Predigt von Nuntius Eterovic am Pfingstsonntag
Apostolische Nuntiatur, 23. Mai 2021
(Apg 2,1-11; Ps 104; Gal 5,16-25; Joh 15,26-27;16,12-15)
„Komm, Heiliger Geist, erfülle die Herzen deiner Gläubigen und entzünde in ihnen das Feuer deiner Liebe“.
Liebe Schwestern und Brüder,
mit diesem Vers als Ruf vor dem Evangelium des heutigen Hochfestes von Pfingsten wenden auch wir uns betend an den Heiligen Geist. Wir flehen ihn an, in unseren Herzen seine Gegenwart zu erneuern und das Feuer seiner göttlichen Liebe zu entflammen, damit wir glaubwürdige Zeugen des Herrn Jesus Christus und eifrige Missionare seines Evangeliums werden.
Liebe Brüder und Schwestern, wenn wir mit den Augen des Glaubens auf unsere Mutter Kirche blicken, nehmen wir wahr, wie nötig wir alle die Wiedergeburt im Heiligen Geist haben. Allen sind die Schwierigkeit bei der Evangelisierung, die Skandale der Menschen der Kirche, die religiöse Gleichgültigkeit, der Glaubensabfall und die Kirchenaustritte bekannt, um nur an einige der negativen Aspekte der religiösen Wirklichkeit unserer Tage zu erinnern. Daher brauchen wir den Heiligen Geist, den wir bereits im Sakrament der Taufe als Neugeborene empfangen haben und sodann im Sakrament der Firmung, wo wir uns frei und als gereifte Menschen für Jesus Christus und seine Kirche entschieden haben. Mit Blick auf die fehlende Begeisterung, die Trägheit im Glaubensleben und die geistliche Ermüdung haben wir keine andere Wahl, als uns an den Heiligen Geist zu wenden, den der auferstandene Herr ohne Maß schenkt (vgl. Joh 3,34), weil nur er uns die Schönheit unseres christlichen Glaubens wiederentdecken lässt, unsere Herzen mit Liebe zu Gott und dem Nächsten erfüllt und uns zu eifrigen Aposteln seiner Liebe macht.
Komm, Heiliger Geist, auch in unsere Zeit, wie einst zu den betenden Aposteln „im Obergemach“ (Apg 1,13) unter den Symbolen von Wind, Feuer und Sprachen.
- Wind
„Da kam plötzlich vom Himmel her ein Brausen, wie wenn ein heftiger Sturm daherfährt, und erfüllte das ganze Haus, in dem sie saßen“ (Apg 2,2). Der Geist, im Hebräischen rûaḥ (רוּחַ ), bedeutet auch Brausen, Wind, Lufthauch, Atem. Der Geist war schon am Anfang: „Gottes Geist schwebte über dem Wasser“ (Gen 1,2). Eben dieser Geist ist für unser geistliches Leben so unverzichtbar wie das Atmen für unseren Körper. Am heutigen Hochfest öffnen wir uns daher dem Heiligen Geist, damit er uns die Gnade zurückschenke, tief einzuatmen. Er möge uns eine neue Dynamik bei der Entdeckung der Schönheit des christlichen Glaubens in gelebter Einheit und in der Verschiedenheit seiner Ausdrucksformen geben. Der Heilige Johannes Paul II. hat oft den Ausdruck gebraucht, die Kirche müsse mit den beiden Lungenflügeln atmen, mit den beiden großen Traditionen des christlichen Abendlandes im Westen und der östlichen und orientalischen Orthodoxie.
- Feuer
„Und es erschienen ihnen Zungen wie von Feuer, die sich verteilten; auf jeden von ihnen ließ sich eine nieder“ (Apg 2,3). Das Feuer ist Symbol der Liebe. Der Herr Jesus ist gekommen, uns Menschen das Feuer der göttlichen Liebe zu bringen. Er selbst hat gesagt: „Ich bin gekommen, um Feuer auf die Erde zu werfen. Wie froh wäre ich, es würde schon brennen!“ (Lk 12,49). Durch die Taufe haben auch wir das Feuer der Liebe Gottes empfangen. Die Liebe des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes tragen wir in unseren Herzen. Wir müssen wahrhaft flehen, dieses Feuer möge in uns nicht verlöschen und bei allen denen nicht, die es ebenfalls empfangen haben! Am Pfingstfest gilt das Wort des Heiligen Paulus: „Siehe, jetzt ist sie da, die Zeit der Gnade; siehe, jetzt ist er da, der Tag der Rettung“ (2 Kor 6,2). Erlauben wir also dem Heiligen Geist, in uns das Feuer der göttlichen Liebe neu zu entfachen, das sich zu bewähren hat in der Liebe zum Nächsten, vor allem zu denen, die in materieller oder geistlicher Hinsicht hilfsbedürftig sind.
- Sprachen
Die Apostel „wurden vom Heiligen Geist erfüllt und begannen, in anderen Sprachen zu reden, wie es der Geist ihnen eingab“ (Apg 2,4). Die Jünger Jesu verkündeten unter der Führung des Heiligen Geistes die Gute Nachricht „den Juden, fromme Männer aus allen Völkern unter dem Himmel“ (Apg 2,5). Die Aufzählung der Völker, die in Jerusalem waren, folgt einer Chronologie vom Osten zum Westen. Der Heilige Evangelist Lukas will sagen, dass im Pfingstwunder die Einheit des Menschengeschlechtes im Heilswerk erneuert wurde, die nach dem Turmbau zu Babel zerstört worden war. Der Einheit des Menschengeschlechts entspricht auch die Verkündigung des einzigartigen Heils, auch wenn es in verschiedenen Sprachen ausgedrückt wird. Denn die Apostel verkündeten „Gottes große Taten“ (Apg 2,11), jene Wunder, die Gottvater in seinem eingeborenen Sohn Jesus Christus vollbracht hat, der für uns geboren, gestorben, begraben, auferstanden und zum Himmel aufgefahren ist, von wo er seinen Jüngern den Heiligen Geist aussendet, den „Geist der Wahrheit“ (Joh 14,17).
