Predigt von Nuntius Eterovic in Ralbitz
Kath. Kirche Hl. Katharina zu Ralbitz, 10. September 2019
(Kol 3,1-11; Ps 145; Lk 6,20-26)
„Selig, ihr Armen, denn euch gehört das Reich Gottes“ (Lk 6,20).
Exzellenzen!
Liebe Schwestern und Brüder!
Herzlich danke ich Herrn Dr. Peter Neumann, dem Honorarkonsul der Republik Kroatien im Freistaat Sachsen für die Einladung, die Heilige Messe in dieser der Heiligen Katharina geweihten Kirche von Ralbitz zu feiern. Ebenso dankbar bin ich dem Hochwürdigen Herrn Stephan Delan, dem Pfarrer von Ralbitz-Rosenthal und freue mich über das herzliche Willkommen. Ein besonderer Gruß gilt Herrn Gordan Grlić-Radman, Außenminister von Kroatien, der bisher der kroatische Botschafter in Deutschland war und in dieser Funktion bei der Vorbereitung des heutigen Festtages mitgewirkt hat. Er beginnt mit der Eucharistiefeier. Es ist eine bezeichnende Entscheidung, denn die Christen danken zuerst Gott für jede empfangene Gabe, unter denen das Geschenk des Vaterlandes einen besonderen Platz einnimmt, das gewöhnlich identifiziert wird mit Freiheit, Demokratie und materieller und geistlicher Wohlfahrt seiner Bürger. Wenn wir dem dreieinen Gott für diese Gaben danken, wollen wir kurz über die Bedeutung des Wortes Gottes, das wir in der ersten Lesung (I) und im Evangelium (II) gehört haben, nachdenken und versuchen, es auf die konkrete Wirklichkeit der Menschen anzuwenden, die als Glieder der Kirche zugleich Bürger eines Staates sind.
1. Der alte und der neue Mensch
Das Wort Gottes, das wir hörten, zeigt an, wie Christen leben sollen. Es erinnert an zwei Haltungen, eine negative, die es zu vermeiden gilt, und eine positive, welche in die Tat umzusetzen ist. Die negative Haltung wird mit der Kategorie des alten Menschen ausgedrückt, dessen Handeln vom Heiligen Paulus in zwei Listen beschrieben wird: zum einen „Unzucht, Unreinheit, Leidenschaft, böse Begierde und die Habsucht, die Götzendienst“ (Kol 3,5), zum anderen: „Zorn, Wut, Bosheit, Lästerung und schmutzige Rede, die aus eurem Munde kommt“ (Kol 3,8). Das Gegenteil des alten Menschen ist der neue Mensch, „der nach dem Bild seines Schöpfers erneuert wird, um ihn zu erkennen“ (Kol 3,10). Alle Getauften sind aufgefordert, unter den Bedingungen des neuen Menschen zu leben und auf diese Weise schon hier an der Auferstehung Jesu Christi teilzuhaben und deshalb den Weg zur vollkommenen Freude kennen. Der Inhalt eines Lebens des neuen Menschen wird durch das Liebesgebot mit den Worten Jesu zum Ausdruck gebracht: „Wie mich der Vater geliebt hat, so habe auch ich euch geliebt. Bleibt in meiner Liebe! Wenn ihr meine Gebote haltet, werdet ihr in meiner Liebe bleiben, so wie ich die Gebote meines Vaters gehalten habe und in seiner Liebe bleibe. Dies habe ich euch gesagt, damit meine Freude in euch ist und damit eure Freude vollkommen wird“ (Joh 15,9-11). Der Völkerapostel ruft alle Getauften, alle mit Christus zum Leben Wiedergeborenen, nach den himmlischen Dingen zu streben, wo Christus zur Rechten Gottes sitzt. Er mahnt uns: „Richtet euren Sinn auf das, was oben ist, nicht auf das Irdische“ (Kol 3,2). Das christliche Leben steht in dieser Dynamik zwischen dem alten und dem neuen Menschen, der sich uns als schon existierende Wirklichkeit zeigt, was in der Taufe und durch unsere Zugehörigkeit zur Katholischen Kirche verwirklicht ist, und zugleich ein Projekt bleibt, das verwirklicht werden muss, ein Weg, der das ganze Leben dauert und auf die selig machende Begegnung mit dem Herrn Jesus am Schluss unseres Erdenlebens und am Ende der Geschichte wartet, wo der Herr in Herrlichkeit wiederkommen wird, die Lebenden und die Toten zu richten und um sein ewiges Reich zu errichten.
