Predigt von Nuntius Eterovic am 5. Sonntag der Osterzeit
Kloster Ettal, 15. Mai 2022
(Apg 14,21-27; Ps 145; Offb 21,1-5; Joh 13,31-33a.34-35)
„Jetzt ist der Menschensohn verherrlicht“ (Joh 13,31).
Verehrter Abt Barnabas!
Liebe Mönche und liebe Schwestern und Brüder!
In dieser Osterzeit ermuntert uns das Wort Gottes, immer tiefer einzudringen in das Geheimnis der Verherrlichung des Herrn Jesus, des Siegers über Sünde und Tod (I). An dieser Verherrlichung haben die Heiligen in besonderer Weise teil (II). Wir und alle Christen sind zur Heiligkeit berufen (III).
1. „Jetzt ist der Menschensohn verherrlicht“ (Joh 13,31).
Jesus hat bereits beim letzten Abendmahl von seiner Verherrlichung gesprochen, als Judas im Begriff war, ihn zu verraten. Das bedeutet, dass die Verherrlichung mit Jesu Tod verbunden ist und bereits mit seinem Leiden beginnt. Die Verherrlichung ist die Antwort des himmlischen Vaters auf die Liebe „bis zur Vollendung“ (Joh 13,1) Seines Eingeborenen Sohnes. Gott ist die Liebe (1 Joh 4,8.16), und die Liebe ist seine Herrlichkeit. Die Liebe charakterisiert die Beziehung zwischen Gott, dem Vater, dem Sohn und dem Heiligen Geist. Der Sohn liebt den Vater und erfüllt seinen Willen, indem er sein Leben für das Heil von uns Menschen hingibt. Nur die Liebe lässt die Worte des Herrn Jesus erfassen, der bereit war, den bitteren Kelch des Todes anzunehmen: „Jetzt ist der Menschensohn verherrlicht und Gott ist in ihm verherrlicht“ (Joh 13,31). Doch die Passion ist erst der Anfang der Verherrlichung Jesu; sie setzt sich fort und wird noch größer in der Zukunft, denn der Herr Jesus sagt: „Wenn Gott in ihm verherrlicht ist, wird auch Gott ihn in sich verherrlichen und er wird ihn bald verherrlichen“ (Joh 13,32).
Jesus Christus wusste, dass seine Stunde gekommen ist und dass er durch das Ostergeheimnis zum Himmel gehen wird, wovon her er hinabgestiegen ist und Mensch wurde (vgl. Eph 4,10). Er lehrt die Jünger aber, wie sie mit ihm, dem verherrlichten Herrn, eins bleiben können in der Liebe: „Ein neues Gebot gebe ich euch: Liebt einander! Wie ich euch geliebt habe, so sollt auch ihr einander lieben“ (Joh 13,34). Das Liebesgebot war schon im Alten Testament bekannt (vgl. Mt 22,35-40). Das Neue besteht in der wichtigen Beschreibung, die Jesus gibt: einander lieben, „wie ich euch geliebt habe“. Diese Liebe wird zum Erkennungszeichen seiner Jünger werden: „Daran werden alle erkennen, dass ihr meine Jünger seid: wenn ihr einander liebt“ (Joh 13,35). Die Liebe soll das Unterscheidungsmerkmal der Christen sein, das bewegende Zeugnis ihrer Präsenz in der Welt.
2. Liebt, „wie ich euch geliebt habe“ (Joh 13,34).
Liebe Brüder und Schwestern, die Kirche freut sich heute über die Heiligsprechung von zehn Seligen. Sie haben die Lehre Jesus Christi, das neue Gebot, verstanden und auf exemplarische Weise in die Tat umgesetzt. Sie liebten Gott und aufgrund dieser Liebe haben sie den Nächsten bis zur Vollendung geliebt. Vereint mit dem auferstandenen und inmitten seiner Kirche gegenwärtigen Herrn fällt ihre Verherrlichung zusammen mit dem Weg der Heiligkeit, den sie gegangen sind. Der Heilige Vater Franziskus wird heute in der Basilika St. Peter folgende zehn Selige kanonisieren: fünf davon aus Italien, drei aus Frankreich und je einer aus Indien und den Niederlanden.
