Predigt von Nuntius Eterovic am 7. Sonntag im Jahreskreis

Apostolische Nuntiatur, 20. Februar 2022

(1 Sam 26,2.7-9; Ps 103; 1 Kor 15,45-49; Lk 6,27-49)

„Liebt eure Feinde" (Lk 6,27).

Liebe Schwestern und Brüder!

Das Wort Gottes, das wir gehört haben, ist die Fortsetzung der sogenannten Feldrede aus dem Lukasevangelium vom vergangenen Sonntag. An diesem siebten Sonntag im Jahreskreis setzt der Herr Jesus fort, die Kernbotschaft des Evangeliums zu verkünden, jener guten Nachricht an die Menschen durch alle Zeiten. Er betont, was aus den von ihm verkündeten Seligpreisungen folgt. Am schwierigsten zu leben ist die Liebe zu den Feinden. Diese Lehre wird in gewisser Weise im Alten Testament vorbereitet und wird beispielsweise in der Beziehung zwischen David und dem König Saul reflektiert (I). Jesus aber bringt diese Überlegungen zur Vollendung (II) und ermuntert uns alle, sie in die Tat umzusetzen (III). Allein aber mit unseren menschlichen Kräften wäre das unmöglich. Der auferstandene und in seiner Kirche gegenwärtige Herr schenkt uns jedoch die Gabe des Heiligen Geistes, damit wir sein Wort erfassen und imstande sind, es in die Tat umzusetzen.

1. „Bring ihn nicht um" (1 Sam 26,9).

Die Beziehung zwischen Saul, dem König von Israel, und David war sehr konfliktträchtig. Nach der Heiligen Schrift lag dies im Neid des Saul auf David begründet, denn jener hatte im Kampf gegen die gemeinsamen Feinde mehr Erfolg als er. Saul merkte, dass der Beistand Gottes von ihm zu David überging (vgl. 1 Sam 18,12). Außerdem fürchtete Saul, der immer beliebter werdende David könnte sein Rivale werden und den Thron beanspruchen, was angesichts der Freundschaft seines Sohnes Jonatan mit David durchaus denkbar war (vgl. 1 Sam 20,30-33). König Saul wollte David umbringen, der ihn daher zurecht als Feind zu betrachten. Als Saul nun David verfolgte, geschah etwas völlig Unerwartetes: Saul und seine Soldaten drangen tief in das Gebiet der Wüste Sif vor, wo sie ihr Lager aufschlugen. David und sein Begleiter Abischai näherten sich dem Zelt des Königs, ohne bemerkt zu werden. Abischai schlug David vor, Saul zu töten: „Heute hat Gott deinen Feind in deine Hand ausgeliefert. Jetzt werde ich ihn mit einem einzigen Speerstoß auf den Boden spießen, einen zweiten brauche ich nicht dafür" (1 Sam 26,8). David aber lehnte dies entschieden ab, denn er wollte seine Hände nicht mit dem Blut eines Gesalbten des Herrn beflecken: „Bring ihn nicht um! Denn wer hat je seine Hand gegen den Gesalbten des HERRN erhoben und ist ungestraft geblieben?" (1 Sam 26,9). Hier ist daran zu erinnern, dass der Prophet Samuel den Saul zum König von Israel gesalbt hatte (vgl. 1 Sam 10,1). Aus sicherer Entfernung aber machte David dem König Saul klar, dass er ihn hätte umbringen können, doch nicht vermochte, seine Hand gegen den Gesalbten des Herrn zu erheben. David wollte nicht Selbstjustiz üben, sondern legte den Urteilspruch in die Hände des allmächtigen Gottes. Und so sagte er zu Saul: „Der HERR wird jedem seine Gerechtigkeit und Treue vergelten" (1 Sam 26,23).

2. „Liebt eure Feinde" (Lk 6,27).

David wollte Gewalt nicht mit Gewalt beantworten. Doch Jesus verlangt von seinen Jüngern noch mehr, nämlich auch die Feinde zu lieben. Sein Wort ist unmissverständlich klar: „Liebt eure Feinde; tut denen Gutes, die euch hassen! Segnet die, die euch verfluchen; betet für die, die euch beschimpfen" (Lk 6,27-28). Der Herr führt zwei Gründe für ein solches Verhalten an. Zunächst bezieht er sich auf die anthropologische Konzeption von der rechten Beziehung zum Nächsten, was sich in der Maxime der goldenen Regel ausdrückt: „Und wie ihr wollt, dass euch die Menschen tun sollen, das tut auch ihr ihnen" (Lk 6,31). Der zweite Grund ist theologischer Art und bezieht sich auf die Haltung Gottes zu uns Menschen: „Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist" (Lk 6,36). Die übrigen Aussagen dienen dazu, das Gebot des Herrn Jesus besser zu verstehen. Nur die zu lieben, die uns lieben, ist in keiner Weise ein Proprium von Christen. Ebenso verhalten sich nämlich auch die Heiden. Das gilt auch, wenn wir nur denen Gutes tun, die zu uns gut sind, oder nur jenen leihen, die es uns zurückgeben können: wir tun damit nichts Besonderes, denn wir verhalten uns genauso wie die Sünder. Jesus offenbart im Gegenteil dazu, dass die Feindesliebe sich durch zwei Haltungen ausdrückt; einer geistlichen Haltung: „Segnet die, die euch verfluchen; betet für die, die euch beschimpfen" und einem eher leiblich-materiellen Verhalten: „Dem, der dich auf die eine Wange schlägt, halt auch die andere hin und dem, der dir den Mantel wegnimmt, lass auch das Hemd! Gib jedem, der dich bittet; und wenn dir jemand das Deine wegnimmt, verlang es nicht zurück" (Lk 6,29-30). Beide Dimensionen ergänzen einander und sind ineinander verwoben. Das ergibt sich aus dem Wort des Herrn Jesus: „Doch ihr sollt eure Feinde lieben und Gutes tun und leihen, wo ihr nichts zurückerhoffen könnt. Dann wird euer Lohn groß sein und ihr werdet Söhne des Höchsten sein; denn auch er ist gütig gegen die Undankbaren und Bösen" (Lk 6,35).

