Grußwort von Nuntius Eterovic zur Eröffnung der Herbstvollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz
Fulda, 24. September 2018
„Fürchte dich nicht! Glaube nur!“ (Mk 5,36)
Eminenzen, Exzellenzen, liebe Mitbrüder im bischöflichen Dienst!
Diese Worte richtet der Herr Jesus an Jairus, einen der Synagogenvorsteher, als er vom Tod seiner Tochter erfuhr. Als Jesus sodann in das Haus und in ihr Zimmer gekommen war, „fasste er das Kind an der Hand und sagte zu ihm: Talita kum!, das heißt übersetzt: Mädchen, ich sage dir, steh auf! Sofort stand das Mädchen auf und ging umher. Es war zwölf Jahre alt. Die Leute waren ganz fassungslos vor Entsetzen“ (Mk 5,41-42). Jesus Christus konnte dieses Wunder der Heilung des Mädchens dank des Glaubens ihres Vaters Jairus vollbringen.
In meinem Grußwort an Euch, liebe Mitbrüder, möchte ich bei der Bedeutung des Glaubens im Neuen Testament verweilen (I), danach zeige ich einige statistische Daten zum Glauben in Westeuropa, besonders in der Bundesrepublik Deutschland auf (II), um sodann mit einigen kurzen Anmerkungen zu schließen (III). Diese Überlegungen können ein Beitrag zum Thema des Studienteils dieser Vollversammlung sein: Kehrt um und glaubt an das Evangelium! Gottesglaube und Gottesrede im 21. Jahrhundert.
1. Die Bedeutung des Glaubens
Der Herr Jesus erwartet den Glauben von den ihn umgebenden Personen, die etwas von ihm erbitten, vor allem eine materielle oder spirituelle Heilung. So lobt Jesus beispielsweise den Glauben des Hauptmanns, der ihn um die Heilung seines ernsthaft erkrankten Dieners anflehte. Als er den großen Glauben des Hauptmanns sah, sagt Jesus zu ihm: „Geh! Es soll dir geschehen, wie du geglaubt hast. Und in derselben Stunde wurde sein Diener gesund“ (Mt 8,13. Zu der phönizischen Frau, die seit 12 Jahren unter Blutungen litt und dachte, es genüge, seinen Mantel zu berühren, hat Jesus gesagt: „Hab keine Angst, meine Tochter, dein Glaube hat dich gerettet! Und von dieser Stunde an war die Frau geheilt“ (Mt 9,22).
Fehlt allerdings der Glaube, kann Jesus keine Wunder vollbringen. So war es in seiner Heimatstadt Nazareth. Angesichts der Ablehnung seiner Landsleute spricht der Herr die bekannten Worte: „Nirgends ist ein Prophet ohne Ansehen außer in seiner Heimat, bei seinen Verwandten und in seiner Familie“ (Mk 6,4). Der Evangelist fährt fort: „Und er konnte dort keine Machttat tun; nur einigen Kranken legte er die Hände auf und heilte sie“ (Mk 6,5). Der Grund für den Misserfolg seiner Mission, die darin bestand, zu predigen und Kranke zu heilen, liegt im Unglauben der Leute. Tatsächlich „wunderte sich (der Herr) über ihren Unglauben“ (Mk 6,6). Aus diesem Grund verließ Jesus Nazareth und „zog durch die benachbarten Dörfer und lehrte“ (Mk 6,6).
In den Evangelien werden oft Wundertaten Jesu beschrieben, die mit dem Glauben der Menschen im Zusammenhang stehen. Denken wir beispielsweise an die Heilung der zwei Blinden. Als sie ihn um Heilung baten, fragt der Herr sie: „Glaubt ihr, dass ich dies tun kann? Sie antworteten: Ja, Herr. Darauf berührte er ihre Augen und sagte: Wie ihr geglaubt habt, so soll euch geschehen. Da wurden ihre Augen geöffnet“ (Mt 9,28-30).
Der Glaube ist die unverzichtbare Bedingung, um die Beziehung mit dem Herrn Jesus zu festigen. Das gilt in besonderer Weise für die Christen, die durch den Glauben mittels der Heiligen Schrift, der Sakramente, des Gebetes und Werken der Nächstenliebe mit Jesus Christus in Gemeinschaft treten. Im Glauben verwurzelt können die Jünger Jesu ebenso wie ihr göttlicher Meister erstaunliche Werke tun. Er hört nicht auf auszusenden: „Geht und verkündet: Das Himmelreich ist nahe! Heilt Kranke, weckt Tote auf, macht Aussätzige rein, treibt Dämonen aus! Umsonst habt ihr empfangen, umsonst sollt ihr geben“ (Mt 10,7-8). Dieses heilende Tun ist ohne Glaube unmöglich. Den Jüngern, die fragen: „Warum konnten denn wir den Dämon nicht austreiben?“ (Mt 17,19), antwortet Jesus: „Wegen eures Kleinglaubens. Denn, Amen, ich sage euch: Wenn ihr Glauben habt wie ein Senfkorn, dann werdet ihr zu diesem Berg sagen: Rück von hier nach dort! und er wird wegrücken. Nichts wird euch unmöglich sein“ (Mt 17,20).
