Predigt von Nuntius Eterovic am 5. Sonntag der Osterzeit
Apostolische Nuntiatur, 10. Mai 2020
(Apg 6,1-7; Ps 33; 1 Petr 2,4-9; Joh 14,1-12)
„Wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen“ (Joh 14,9)
Liebe Schwestern und Brüder,
die Lesungen des fünften Ostersonntags sind sehr reich an Bedeutung. Im Abschnitt aus der Apostelgeschichte haben wir gehört, wie sich das Wort Gottes verbreitet und die Zahl der Gläubigen wächst, so daß auch die Struktur der Kirche der neuen Situation angepasst werden musste. Die Apostel haben vorausschauend durch die Wahl von Diakonen gehandelt, die zum Dienst der Caritas bestimmt waren, während sie selbst beim Gebet und der Verkündigung des Wortes bleiben wollten. Im ersten Brief des Apostels Petrus wird hervorgehoben, daß alle Gläubigen ein heiliges Priestertum bilden und aufgerufen sind, geistliche Opfer Gott darzubringen, insbesondere durch ihr Leben und Wirken. Das Priestertum des Dienstes, das der Herr Jesus eingesetzt hatte, ist als eine Funktion dieses gemeinsamen Priestertums der Gläubigen zu sehen.
In der heutigen Betrachtung möchte ich jedoch allein beim Abschnitt des Johannesevangeliums verweilen. Wie bekannt, handelt es sich dabei um das vierte und letzte Evangelium, das um das Jahr 100 niedergeschrieben worden ist. Der Lieblingsjünger zeigt dabei die Lehre Jesu in einer vertieften theologischen und geistlichen Dimension. Unsere Aufmerksamkeit erweckt die Pädagogik Jesu (I), sein Selbstbewusstsein (II), wie auch seine einzigartige Beziehung zu Gott seinem Vater (III). Lassen wir uns vom Heiligen Geist lenken, um tiefer einzudringen in das Geheimnis Gottes, das uns Jesus Christus geoffenbart hat, der von den Toten erstanden und unter uns, in seiner Kirche gegenwärtig ist.
1. „Euer Herz lasse sich nicht verwirren“ (Joh 14,1).
Die Rede Jesu ist nach der Fußwaschung und nach der Entscheidung des Judas Iskariot, den Meister zu verraten, verortet. Daher wollte Jesus seine Jünger auf die dramatischen Ereignisse seiner Gefangennahme, der Verurteilung und seines Todes vorbereiten. „Euer Herz lasse sich nicht verwirren“ (Joh 14,1). Das Wort mahnt, nicht die Hoffnung zu verlieren und das Vertrauen zu behalten: „Glaubt an Gott und glaubt an mich!“ (Joh 14,1). Mit seinem Leben, seiner Lehre und seinen Werken hat Jesus sich das Vertrauen der Apostel erworben. Sodann verkündet der Meister das österliche Geheimnis, das über den Tod führt, aber durch die Auferstehung zur Vollendung kommt. Er muss gehen, um den Seinen einen Platz im Haus des Vaters zu bereiten. Er wird kommen, um die Jünger zu holen, damit auch sie dort sind, wo Er ist, ihr Meister.
Im Licht des österlichen Geheimnisses können wir diese Worte in seiner neuen Dimension erfassen. Der Ort, wo Jesus seine Jünger sammeln will, ist sein Herz. Es wurde durchbohrt, als er am Holz des Kreuzes hing. Symbolisch hat diese Wunde das Herz Jesu geöffnet, damit alle, die an Ihn glauben, darin Heimat finden können. Wir sind alle ohnehin Glieder des mystischen Leibes Christi, der die Kirche ist, deren Haupt Er ist (vgl. Kol 1,18). Über seinen Tod und seine Auferstehung hat uns Jesus Christus das Tor zu diesem Reich geöffnet, zur Heimat der Heiligen.
2. „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben“ (Joh 14,6).
Der Einwand des Thomas: „Herr, wir wissen nicht, wohin du gehst. Wie können wir dann den Weg kennen?“ (Joh 14,5) bietet Jesus die Gelegenheit auszuführen: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben“ (Joh 14,6). Hierbei handelt es sich um eine zentrale Aussage, die ein gewaltiger Schatz ist, weswegen sie zum Gegenstand zahlloser Untersuchungen, Reflexionen und Gebete wurde. In seiner Rede beim letzten Abendmahl zeigt Jesus, auf welche Weise er der Weg ist: „Niemand kommt zum Vater außer durch mich“ (Joh 14,6). Jesus entstammt dem Schoß des Vaters. Deswegen erinnern wir uns an den Prolog des Johannesevangeliums und die feierliche Aussage: „Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott und das Wort war Gott“ (Joh 1,1). „Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt“ (Joh 1,14). Im Gespräch mit Nikodemus hat Jesus ausgeführt: „Niemand ist in den Himmel hinaufgestiegen außer dem, der vom Himmel herabgestiegen ist: der Menschensohn“ (Joh 3,13). Jesus hat das feste Bewußtsein, eins mit dem Vater zu sein und seinen Willen zu erfüllen, so daß er seinen Jüngern durch alle Zeiten diese Einheit als Ideal vorlegt. Im sogenannten hohepriesterlichen Gebet bittet Jesus: „Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir bin, sollen auch sie in uns sein, damit die Welt glaubt, dass du mich gesandt hast“ (Joh 17,21).