 

Dieses Verständnis von Liebe zum Nächsten schließt die Feinde mit ein. Jesus Christus warnt uns davor, vorschnell über Menschen zu urteilen, denn die gleichen Kriterien werden dann auch auf uns angewandt: jener, der richtet, wird selbst einmal gerichtet werden; wer verdammt, wird verdammt werden. Hingegen wird der, welcher vergibt, Vergebung erlangen (vgl. Lk 6,37). Das heutige Evangelium schließt mit einer weiteren Maxime des Herrn Jesus: „Nach dem Maß, mit dem ihr messt, wird auch euch zugemessen werden" (Lk 6,38).

3. „Segnet die, die euch verfluchen" (Lk 6,28).

Das gehörte und vermittelte Wort Gottes ist auch deswegen kraftvoll, weil es das Verhalten des Herrn Jesus beschreibt. Was er verkündete, hat er gelebt. An das Holze des Kreuzes geschlagen, hat er nicht nur nicht seine Feinde gehasst, sondern für sie gebetet: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun" (Lk 23,34). Einem der verurteilten Verbrecher, die mit Ihm gekreuzigt wurden, hat er nicht nur vergeben, sondern ihm das ewige Leben versprochen: „Amen, ich sage dir: Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein" (Lk 23,43). Das Beispiel Jesu Christi bleibt die goldene Regel und war es auch für die Märtyrer, für jeden Glaubenszeugen. Das zeigt der Protomärtyrer Stephanus, der sich wie Jesus verhalten hat. Bevor er nach der Steinigung starb, hat er für seine Feinde gebetet: „Herr, rechne ihnen diese Sünde nicht an" (Apg 7,60). Die Katholische Kirche beachtet dieses Kriterium bei jeder Selig- oder Heiligsprechung von Märtyrern. Das sind nur jene, die der Lehre und dem Beispiel Jesu gefolgt sind, von Hass und Gewalt absahen und die ihren Feinden vergeben und für sie gebetet haben.

Liebe Brüder und Schwestern, die Lehre Jesu richtet sich auch an uns alle. Seine Aufforderung: „Liebt eure Feinde" (Lk 6,27) gilt jedem von uns. Daher sollten wir zunächst klären, ob auch wir Feinde haben? Danach gilt es, unser Gewissen zu erforschen über unser Verhalten ihnen gegenüber. Sind wir in der Lage, unseren Egoismus zu besiegen, unseren Stolz, unsere Demütigung, das Geschwätz, um das Böse mit dem Guten zu besiegen, geführt vom Heiligen Geist, wie es uns der Heilige Paulus lehrt (vgl. Rom 12,21)? Das gelingt nicht plötzlich und auf einmal. Es braucht den Prozess der Umkehr nach der Weisung des Herrn Jesus. Als erstes gilt, dass wir anfangen für unsere Feinde zu beten, bereit zu sein, ihnen zu helfen, falls sie etwas nötig haben. Das Gebet, das Gespräch mit Gott reinigt uns von Groll oder möglichem Hass, der sich in der Tiefe unseres Herzens verbirgt. Die Gnade des Heiligen Geistes hilft uns, diese Gefühle durch Vergebung zu besiegen, und ermutigt uns, erneut in Kontakt mit den Feinden zu treten. Die Gnade Gottes kann auch heute in jedem Menschen, in unseren Gemeinschaften und in der Gesellschaft Wunder wirken. Das Wunder der Vergebung befreit das Menschenherz von der Last des Hasses und dem Verlangen nach Vergeltung. Denken wir an die christlichen Eltern, der aus dem Glauben heraus den Mut fanden, den verurteilten Mördern ihrer Kinder zu vergeben. Das Wunder der Versöhnung gibt es auch zwischen Familienangehörigen, die sich oft aus eher nichtigen Gründen getrennt hatten oder im Streit um das Erbe und materielle Dinge. Das Wunder der Eintracht lässt Familien und Personen zu einer kirchlichen oder sozialen Gemeinschaft wiederfinden, die wegen unterschiedlicher Weltanschauungen oder politischer Parteizugehörigkeit gespalten waren. Bei dieser Haltung hilft uns das Gebet des Vaterunser, das der Herr Jesus uns gelehrt hat, wenn wir beten: „Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben wir unseren Schuldigern". Der mit sich, mit seiner Familie und der Gemeinschaft, in der er lebt, versöhnte Mensch wird ein kraftvoller Förderer der Versöhnung, der Vergebung und des Friedens in der Welt.

Liebe Brüder und Schwestern, auf die Fürsprache der seligen Jungfrau Maria, der Mutter Jesu und unsere Mutter, bitten wir den allmächtigen und barmherzigen Gott um die Gnade, in der Weise zu leben, wie es uns der Herr Jesus gezeigt hat. Er verlangt von uns nicht nur, wie David treu gegenüber dem König Saul zu sein, sondern alle zu lieben, unsere Feinde eingeschlossen, damit wir Kinder seines und unseres Vaters im Himmel sind, „denn er lässt seine Sonne aufgehen über Bösen und Guten und er lässt regnen über Gerechte und Ungerechte" (Mt 5,45). Amen.

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