Predigt von Nuntius Eterovic am Hochfest Allerheiligen bei der Thomas-Gilde Hamburg
Hamburg, 1. November 2022
(Offb 7,2-4.9-14; Ps 23; 1 Joh 3,1-2; Mt 5,1-12)
„Selig, die arm sind vor Gott; Selig, die Frieden stiften“ (Mt 5, 3.9).
Liebe Schwestern und Brüder,
mit großer Freude begehen wir das Fest Allerheiligen. Diese Freude erfasst die ganze Kirche, wie wir im Tagesgebet gehört haben, „die Freude, am heutigen Fest die Verdienste aller [deiner] Heiligen zu feiern.“ Das Wort Gottes weist in der Lesung auf die große Zahl der Heiligen hin (I). Sie sind unsere Brüder und Schwestern, weil sie wie wir Kinder Gottes sind (II). Auch sie wurden wie wir von Jesus zur Heiligkeit über den Weg der Seligpreisungen berufen (III).
Bevor ich auf das Wort Gottes eingehe, möchte ich herzlich Dr. Benedikt Fechtrup, Präsident der Thomas-Gilde Hamburg e.V., für die Einladung, gemeinsam mit Ihnen dieses Hochfest zu begehen, danken. Das gibt mir die Gelegenheit, Sie im Namen des Heiligen Vaters Franziskus, Bischof von Rom und Hirte der ganzen Kirche, den ich in der Bundesrepublik Deutschland zu vertreten die Ehre habe, herzlich zu grüßen. Als Zeichen der Gemeinschaft mit dem Papst, Symbol der Einheit in der Liebe der Katholischen Kirche, erteile ich am Ende der Heiligen Messe den Apostolischen Segen
In Offenheit für den Heiligen Geist wollen wir nun miteinander über einige wichtige Punkte der biblischen Lesungen von heute nachdenken.
1. Danach sah ich und siehe, eine große Schar (Offb. 7,9).
Die erste Lesung aus der Offenbarung des Johannes lädt uns ein, an der göttlichen Liturgie teilzunehmen, den Einen und Dreifaltigen Gott anzubeten, Vater, Sohn und Heiligen Geist, zusammen mit der großen Schar der Heiligen. Der inspirierte Autor betont zweimal die große Zahl der Heiligen im Himmel. Zunächst bezieht er sich auf das auserwählte Volk, das Volk Israel. „Und ich erfuhr die Zahl derer, die mit dem Siegel gekennzeichnet waren. Es waren hundertvierundvierzigtausend aus allen Stämmen der Söhne Israels, die das Siegel trugen“ (Offb 7,4). Die Zahl hundertvierundvierzigtausend wird erreicht, wenn man die zwölf Stämme Israels mit zwölf multipliziert. Die Zahl zwölf steht für die Fülle, die Vollkommenheit. Bei der nächsten Erwähnung kommen zur Zahl der Heiligen noch Angehörige anderer Völker hinzu: „eine große Schar aus allen Nationen und Stämmen, Völkern und Sprachen“ (Offb 7.9).
Liebe Schwestern und Brüder, in dieser unermesslichen Zahl von Heiligen können wir nicht nur die von der Katholischen Kirche offiziell anerkannten Heiligen erkennen. Weitaus zahlreicher unter ihnen sind vielmehr Gläubige und Christen, deren Namen nur Gott kennt. Darunter können wir auch Familienangehörige, Freunde und Bekannte wiederfinden. Sie alle sind nicht passiv, sondern nehmen an der göttlichen Liturgie teil und loben Gott, den dreimal Heiligen (vgl. Jes 6,3). Unter ihnen sind die Märtyrer, die „ihre Gewänder gewaschen und im Blut des Lammes weiß gemacht“ (Offb 7,14) haben. „Sie standen vor dem Thron und vor dem Lamm, gekleidet in weiße Gewänder, und trugen Palmzweige in den Händen.“ (Offb 7,9).
In dieser Heiligen Messe wollen auch wir, liebe Schwestern und Brüder, Gott Vater, Sohn und Heiligem Geist dafür danken, dass er viele heilige Männer und Frauen im Himmel, im Paradies aufnimmt. Das gilt besonders für die Märtyrer unserer Zeit, die zahlreicher sind als die der ersten Jahrhunderte des Christentums. Laut einer Studie der Organisation Open Doors wurden in den Jahren 2020-2021 in 50 Ländern der Welt über 360 Millionen Christen verfolgt, 5.898 wurden umgebracht.
2. „Jetzt sind wir Kinder Gottes“ (1 Joh 3,2).
In seinem ersten Brief unterstreicht Johannes die Größe der Berufung der Christen: „Seht, welche Liebe uns der Vater geschenkt hat: Wir heißen Kinder Gottes und wir sind es.“ (1 Joh 3,1). Diese Würde wird von der Welt nicht erkannt, die doch ihre Quelle kennt: Gott Vater. Im Gegenteil, wir wissen: „Jetzt sind wir Kinder Gottes. Doch ist noch nicht offenbar geworden, was wir sein werden.“ (1 Joh 3,2).
