kommen wird“ (Joh 16,13). Das Christentum kann daher nicht langweilig werden, insofern es sich für die wahre Freiheit, wie auch für die beständige Vertiefung in der Wahrheit verbürgt.

3. „Ich bin das Leben“ (Joh 14,6).

Zum Weg und zur Wahrheit präsentiert sich Jesus Christus als das Leben. Gott hat uns über die Eltern zum irdischen Leben und durch die Taufe zum geistlichen Leben gerufen. In Christus hat der Vater „uns erwählt vor der Grundlegung der Welt“ (Eph 1,4). Gott schenkt uns das wahre Leben, das uns zur Seligkeit des ewigen Lebens führt, das in gewisser Weise schon auf dieser Welt in der Einheit mit Jesus Christus vorweggenommen ist, der versichert: „Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt, und jeder, der lebt und an mich glaubt, wird auf ewig nicht sterben“ (Joh 11,25-26). Er sagt weiter: „Das aber ist das ewige Leben: dass sie dich, den einzigen wahren Gott, erkennen und den du gesandt hast, Jesus Christus“ (Joh 17,3). Diese Wahrheit bekommt man durch den Glauben, den Gott denen gibt, die Er liebt: „Denn Gott hat die Welt so sehr geliebt, dass er seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren geht, sondern ewiges Leben hat“ (Joh 3,16). Doch auch das Leben ist eine Gabe des Heiligen Geistes: „Der Geist ist es, der lebendig macht; das Fleisch nützt nichts. Die Worte, die ich zu euch gesprochen habe, sind Geist und sind Leben“ (Joh 6,63). Jesus offenbart uns außerdem das Angesicht des Vaters, die Quelle des Lebens: „Wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen“ (Joh 1,14,9). Wie der Vaters, so gibt auch der Sohn anderen das Leben: „Denn wie der Vater das Leben in sich hat, so hat er auch dem Sohn gegeben, das Leben in sich zu haben. Und er hat ihm Vollmacht gegeben, Gericht zu halten, weil er der Menschensohn ist“ (Joh 5,26-27). Es genügt zu erinnern, dass Jesus Christus uns den Lebensnerv schenkt, aus dem wir leben und uns entwickeln können: „Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und in wem ich bleibe, der bringt reiche Frucht; denn getrennt von mir könnt ihr nichts vollbringen“ (Joh 15,5). Auf unserem irdischen Pilgerweg nährt und stärkt Er uns mit der Eucharistie: „Ich bin das Brot des Lebens; wer zu mir kommt, wird nie mehr hungern, und wer an mich glaubt, wird nie mehr Durst haben“ (Joh 6,35). Der Herr will für uns ein erfülltes Leben, das einmal begonnen hat und zum ewigen Leben bestimmt ist. Darum versichert er seinen Jüngern auch heute: „Ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und es in Fülle haben“ (Joh 10,10).

Liebe Brüder und Schwestern, wir haben gesehen, dass Jesus der Weg ist, der uns zum Vater bringt. Er hat uns zudem die Wahrheit offenbart, die Er vom Vater gehört und uns nach Seinem Willen übermittelt hat. Mit dem Vater gibt er das Leben denen, die an Ihn glauben. Danken wir Gott, dem Vater, Sohn und Heiligen Geist für dieses große Geschenk und für die Berufung zum christlichen Leben. Und auf die Fürsprache der seligen Jungfrau Maria, die wir in dieser Osterzeit als Königin des Himmels anrufen, erflehen wir für uns und die ganze Kirche die Gnade, dem Herrn Jesus Christus immer und treu zu folgen, denn er ist der einzige, der ist und der auf ewig „der Weg, die Wahrheit und das Leben“ (Joh 14,6) bleibt. Amen.

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