Predigt von Nuntius Eterovic im Hohen Dom zu Erfurt

Erfurt, 15. November 2018

(Sir 15,1-65; Ps 119; Mt 13,47-52)

Heiliger Albertus Magnus
Patron der Katholisch-Theologischen Fakultät Erfurt

„Deswegen gleicht jeder Schriftgelehrte, der ein Jünger des Himmelreichs geworden ist, einem Hausherrn, der aus seinem Schatz Neues und Altes hervorholt“ (Mt 13,52).

 

Exzellenzen,
Verehrte Mitbrüder im bischöflichen und priesterlichen Dienst,
liebe Ordensleute und Priesterkandidaten,
Schwestern und Brüder!

Gerne habe ich die Einladung angenommen, dieser Heiligen Messe am Festtag des Heiligen Albertus Magnus, dem Patron der Theologischen Fakultät Erfurt, vorzustehen. Dies gibt mir die Gelegenheit, alle Mitglieder Eurer großen Familie zu grüßen, angefangen bei Seiner Exzellenz Mons. Dr. Ulrich Neymeyr, dem Bischof dieser Teilkirche, und sodann die mit der Theologischen Fakultät Erfurt verbundenen Erz-/Bischöfe, die Professoren, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und in besonderer Weise die Studenten und die Seminaristen. Ich tue dies nicht nur persönlich, sondern im Namen des Heiligen Vaters Franziskus, den ich die Ehre habe, in der Bundesrepublik Deutschland zu vertreten. Wir sind geistlich verbunden mit dem Bischof von Rom und Hirten der Universalkirche, der gemäß der Lehre des Zweiten Vatikanischen Konzils „ein immerwährendes und sichtbares Prinzip und Fundament der Glaubenseinheit und der Gemeinschaft“ ist (LG 18). Der Papst bittet die Gläubigen oft um ihr Gebet für ihn und für seine wichtige kirchliche Mission. Wir wollen dies in besonderer Weise in dieser Eucharistiefeier tun. Auf der anderen Seite ist er gerne bereit, seine Brüder und Schwestern im Glauben zu stärken (vgl. Lk 22,32). Als Zeichen dieser Gemeinschaft und der geistlichen Einheit erteile ich gerne am Ende der Heiligen Messe den Apostolischen Segen.

Liebe Brüder und Schwestern, wir feiern das Fest des Heiligen Bischofs und Kirchenlehrers Albertus Magnus (etwa 1200 bis 1280). Als Dominikaner war er unter anderem Lehrer des Heiligen Thomas von Aquin. Der Heilige Albert vereinbarte die Weisheit der Heiligen mit dem Studium der Philosophie, der Theologie und der Naturwissenschaften. Sein besonderer Verdienst liegt in der Entdeckung der Bedeutung des Aristoteles für das christliche Denken. Er besaß eine große und vielseitige Bildung, weswegen er doctor universalis genannt wurde. Nachdem er ein Jahr das Amt des Bischofs von Regensburg innegehabt hatte, verzichtete er darauf, um wieder ein Leben in Armut und Demut zu führen, ohne die weltlichen Ehren, und zu predigen und zu lehren. Wenn wir die Wesensmerkmale aus dem Leben des Heiligen Albert und die biblischen Lesungen, die wir gehört haben, präsent halten, können wir daraus eine aktuelle Botschaft erschließen? Ohne Anspruch darauf, hierauf eine vollständige Antwort geben zu können, erlaube ich mir, drei Themen vorzulegen, die stets wichtig und aktuell bleiben: die Gottesfrage (I), die Unterscheidung von Gut und Böse (II), die Methode der Kontinuität in der theologischen Forschung (III).

1. „Anfang der Weisheit ist die Furcht des HERRN“ (Spr 9,10).

Dieser Satz aus dem Buch der Sprüche fasst die erste Lesung zusammen, vor allem aber jenen Vers aus dem Weisheitsbuch Jesus Sirach, wo es heißt: „Wer den Herrn fürchtet, wird das tun, und wer am Gesetz festhält, wird sie (die Weisheit) ergreifen“ (Sir 15,1). Für den Heiligen Albert und für die Menschen seiner Zeit war es nicht schwer, diesen Ausdruck recht zu verstehen. Der Glaube an Gott war ihnen gemeinsam. Die im Glauben besser Unterwiesenen unterschieden jedoch die Furcht als Angst vor Gott, der die Sünden der Menschen bestraft, wie es im Paradies mit Adam und Eva nach dem Sündenfall geschehen war, und die Furcht als Gabe des Heiligen Geistes, die den Kindern Gottes als Beklommenheit vor der göttlichen Majestät eigen ist und der sie in kindlichem Vertrauen rufen lässt: „Abba, Vater!“ (vgl. Gal 4,6).