Am Hochfest Allerheiligen sollten wir über unsere Berufung zu Kindern Gottes nachdenken, wie auch über die Kirche, zu der wir gehören. Die Kirche ist gleichzeitig der mystische Leib Christi wie auch eine sichtbare und menschlich strukturierte Gemeinschaft. Im Nicaeno-Konstantinopoli-tanischen Credo bekennen wir: „Ich glaube an die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche.“ Heute betrachten wir die Heiligkeit der Kirche. Sie ist heilig, denn sie ist Werk Gottes: des Vaters, des Schöpfers, des Sohnes, des Erlösers und des Heiligen Geistes, der heiligt. Gott allein ist heilig und durch seine Gegenwart in der Kirche wird sie heilig. Die Kirche ist auch heilig, weil sie durch die Vorsehung Gottes Mittel zur Heiligung erhalten hat, insbesondere die sieben Sakramente. Die Kirche besteht jedoch aus Menschen, die glauben, aber gleichzeitig Sünder sind, die zur Heiligkeit berufen sind. Daher verstehen wir, dass auch die Christen sündigen und damit schwere Skandale in der Kirche und der Gesellschaft verursachen können, wie im Fall der sexuellen und anderer Gewalt. Trotz der Sünden ihrer Glieder bleibt die Kirche heilig und ruft ihre Kinder zur Umkehr auf, zur Rückkehr auf den Weg der Heiligkeit. Dazu steht im Katechismus der Katholischen Kirche: „Während Christus, heilig, schuldlos, unbefleckt‘, die Sünde nicht kannte, sondern allein die Vergehen des Volkes zu sühnen kam, umfasst die Kirche in ihrem eigenen Schoß Sünder, ist zugleich heilig und stets reinigungsbedürftig, sie geht so immerfort den Weg der Buße und Erneuerung. Alle Glieder der Kirche, auch ihre Amtsträger, müssen bekennen, dass sie Sünder sind. In allen wächst zwischen der guten Saat des Evangeliums bis zum Ende der Zeiten auch das Unkraut der Sünde. Die Kirche vereint sündige Menschen, die zwar vom Heil Christi erfasst, aber noch immer erst auf dem Weg zur Heiligkeit sind“ (KKK 827).
3. „Selig, die arm sind vor Gott; Selig, die Frieden stiften“ (Mt 5,3.9).
Der Herr Jesus weist uns unaufhörlich auf den Weg der Heiligung und der Erlösung durch die Gnade und im Geist der Seligpreisungen hin. Der Terminus selig (μαϰάριος), der glücklich, erfüllt bedeutet, taucht oft im Alten wie im Neuen Testament auf. Er bezeichnet sowohl das Subjekt wie auch die Motivation, aus der heraus er selig genannt wird, die letztlich in Gott liegt.
„Selig, die arm sind vor Gott“ (Mt 5,3). Die erste der Seligpreisungen zielt auf Menschen, deren einziger Reichtum Gott ist. In materieller Hinsicht sind sie arm, um in ihren Herzen keine materiellen Idole zu schaffen, sondern allein Gott anzubeten. Um in dieser Welt zu leben, haben sie natürlich auch die irdischen Güter nötig, doch verwenden sie diese gemäß der Lehre des Herrn Jesus, der wollte, dass man sich Freunde macht „mit dem ungerechten Mammon, damit ihr in die ewigen Wohnungen aufgenommen werdet, wenn es zu Ende geht“ (Lk 16,9). Also sind die Armen im Geiste jene, die reich sind in der Liebe zu Gott und dem Nächsten, vor allem gegenüber den ganz Armen und materiell und spirituell Hilfsbedürftigen. Diese Seligpreisung spornt uns zur Liebe in Kirche und Welt an.
„Selig, die Frieden stiften; denn sie werden Kinder Gottes genannt werden.“ (Mt 5,9). Die Christen sind immer gerufen, Frieden zu stiften, vor allem im eigenen Herzen, aber dann in der Familie, der Gemeinschaft, Pfarrgemeinde, in der Gesellschaft. Der Herr Jesus selbst ist der „Fürst des Friedens“ (Jes 9,5). Nach der Auferstehung hat die die Jünger mit den Worten begrüßt: „Friede sei mit euch!“ (Joh 20,19.21) und hat ihnen dann aufgetragen, den Frieden in der Welt zu verkünden, beginnend mit dem Herzen eines jeden Sünders, der doch zur Umkehr durch das Sakrament der Versöhnung gerufen ist (vgl. Joh 20,21-22). Der Friede ist eng mit der christlichen Berufung verknüpft, denn wer Frieden stiftet, wird Kind Gottes genannt werden. Die Haltung des Friedensstifters wir helfen, die Würde der Natur und der Berufung des Christen neu zu entdecken, der sich nicht nur Kind Gottes nennen darf, sondern es wirklich sein soll. Bitten wir den guten und barmherzigen Gott um die Gabe des Friedens für die Welt, die voll ist von Gewalt und Krieg. Beten wir vor allem für Ukraine, die unbeschreiblich unter den tragischen Folgen der Aggression durch die Russische Föderation leidet, was so viele menschliche Opfer fordert und riesige Zerstörungen hinterlässt.
Vertrauen wir unser Gebet der Fürsprache der unzähligen Heiligen an, und in besonderer Weise der Seligen Jungfrau Maria, der Mutter des Friedens, um die Bekehrung der Sünder, besonders jener, die Krieg und die Kultur des Todes fördern, und um unserer Welt den so ersehnten Frieden in der Gerechtigkeit und der Liebe zu erhalten.
Liebe Schwestern und Brüder, am Hochfest Allerheiligen bringen wir vor den Einen und Dreifaltigen Gott unsere Bitten und vereinen uns mit ihrer Stimme im Himmel: „Die Rettung kommt von unserem Gott, der auf dem Thron sitzt, und von dem Lamm. Amen, Lob und Herrlichkeit, Weisheit und Dank, Ehre und Macht und Stärke unserem Gott in alle Ewigkeit. Amen.“ (Offb 7,10.12).