Lazzaro Devasahayam Pillai (1712-1752), ein Laie aus Indien. Er war der erste indische Selige; ein Familienvater, der zur Zeit der Christenverfolgung im Königreich Travancore das Martyrium erlitt, weil er beschuldigt worden war, dem Hinduismus abgeschworen zu haben.
Luigi Maria Palazzolo (1827-1886), Priester aus Bergamo in Italien und Gründer der Kongregation der Armen Schwestern und Brüder von der Heiligen Familie.
Charles de Foucauld (1858-1916). Dieser war ein französischer Soldat, der dann Priester wurde und die Wüste Sahara erforschte und die Sprache und die Kultur des Volkes der Tuareg studierte. Er begann ein Leben in Einklang mit dem „Stil von Nazareth“, das auf Gebet, Stille und der Hände Arbeit, sowie in der Hilfe für die Armen gründete. Von seinem Denken und Lebensstil angezogen, suchten verschiedene Familien seine Spiritualität in die Tat umzusetzen, besonders die „Kleinen Brüder“ und die „Kleinen Schwestern Jesu“. Er wurde an dem Wüstenort, wo er lebte, in einen Hinterhalt gelockt und im Alter von 58 Jahren getötet.
Maria Domenica Mantovani (1862-1934), Ordensfrau aus Italien. Sie war die erste Oberin des Instituts der Kleinen Schwestern von der Heiligen Familie, die sie gemeinsam mit dem seligen Priester Giuseppe Nascimbeni gegründet hat. Aus Liebe zu Christus dienten sie mit einem demütigen und einfachen Leben den Armen, den Waisen und den Kranken.
Maria Rivier, Jungfrau (1768-1838), Ordensfrau aus Frankreich, die zur Zeit der Französischen Revolution, als alle religiösen Orden und Gemeinschaften geschlossen wurden, die Kongregation der Schwestern von der Darstellung Mariens im Tempel gründete, um das christliche Volk im Glauben zu unterweisen.
Cesar de Bus (1544-1607), ein Priester aus Frankreich. Er bekehrte sich von einem ausschweifenden Leben, er wurde Priester und weihte sein Leben der Predigt und der Katechese. Zu diesem Ziel gründete er die Kongregation der Patres von der christlichen Lehre, deren Zweck es ist, Gott über die Bildung der Gläubigen zu verherrlichen.
Giustino Maria Russollio (1891-1955), Priester aus Italien. Er war Pfarrer in Pianura/Neapel und Gründer der Gesellschaft der Göttlichen Berufung, um durch Kultur, Wissenschaft und Formation die Berufungen zum Priestertum oder zum Ordensleben zu fördern.
Maria Francesca di Gesù (Anna Maria Rubatto) (1844-1901), italienische Ordensfrau und Gründerin einer Kongregation von Kapuzinerschwestern. Im Jahr 1892 wanderte sie nach Lateinamerika aus; zunächst wirkte sie in Uruguay und dann in Brasilien. Mit Hingabe diente sie den Armen. Sie war die erste Selige Uruguays.
Titus Brandsma (1881-1942), ein Ordenspriester aus den Niederlanden. Er gehörte dem Karmeliterorden an. Er wurde im Jahr 1923 Professor für Philosophie und Geschichte der Mystik an der neugegründeten Universität von Nimwegen, dessen Gründungsrektor er war. Als Journalist hatte er unter anderem einen internationalen Presseausweis. In der Zeit der Verfolgung durch die Nationalsozialisten erlitt er das Martyrium im Konzentrationslager in Dachau. Im Namen der Verteidigung der Kirche und der Menschenwürde nahm er mit innerer Gelassenheit alle Leiden und Demütigungen auf sich.
Maria di Gesù Santocanale (1852-1923), Ordensfrau aus Italien und Gründerin der Kongregation der Kapuzinerschwestern von der Unbefleckten Empfängnis von Lourdes. Sie lehnte jede Bequemlichkeit ab und wurde eine Arme unter Armen. Von Christus erhielt sie vor allem in der Eucharistie die Kraft für ihre mütterliche Spiritualität und ihre zärtliche Hinwendung zu den Schwächsten.