Welche Bedeutung haben diese Wirklichkeiten für einen modernen demokratischen Staat? Er muss ein Rechtsstaat sein, der unter anderem die Religionsfreiheit respektiert. Auf diese Weise können auch die Christen, die Glieder der Katholischen Kirche, die in Kroatien die Mehrheit der Bürger bilden, ihre christliche Berufung auf persönlicher und sozialer Ebene ohne Behinderung leben. Jenseits des Rahmens von Freiheit ist die Wichtigkeit der christlichen Werte als fundamentale Stütze ethischer und moralischer Normen zu unterstreichen, die den Konsens der Bevölkerung bei wesentlichen Themen formen, was für ein Leben in Gemeinschaft und zum Wohl eines funktionierenden Staates unverzichtbar ist. Erinnern wir uns hier an die Würde der menschlichen Person, an die Würde eines jeden Menschen, der nach dem Abbild Gottes geschaffen worden ist (vgl. Gen 1,26-27). Das Christentum verkündet diese menschliche Brüderlichkeit, die der Heilige Paulus mit folgenden Worten ausdrückt: „Da gibt es dann nicht mehr Griechen und Juden, Beschnittene und Unbeschnittene, Barbaren, Skythen, Sklaven, Freie, sondern Christus ist alles und in allen“ (Kol 3,11). Daher verbietet sich dem christlichen Glauben jede Form von Sklaverei und Rassismus. Darüber hinaus ist ein Christ, der mit der Gnade des Geistes als neuer Mensch zu leben sucht, ehrenhaft und bereit, gegen jede Art von Korruption zu kämpfen. Er verliert niemals die Hoffnung und den Glauben, die auch die tragischen Ereignisse der Geschichte beleuchten und somit Antriebskräfte für eine Gesellschaft auf dem Weg in eine bessere Zukunft sind. Die erwähnten Werte bilden den unersetzlichen Beitrag des Christentums für eine zivile Gesellschaft.
2. Die Seligpreisungen und die Wehrufe
Auch im heutigen Evangelium des Heiligen Lukas finden wir den Kontrast zwischen den Seligpreisungen, die der Königsweg des christlichen Lebens sind, und den Wehrufen, die dazu mahnen, nicht den Weg einzuschlagen, der vom Herrn Jesus wegführt, von seiner Kirche, und in die ewige Verdammnis bringt. Aber was bedeuten die Seligpreisungen im Leben eines Staates, der sich derzeit als religiös ungebunden versteht, und in dem es nach heute gültiger katholischer Auffassung praktisch keine Staatsreligion mehr gibt? Auch wenn der Staat religiös ungebunden ist, kann er nicht wertneutral sein. Im Gegenteil, die Werte sind unverzichtbar, um sich des allgemeinen Konsenses der Bürger über die fundamentalen Stützen des zivilen Zusammenlebens zu vergewissern. Die Seligpreisungen haben nicht nur eine geistliche Dimension, sondern auch eine soziale. Wir analysieren die erste Seligpreisung: „Selig, ihr Armen, denn euch gehört das Reich Gottes“ (Lk 6,20), indem wir uns dem ersten Wehruf nähern: „Weh euch, ihr Reichen; denn ihr habt euren Trost schon empfangen“ (Lk 6,24). Im geistlichen Sinne sind die Armen selig, denn sie verlassen sich nicht auf die Sicherheit eines Reichtums, den sie nicht haben, sondern sie leben im Vertrauen auf Gott. Sie sind daher vor Gott geistlich reich, denn sie nutzen die irdischen Güter nicht nur für die eigenen Bedürfnisse und die ihrer Familien, sondern auch um denen zu helfen, die noch ärmer als sie selbst sind, vor allem den sehr Hilfsbedürftigen. Bei der Armut ist zu präzisieren, daß es ein Armutsverständnis im positiven Sinne gibt. Es handelt sich um die gewählte Armut um des