- Der Geist Jesu Christi
Im kurzen Abschnitt des Johannesevangeliums wird der Heilige Geist zweimal „der Geist der Wahrheit“ genannt (Joh 15,26; 16,13). Da sich Jesus Christus selbst als Wahrheit definiert, wenn er sagt: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben“ (Joh 14,6), lässt sich ableiten, dass es ein inniges Band zwischen Jesus und dem Geist gibt. Jesus verheißt, er werde seinen Jüngern im Namen des Vaters den Tröster senden, der für ihn Zeugnis ablegen wird (vgl. Joh 15,26). Der Herr sagt auch, worin dieses Zeugnis bestehen wird: Der Heilige Geist wird „euch in der ganzen Wahrheit leiten. Denn er wird nicht aus sich selbst heraus reden, sondern er wird reden, was er hört, und euch verkünden, was kommen wird“ (Joh 16,13). Die Jünger hatten die reiche Lehre des Meisters gehört und die Zeichen und Wunder gesehen, die er getan hat. Im Licht des Geistes der Wahrheit verstehen sie nun besser die Bedeutung dieser Lehre, die er in Wort und Tat verkündete. Der Heilige Geist führt sie in der ganzen Wahrheit. Das bedeutet eine letzte Verherrlichung des Herrn Jesus, wenn der Geist von dem, was dem Herrn gehört, nimmt, um es ihnen zu verkünden (vgl. Joh 16,14). Daher bringt der Heilige Geist keine neue Offenbarung. Er ist vielmehr innigst mit dem Herrn Jesus vereint und führt die Seinen, damit sie die wahre Bedeutung seiner Lehre entdecken. Schon aus diesen Beobachtungen lässt sich leicht schließen, dass der Heilige Geist die Einheit schafft: er geht vom Vater aus, zu uns sendet ihn der verherrlichte Jesus Christus, der Geist gibt Zeugnis vom Herrn Jesus. Wir alle sind gerufen, an dieser Offenbarung teilzuhaben und somit in der Einheit der einen, heiligen, katholischen und apostolischen Kirche zu bleiben, die von Gott, dem Vater, Sohn und Heiligen Geist gewollt ist. Negativ kann man sagen, dass da, wo es Spaltung unter den Christen gibt, insbesondere wo Schisma und Häresie sind, keinen Platz für den Heiligen Geist gibt, der ja ein Geist der Einheit ist. Erinnern wir uns der Worte des Völkerapostels: „Ein Leib und ein Geist, wie ihr auch berufen seid zu einer Hoffnung in eurer Berufung: ein Herr, ein Glaube, eine Taufe, ein Gott und Vater aller, der über allem und durch alles und in allem ist“ (Eph 4,4-6).
- Leben nach dem Heiligen Geist
Mit dem Heiligen Geist sind auch wir Christen berufen, Zeugen Jesu Christi zu sein. Das können wir, weil wir den Heiligen Geist in den Sakramenten von Taufe und Firmung empfangen haben. Am Pfingstfest erneuern wir unseren Entschluss, uns vom Heiligen Geist führen zu lassen und nicht von den Begierden des Fleisches. Jeder Mensch erfährt in sich den Kampf dieser beiden Wirklichkeiten: „Denn das Fleisch begehrt gegen den Geist, der Geist gegen das Fleisch“ (Gal 5,17). Der Heilige Paulus ist durchaus realistisch bei der Aufzählung der Früchte des Fleisches: „Unzucht, Unreinheit, Ausschweifung, Götzendienst, Zauberei, Feindschaften, Streit, Eifersucht, Jähzorn, Eigennutz, Spaltungen, Parteiungen, Neid, maßloses Trinken und Essen und Ähnliches mehr“ (Gal 5,19-21). Es ist darauf hinzuweisen, der Völkerapostel die Früchte des Fleisches im Plural nennt, denn sie beziehen sich auf deren Werke, weil jede Sünde, jedes Laster zu Spaltung und Zwietracht führt. Hingegen wird der Singular angewandt, um das Wirken des Geistes zu zeigen: „Die Frucht des Geistes aber ist Liebe, Freude, Friede, Langmut, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut und Enthaltsamkeit“ (Gal 5,22-23), denn diese Früchte führen zur Einheit, zur Liebe und zum Aufbau der Kirche, die der Leib Christi ist (vgl. 1 Kor 12,27).
Liebe Brüder und Schwestern, am Pfingsttag war neben den Aposteln auch die selige Jungfrau Maria anwesend. An Sie, die voll der Gnade ist (vgl. Lk 1,28), richten wir unsere Bitte um Fürsprache, damit mit der Gnade ihres Sohnes und unseres Herrn Jesus in jedem von uns das Gebet Erfüllung finden möge: „Komm, Heiliger Geist, erfülle die Herzen deiner Gläubigen und entzünde in ihnen das Feuer deiner Liebe“. Amen.