Folgen daher auch wir, liebe Brüder und Schwestern, diesem sicheren Weg, der Jesus Christus, damit wir zum Vater gelangen. Eine sichere Weise hierfür ist das Hören auf sein Wort, die Feier der Sakramente, insbesondere die der Heiligen Messe. Danken wir dem dreieinen Gott für das Geschenk, daß die Gläubigen nach einer langen Zeit des eucharistischen Fastens wegen der Corona-Pandemie wieder an der Eucharistiefeier teilnehmen können und genährt werden mit dem Brot des Lebens.
3. „Wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen“ (Joh 14,9).
Die Beziehung zwischen Jesus und dem himmlischen Vater ist einzigartig. Diese Offenbarung musste für die jüdische Mentalität revolutionär gewesen sein, wozu ja auch die Apostel gehörten, denn sie waren Juden. Im Alten Testament wird sehr nachdrücklich die Einzigheit von JHWH betont, der Monotheismus, der jede Möglichkeit ausschloss, daß ein Mensch sich mit Gott vergleichen könne oder erst recht nicht vorzugeben, Gott gleich zu sein. Insofern wurden die Aussagen Jesu als „Gotteslästerung“ aufgefasst und boten von Seiten des Sanhedrins den Grund für seine Verurteilung zum Tod (vgl. Mk 14,64; Mt 26,65). Im Bericht des Heiligen Johannes gibt es keinen Zweifel über diese Identifikation von Jesus und Gottvater. Er überliefert die Worte des Herrn Jesus: „Wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen“ (Joh 14,9). „Ich bin im Vater und der Vater ist in mir“ (Joh 14,11). Der Beweis für diese Rede ist die Lehre Jesu mit Autorität und Wirksamkeit. „Die Worte, die ich zu euch sage, habe ich nicht aus mir selbst. Der Vater, der in mir bleibt, vollbringt seine Werke“ (Joh 14,10). Der Herr Jesus war sich der verstörenden Neuheit seiner nicht leicht zu verstehenden Verkündigung bewußt. Daher fordert er die Jünger auf: „Wenn nicht, dann glaubt aufgrund eben dieser Werke!“ (Joh 14,11). Auf den ersten Blick überraschend ist dann die Verheißung Jesu: „Amen, amen, ich sage euch: Wer an mich glaubt, wird die Werke, die ich vollbringe, auch vollbringen und er wird noch größere als diese vollbringen, denn ich gehe zum Vater“ (Joh 14,12). Diese Worte verwirklichen sich in der Kirche, die nach dem Willen des Herrn Jesus Seine Mission fortsetzt. Jesus hat dem erwählten Volk gepredigt, die Kirche ist gesandt, in der ganzen Welt die gute Nachricht jeder Kreatur zu predigen (vgl. Mk 16,15) und so das Werk Jesu weiterzuführen.
Liebe Brüder und Schwestern, danken wir dem dreieinen Gott für die Wahrheit, die er uns in seinem Eingeborenen Sohn Jesus Christus geoffenbart hat. Lobpreis und Dank dem Herrn Jesus, daß die Christen die Wirklichkeit Gottes als dem Einen und zugleich Dreifaltigen erkannt haben. Theologisch ausgesprochen ist Gott eins in der Natur und drei in den Personen. Der Monotheismus wurde für die Beziehung der Liebe zwischen den drei Personen von Vater und Sohn und Heiligem Geist erschlossen. Die Glückseligkeit des Christen besteht in der Einheit mit diesem großen Geheimnis, was allein durch Jesus Christus erreicht werden kann, denn er ist „der Weg, die Wahrheit und das Leben“ (Joh 14,6). Folgen wir daher diesem Weg, der zum Himmel führt, und loben wir Gott mit allen Heiligen, vor allem mit der seligen Jungfrau Maria, die im Monat Mai gerne als Rosenkranzkönigin angerufen wird. Ihrer Fürsprache vertrauen wir auch unser Gebet an, auf daß Gott unseren Glauben stärke, damit wir immer tiefer das Geheimnis verstehen, das uns Jesus offenbart hat: „Wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen“ (Joh 14,9). Amen.