Reiches Gottes willen, wie sie zum Beispiel bei den Ordensleuten vorkommt. Es existiert aber auch eine Armut im negativen Sinn, wogegen alle kämpfen sollten, unabhängig von ihrer Religionszugehörigkeit, ihrer sozialen Stellung oder politischen Haltung. So sind wir beispielsweise alle aufgefordert, gegen den Skandal des Hungers in der Welt zu kämpfen, worunter etwa 800 Millionen Menschen leiden. Ein gewissenhafter Politiker wird offensichtlich alles Mögliche dafür tun, in seinem Land die Armut zu beenden oder wenigstens zu vermindern. Bei diesem Bestreben sind reiche Menschen von besonderer Bedeutung, vor allem, wenn sie Christen sind. Christen sollen sich nicht wie die Reichen im Evangelium verhalten, die von ihren Gütern so in Beschlag genommen sind, daß sie weder Zeit, noch das Bedürfnis haben, an Gott zu denken oder sich der Armut in unserer Gesellschaft und in deren Umfeld zu kümmern. Im Gegenteil sind die, welche Besitz haben, dazu aufgerufen, mit den Armen nach je ihren Möglichkeiten zu teilen. Eine Weise dies zu tun und die immer mehr geschätzt wird, ist die Schaffung von Arbeitsplätzen, die den Menschen fähig macht, sich selbst mit den nötigen Gütern zu versorgen, und was vielen Personen und zahlreichen Familien erlaubt, ein würdiges Leben zu führen.
Liebe Brüder und Schwestern, auf ähnliche Weise können wir auch die übrigen drei Seligpreisungen analysieren; vor allem jene über die Verfolgungen. Im christlichen Verständnis hat die Verfolgung aufgrund des Glaubens an Jesus Christus durchaus einen positiven Wert: „Selig seid ihr, wenn euch die Menschen hassen und wenn sie euch ausstoßen und schmähen und euren Namen in Verruf bringen um des Menschensohnes willen“ (Lk 6,22). Die negative Version dieser Seligpreisungen wird mit den Worten ausgedrückt: „Weh, wenn euch alle Menschen loben. Denn ebenso haben es ihre Väter mit den falschen Propheten gemacht“ (Lk 6,26). Der Christ, der lebendig mit dem Herrn Jesus vereint ist, freut sich, denn er kann aufgrund seines Glaubens dem Herrn bis hinein in das Martyrium folgen, bis zur Hingabe seines Lebens für seine Freunde (vgl. Joh 15,13). Die Christen sollen sodann aufmerksam sein, wenn die Menschen sie loben, und sich daran erinnern, daß sie so auch die falschen Propheten preisen. Andererseits wurden die Propheten, die im Namen Gottes auftraten, umgebracht, weil sie die Wahrheit verkündet haben, die man oft nicht hören wollte (vgl. Mt 23,29-37). Hinsichtlich eines zivilen Verständnisses muß der Rechtsstaat die soziale Ordnung und die Justiz sicherstellen. Zugleich muss er jede Form von Gewalt gegen Personen und Sachen verhindern, unter anderem auch die religiöse Verfolgung. In unseren Zeiten müssen die zivilen Autoritäten vor allem gegen den Terrorismus und verschiedene Formen von Gewalt kämpfen, deren Opfer vornehmlich schwache und wehrlose Menschen sind.
Liebe Brüder und Schwestern, das Wort Gottes ist immer „lebendig und wirksam“ (Hebr 4,12). Auf die Fürsprache der seligen Jungfrau Maria, der Mutter Jesu und Mutter der Kirche, bitten wir Gott, den Vater, Sohn und Heiligen Geist, daß dieses Wort reiche Gnadenfrucht in unseren Herzen, in unseren Familien, Gemeinschaften und in unserer Gesellschaft bewirke und unsere Heimatländer Kroatien und Deutschland, wie auch unser europäischer Kontinent in besonderer Weise gesegnet seien. Amen.