3. Die allgemeine Berufung zur Heiligkeit
Die erwähnten Heiligen bestätigen die Glaubenswahrheit, wenn wir im großen Glaubensbekenntnis sagen: „Ich glaube an die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche“. Dessen müssen wir uns gerade in unserer Zeit immer bewußt bleiben, wo man fast ausschließlich über die Sünden und die Verbrechen wie Missbrauch durch Glieder der Kirche spricht. Oft gerät die wahre Bedingung der Christen in Vergessenheit: sie sind Sünder, die zur Heiligkeit berufen sind. Kraftvoll wurde diese Wahrheit in Kapitel V der Dogmatischen Konstitution Lumen Gentium des II. Vatikanischen Konzils bekräftigt, das überschrieben ist mit: Die allgemeine Berufung zur Heiligkeit in der Kirche. In diesem Dokument wird nachdrücklich in Erinnerung gerufen, dass allein der Herr Jesus heilig genannt werden kann, während die Gläubigen zugleich auch Sünder sind, die zur Umkehr und zur Heiligkeit berufen sind: „Während aber Christus heilig, schuldlos, unbefleckt war (Hebr 7,26) und Sünde nicht kannte (2 Kor 5,21), sondern allein die Sünden des Volkes zu sühnen gekommen ist (vgl. Hebr 2,17), umfaßt die Kirche Sünder in ihrem eigenen Schoße. Sie ist zugleich heilig und stets der Reinigung bedürftig, sie geht immerfort den Weg der Buße und Erneuerung“ (LG 8). Einen ganz besonderen Platz nimmt die selige Jungfrau Maria ein. In der Vorsehung ihrer göttlichen Mutterschaft wurde sie von der Erbschuld bewahrt und kann daher „voll der Gnade“ (Lk 1,28) genannt werden.
Liebe Schwestern und Brüder, wir sind alle als Sünder zur Heiligkeit berufen. Die Heiligkeit ist keine Ausnahmeerscheinung der Kirche, sondern ist ihr eigen, angemessen und gehört wie selbstverständlich zu ihr. Das zeigt die Zahl der offiziell erhobenen Seligen und Heiligen. Der Heilige Papst Johannes Paul II. hat 1.338 Dienerinnen und Diener Gottes seliggesprochen und 482 Selige zu Heiligen der Kirche erhoben. Seine Nachfolger haben diesen Weg fortgesetzt. Benedikt XVI. hat 44 Heilige proklamiert und Papst Franziskus hat bis heute 899 Selige kanonisiert. Die Menschen können dieses Ideal allein durch die Gnade Gottes erreichen, die uns im Wort Gottes begegnet und in den Sakramenten, vor allem in der Eucharistie gewährt wird. Das setzt auch einen Weg christlicher Askese voraus, der allen gilt, vor allem aber den zum kontemplativen und klösterlichen Leben geweihten Personen, wie auch den Männern und Frauen, die zu einem Leben in religiöser Gemeinschaft berufen sind. Tatsächlich mussten auch die Heiligen, wie jeder Christ gegen sich selbst ankämpfen, gegen den alten Menschen, den wir mit drei Versuchungen beschreiben können: des Fleisches, der Augen und der Begierde, sich des materiellen Besitzes zu rühmen (vgl. 1 Joh 2,16). Sie mussten sich außerdem den Herausforderungen ihrer Zeit stellen, Schwierigkeiten meistern und Verfolgung erdulden. Auch sie haben erfahren und sich sagen: „Durch viele Drangsale müssen wir in das Reich Gottes gelangen“ (Apg 14,22). Indem sie Heilige werden, sind sie auch Mitbürger und sehen vollendet die „heilige Stadt, das neue Jerusalem, von Gott her aus dem Himmel herabkommen; sie war bereit wie eine Braut, die sich für ihren Mann geschmückt hat“ (Offb 21,2). Mit der Hilfe des dreieinen Gottes wollen wir uns aufmachen und ihrem Beispiel folgen. Amen.