In der gegenwärtigen Gesellschaft Deutschland, besonders in Mittel- und Ostdeutschland, ist die Gottesfrage nicht verbreitet. Nach einigen statistischen Daten erklärt sich rund ein Drittel (andere sagen 36%) der deutschen Bevölkerung als religionslos. Nur 59% glauben an Gott, mit dem bemerkenswerten Unterschied, daß es 67% im Westen und 25% im Osten Deutschlands sind. Auch wenn andere Untersuchungen eine höhere Zahl von Gläubigen erheben (die Umfrage des Pew Research Center Christ sein in Westeuropa vom 29. Mai 2018 nennt 71% der deutschen Bevölkerung christlich), bleibt die große Zahl der Religionslosen. Das bedeutet eine große theologische und kirchliche Herausforderung. Denn wir wissen, daß Gott dem Menschen nicht fern ist, daß er ihn als sein Abbild erschaffen hat (vgl. Gen 1,26). JHWH hat uns von jeher mit ewiger Liebe geliebt (vgl. Jer 31,3). Er geht uns in der Liebe voran, wie der Heilige Johannes schreibt: „Wir wollen lieben, weil er uns zuerst geliebt hat“ (1 Joh 4,19). Wie kann es geschehen, daß diese Liebe Gottes auf verschlossene Herzen trifft, keine Antwort erhält? Wie nähert sich Gott diesen Menschen, damit sie die Schönheit der personalen Begegnung mit Ihm und in der Gemeinschaft der Gläubigen entdecken? Hier ist das weite Feld der Theologie auch für Eure Fakultät.

2. Die Unterscheidung von Gut und Böse.

Das Gleichnis vom Fischernetz, wo alle Arten von Fischen versammelt sind, gute und schlechte, erzählt von der Notwendigkeit der Unterscheidungsgabe von Gut und Böse. Diese Unterscheidung ist nicht nur notwendig für das Alltagsleben, sondern auch für das Endgericht, insofern die Rede von den Fischen aller Art das Ende der Welt repräsentiert, denn „die Engel werden kommen und die Bösen aus der Mitte der Gerechten aussondern und sie in den Feuerofen werfen. Dort wird Heulen und Zähneknirschen sein“ (Mt 13,49-50). Diese Bilder ängstigen uns und dringen nur schwer in unseren Geist, insbesondere wenn wir an das Evangelium als Frohe Botschaft denken. Trotzdem warnt uns Jesus. In der Welt existieren das Gute und das Böse. Der Mensch ist verantwortlich für seine bösen Taten, und es kommt der Tag, an dem er Rechenschaft ablegen muss. Deshalb ist es nötig, daran zu erinnern, daß unsere Welt voller Ungerechtigkeiten ist, kleinere und große, und daß der menschliche Geist eine exemplarische Gerechtigkeit erwartet, die allein von Gott, dem guten und gerechten, gewirkt werden kann. Dieses Postulat wird zu einem der Gründe der Existenz Gottes. Daher erinnert uns Jesus daran, daß es ein Gericht geben wird, wie wir es im Credo bekennen: Er „wird wiederkommen in Herrlichkeit zu richten die Lebenden und die Toten; seiner Herrschaft wird kein Ende sein“. Gott will, daß alle Menschen gerettet werden (1 Tim 2,4). Er wird barmherzig richten, aber das Gericht wird es geben und jedem Mensch wird der Zugang zum Reich Gottes, das ein Geschenk, eine Gnade, Liebe und ewiges Leben ist, entweder erhalten oder verweigert. Angesichts der Güte Gottes bleibt das Geheimnis des menschlichen Willens, der fähig ist, sich selbst von der ewigen Seligkeit auszuschließen.

Wie zu Zeiten des Heiligen Albertus Magnus, so müssen auch heute die Christen und mehr noch die Theologen zwischen Gut und Böse unterscheiden und unmissverständlich in ihrem pastoralen Dienst verkünden, der ein Dienst der Liebe zum Nächsten ist, besonders zu jenen, die sie sehr nötig brauchen. Diese Unterscheidung trifft man in der Katholischen Kirche im Licht des Wortes Gottes und der lebendigen Tradition der Kirche getroffen, das authentisch vom Lehramt interpretiert wird. Der Christ erfreut sich an allem Guten, das ihm in der Welt und bei den Menschen begegnet, die anderen Religionen angehören oder auch sich religionslos erklären. Er muss aber auch zu unterscheiden wissen und das gegenwärtig Böse identifizieren und zuweilen anprangern, gerade wenn es versteckte Formen annimmt hinsichtlich der Verstöße gegen ethische und moralische Werte oder bei sozialer Ausbeutung beziehungsweise bei der Verletzung der Menschenrechte. Damit eröffnet sich ein weiteres großes Feld des Dienstes, der Eurer Theologischen Fakultät anvertraut ist.

