Predigt von Nuntius Eterovic am Hochfest Allerheiligen
Apostolische Nuntiatur, 1. November 2020
(Offb 7,2-4.9-14; Ps 24; 1 Joh 3,1-3; Mt 5,1-12)
„Selig, die arm sind vor Gott; denn ihnen gehört das Himmelreich“ (Mt 5,3).
Liebe Schwestern und Brüder!
Mit großer Freude feiern wir das Hochfest Allerheiligen. Wir danken dem guten und barmherzigen Gott, „am heutigen Fest
die Verdienste aller deiner Heiligen zu feiern“, wie es im Tagesgebet heißt. Wir wollen über das Wort Gottes, das wir gehört haben, in die Tiefe des heutigen Festes vordringen. In der vollkommenen Gemeinschaft mit Gott, dem Vater, Sohn und Heiligen Geist, erfreut sich eine große Schar unserer Brüder und Schwestern der ewigen Seligkeit im Himmel (I). Als Glieder der pilgernden Kirche wollen wir uns freuen, dass auch wir dieses Ziel als Kinder Gottes dank der Fürsprache aller Heiligen erreichen können (II). Die Seligpreisungen sind der Weg zur Heiligkeit und ewigen Glückseligkeit (III).
1. „Eine große Schar“ (Offb 7,9)
Im letzten Buch der Bibel, in der Offenbarung, finden wir eine wunderbare Beschreibung der Heiligen im Himmel. Vorrang haben jene des erwählten Volkes Israel. Ihre Zahl ist groß und wird symbolisch mit „hundertvierundvierzigtausend aus allen Stämmen der Söhne Israels“ (Offb 7,4) angegeben. Sogleich wird von der „großen Schar“ gesprochen, „aus allen Nationen und Stämmen, Völkern und Sprachen; niemand konnte sie zählen. Sie standen vor dem Thron und vor dem Lamm, gekleidet in weiße Gewänder, und trugen Palmzweige in den Händen. Sie riefen mit lauter Stimme und sprachen: Die Rettung kommt von unserem Gott, der auf dem Thron sitzt, und von dem Lamm“ (Offb 7,9-10). Auch wir vereinen unsere Stimme mit ihnen und lobpreisen den allmächtigen Gott, weil er nicht nur die Glieder seines erwählten Volkes retten wollte, sondern alle Völker der Erde. Gott „will, dass alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen“ (1 Tim 2,4).
Liebe Brüder und Schwestern, das heutige Hochfest ruft uns das Ziel unseres Lebens in Erinnerung: die ewige Seligkeit in der vollkommenen Einheit mit dem dreieinen Gott und in der Gemeinschaft aller Heiligen. Im Alltag, der uns mit vielen kleinen und großen Problemen belastet, gibt es die Gefahr, diese Wirklichkeit zu vergessen, die zugleich auch die Größe unserer christlichen Berufung anzeigt. Es gibt das Risiko, dass zu viele materielle Sorgen den Horizont der Ewigkeit unseres Glaubens verdunkeln, und wir uns zu sehr an die Mentalität dieser säkularisierten Welt anpassen, wo man von der Existenz Gottes und somit auch vom ewigen Leben absieht. Danken wir daher Gott für diese starke Ermutigung auf unserem irdischen Pilgerweg: „die Auferstehung der Toten und das ewige Leben“, wie es im Apostolischen Glaubensbekenntnis heißt. Eben dieser Glaube wird auch im nicäno-konstantinopolitanischen Bekenntnis ausgedrückt: „Wir erwarten die Auferstehung der Toten und das Leben der kommenden Welt“.
2. „Wir heißen Kinder Gottes“ (1 Joh 3,1)
Zweimal beschreibt der Heilige Johannes im Abschnitt aus seinem ersten Brief, den wir gehört haben, unsere Gotteskindschaft. Nach der Einleitung: „Seht, welche Liebe uns der Vater geschenkt hat: Wir heißen Kinder Gottes und wir sind es!“ (1 Joh 3,1) führt er näher aus: „Geliebte, jetzt sind wir Kinder Gottes. Doch ist noch nicht offenbar geworden, was wir sein werden. Wir wissen, dass wir ihm ähnlich sein werden, wenn er offenbar wird; denn wir werden ihn sehen, wie er ist“ (1 Joh 3,2). Die große Würde des Christen besteht in der Gotteskindschaft. Hierbei handelt es sich um die Gnade, die Gott allen Getauften gewährt, und Ausdruck seiner Liebe zu uns ist. Wir unsererseits müssen diese Gabe annehmen und fruchtbar machen, wobei wir der Kraft des Heiligen Geistes und der Fürsprache aller Heiligen vertrauen, vor allem unserer Namenspatrone und der seligen Jungfrau Maria, der Mutter der Kirche und Mutter jedes Christen.
Ein Kind Gottes zu sein, das verlangt, dass wir uns so verhalten, wie es Gott will. Gott ist heilig und möchte, alle seine Söhne und Töchter sollen heilig werden. Schon im Alten Testament hat Gott sein Volk ermahnt: „Seid heilig, denn ich, der HERR, euer Gott, bin heilig“ (Lev 19,2). Jesus Christus hat die Gültigkeit dieser Berufung mit den Worten bestätigt: „Seid also vollkommen, wie euer himmlischer Vater vollkommen ist“ (Mt 5,48). Somit ist Heiligkeit das Ideal des christlichen Lebens. Sie bringt uns auf den rechten Weg zum Himmel und zur Gemeinschaft aller Heiligen am Throne Gottes. Wenn wir das Ziel unseres Weges kennen, das ewige Leben nämlich, und die unverzichtbare Bedingung, dieses zu erreichen, die Heiligkeit, so ist einleuchtend, dass unser persönliches und gemeinschaftliches Handeln, jede persönliche und kirchliche Reform von der Berufung zur Heiligkeit gekennzeichnet sein muss. Alle großen Reformer der Kirche waren Heilige. Es wäre illusorisch, allein auf äußere, formale, organisatorische Reformen zu setzen, und zu meinen, damit eine wahrhaftige Reform der Kirche erreichen zu können.
3. „Selig, die arm sind vor Gott; denn ihnen gehört das Himmelreich“
(Mt 5,3)
Die Seligpreisungen weisen den Weg zur Heiligkeit und somit zur Herrlichkeit des Himmels. Im heutigen Evangelium wiederholt der Heilige Matthäus gut neunmal das Wort „selig“. Wir wollen lediglich bei der ersten und letzten Seligpreisung verweilen, die auf besondere Weise mit der ersten Lesung verbunden ist und bewusst bleiben lässt, Jesus Christus ist das Vorbild jeder Seligpreisung.
Die Armen vor Gott sind all jene, die von den materiellen Gütern abgeschnitten sind. Sie sind nicht mit den Reichtümern dieser Welt gesegnet und können somit leichter ihr Herz für Gott öffnen, seine Stimme hören und nach seinen Weisungen und vor allem in Einklang mit seinen Geboten leben. Diese Seligpreisung richtet sich in unterschiedlicher Weise an Arme wie an Reiche. Die Reichen vermag sie zu ermutigen, den Armen auf verschiedene Weise zu helfen. So wird beispielsweise ein Geschäftsinhaber die Seligpreisung in die Tat umsetzen, wenn er alles dafür tut, seinen Arbeitern einen gerechten Monatslohn zu zahlen. Das ist in dieser Zeit der Corona-Pandemie besonders aktuell. Für den Armen ist es leichter, diese Seligpreisung zu leben, denn er ist ganz allgemein offener für den Nächsten, was sich in einer größeren Solidarität mit den Notleidenden zeigt. Doch auch der Arme soll sich nicht nach den überflüssigen materiellen Gütern sehnen, auch wenn er die braucht, die für ein würdiges Leben für sich und seine Familie nötig sind. Außerdem soll der Neid sich nicht in seinem Herzen einnisten und seine zerstörerische Kraft entfalten.
Die letzte Seligpreisung: „Selig seid ihr, wenn man euch schmäht und verfolgt und alles Böse über euch redet um meinetwillen“ (Mt 5,11) ist mit der ersten Lesung verbunden. Denn im Abschnitt aus der Offenbarung werden besonders die Märtyrer beschrieben, die weiße Kleider und Palmzweige in den Händen tragen (Offb 7,9). Diese Heiligen „sind jene, die aus der großen Bedrängnis kommen; sie haben ihre Gewänder gewaschen und im Blut des Lammes weiß gemacht“ (Offb 7,14). Die Blutzeugen haben übergroße Liebe zu Gott gezeigt (vgl. Mk 12,30) und sie mit ihrem Blut besiegelt. Jeder Christ aber ist dazu gerufen, Zeuge zu sein, was Märtyrer über die kleinen und großen Opfer heißt, die er in seinem Glaubensleben annehmen muss. Er ist sich bewusst: „Durch viele Drangsale müssen wir in das Reich Gottes gelangen“ (Apg 14,22).
Liebe Brüder und Schwestern, wir danken Gott, dem Vater, Sohn und Heiligem Geist, für die große Freude, die Er uns heute schenkt, „denn heute schauen wir deine heilige Stadt, unsere Heimat, das himmlische Jerusalem. Dort loben dich auf ewig die verherrlichten Glieder der Kirche“ (Präfation von Allerheiligen). Wir vereinen unsere Stimmen mit denen der Engelchöre und der Heiligen und rufen: „Amen, Lob und Herrlichkeit, Weisheit und Dank, Ehre und Macht und Stärke unserem Gott in alle Ewigkeit“ (Offb 7,12). Amen.