3. Die Beziehung zwischen dem Schriftgelehrten und dem Jünger.

Ich möchte noch beim letzten Satz Jesu im heutigen Evangelium verweilen: „Deswegen gleicht jeder Schriftgelehrte, der ein Jünger des Himmelreichs geworden ist, einem Hausherrn, der aus seinem Schatz Neues und Altes hervorholt“ (Mt 13,52). Hier können wir die Beziehung zwischen dem Alten und dem Neuen Testament erkennen. Ein Schriftgelehrter, der ein Jünger Jesu Christi wird, gibt nicht seine Kultur, seine religiöse Zugehörigkeit auf, sondern bereichert sie im Licht des Evangeliums und der vom Herrn Jesus geoffenbarten Wahrheit. Er selbst war Jude, tief verwurzelt in der jüdischen Kultur und der Religion seines Volkes, doch gab er eine neue, unerwartete Tiefe und einen Glanz, indem er die Botschaft von der Vollkommenheit wieder herstellte, wenn er sagt: „Seid also vollkommen, wie euer himmlischer Vater vollkommen ist!“ (Mt 5,48). Der Ausspruch des Heiligen Augustinus ist bekannt: „Das Neue Testament liegt im Alten verborgen, das Alte wird im Neuen offenbar. - Novum Testamentum in Vetere latet, et in Novo Vetus patet“ (Quaestiones in Heptateuchum 2, 73). Deswegen ist zu betonen angebracht, daß die Katholische Kirche das Alte Testament mit der Hermeneutik der Kontinuität liest, was die Aspekte des Bruchs, der Erfüllung und der Überwindung einschließt (vgl. Verbum Domini, 40). Der emeritierte Papst Benedikt XVI. hat unterstrichen, wie wichtig es ist, mit dieser Hermeneutik der Kontinuität auch die Dokumente des Zweiten Vatikanischen Konzils zu lesen. Auch Papst Franziskus findet sich in dieser Linie, wenn er Psalm 128 aufgreift, „wo der Mann und die Frau am Tisch sitzen, die Kinder, die bei ihnen sind, »wie junge Ölbäume« (Ps 128,3), das heißt voller Energie und Vitalität“ beschrieben werden, und der Papst kommentiert: „Es ist wahr, dass diese Bilder die Kultur einer antiken Gesellschaft widerspiegeln, doch die Gegenwart der Kinder ist in jeder Hinsicht ein Zeichen der Fülle der Familie in der Kontinuität der Heilsgeschichte selbst, von Generation zu Generation“ (Amoris laetitia, 14).

Die Hermeneutik der Kontinuität ist für die Neuheit in Jesus Christus offen, wie der Heilige Irenäus gut zum Ausdruck bringt: „Christus hat jede Neuheit gebracht, indem er sich selber brachte. - Omnem novitatem attulit, semetipsum afferens“ (Adversus haereses, IV, Kap. 34, Nr. 1, vgl. Evangelii gaudium 11). Daher bleibt diese Methode die grundlegende der theologischen Wissenschaft unter der Führung des Heiligen Geistes, der uns „in die ganze Wahrheit“ (Joh 16,13) einführt. Mit diesem Schlüssel können wir auch den großen Beitrag öffnen, den der Heilige Albertus Magnus mit der Erschließung der Philosophie des Aristoteles und der Naturwissenschaft, durch sein tiefes Verstehen und sodann durch die Predigt des Evangeliums geleistet hat. Also ist das der dritte Punkt, wo Eure geschätzte Theologische Fakultät eingeladen ist, sich einzusetzen.

Liebe Brüder und Schwestern, vertrauen wir die Erfüllung dieser Vorhaben der Fürsprache der seligen Jungfrau Maria an, dem Sitz der Weisheit, damit Eure Katholisch-Theologische Fakultät dem leuchtenden Beispiel des Heiligen Albertus Magnus folgen möge und mit erneuerter Dynamik seinen wissenschaftlichen Eifer fortsetzt. Die Ortskirchen, die mit Euch verbunden sind, mögen seinem pastoralen Einsatz nacheifern, besonders erleuchtet von der Gottesfrage, durch die Gabe der Unterscheidung von Gut und Böse, wie auch mit der Hermeneutik der Kontinuität in der Treue zum Glaubensgut unserer Mutter Kirche, die eins, heilig, katholisch und apostolisch ist. Amen.

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