2. Einige statistische Daten
Diese biblischen Bezüge kamen mir in den Sinn, als ich die Studie des Pew Research Center zum Thema Christ sein in Westeuropa las, die am 29. Mai 2018 veröffentlicht worden war. Die Untersuchungen wurden von April bis August 2017 in 15 Ländern Westeuropas durchgeführt . Aus den erhobenen Daten ergibt sich, daß 91% der westeuropäischen Bevölkerung getauft und 81% als Christen aufgewachsen sind. Aktuell bezeichnen sich 71% der Einwohner als Christen, wobei 22% wenigstens einmal monatlich an einem Gottesdienst teilnehmen. Die nicht praktizierenden Christen, die nur hin und wieder im Laufe des Jahres eine religiöse Feier besuchen, stellen die größte Zahl der Christen dar, und sie übersteigt bei weitem die Anzahl der praktizierenden Christen. Italien bildet eine Ausnahme, denn hier sagen 40%, sie seien praktizierend, und wiederum 40%, daß sie es nicht seien, 15% gehören keiner Religion an und 5% anderen Religionen.
Die Daten zeigen klar, dass die Mehrheit der Bewohner sich als Christen bezeichnet, aber nur eine Minderheit dies praktiziert. Sie sind von den Personen zu unterscheiden, die sich konfessionslos oder ohne Religion (religionslos) nennen, sei es mit Blick auf den Gottesbegriff, auf die Rolle der Religion in der heutigen Gesellschaft, aber auch mit Blick auf die Muslime und Immigranten.
Einige statistische Daten hinsichtlich der Bundesrepublik Deutschland können interessant sein. Hier bezeichnen sich 71% der Bevölkerung als Christen, davon diesen praktizieren 22% den Glauben, 49% tun dies hingegen nicht. 24% der Bevölkerung Deutschlands gehören keiner Religion an und 5% sind Angehörige anderer Religionen. Von denen, die sich religionslos nennen, sind 47% getauft, 39% haben eine christliche Erziehung genossen, während 59% ohne jede religiöse Zugehörigkeit erzogen wurden.
Die Frage, ob die Wissenschaft Religion sinnlos mache, haben 13% der praktizierenden Christen, 22% der nicht Praktizierenden und 69% der zu keiner Religionsgemeinschaft Zugehörigen bejaht. Der größte Anteil derer, die meinen, Wissenschaft mache Religion überflüssig, findet sich demnach in der Gruppe derer, die sich religionslos bezeichnen.
Im Unterschied zu den Vereinigten Staaten beschreiben sich die Bürger in Westeuropa weder als spirituell noch als religiös. In Deutschland nennen sich 24% sowohl religiös als auch spirituell; 17% religiös, aber nicht spirituell und 53% weder religiös noch spirituell.
Die Frage, ob die Regierungspolitik die Kirchen unterstützen sollten, wird folgendermaßen beantwortet: 68% der praktizierenden Christen bejahten dies, während 18% der Religionslosen und 38% der nichtpraktizierenden Christen das ablehnen.
Die Antworten zur Hilfe der Kirchen und der anderen Organisationen für die Armen und Hilfsbedürftigen sind positiv. 73% der praktizierenden Christen unterstützen das, 62% der nicht praktizierenden und auch 42% der religionslosen Menschen.
Die Bürger Europas haben sich auch zu zwei aktuellen Fragen geäußert: Zum einen, ob der Islam mit den nationalen Werten inkompatibel ist, zum anderen, ob sie für eine Reduzierung der Zahl der aufzunehmenden Flüchtlinge sind. Die erste Frage haben 55% der praktizierenden Christen positiv beantwortet, 24% der nicht praktizierenden und 32% der religionslosen Bürger. Die Frage nach der Reduzierung der Aufnahme von Flüchtlingen haben 35% der nichtpraktizierenden Christen und 48% der praktizierenden bejaht.
Den Zusammenhang von nationaler Identität und Abstammung sehen 73% der praktizierenden Christen positiv, 46% der nicht praktizierenden und 35% jener ohne religiöse Bindung.
54% der praktizierenden, 86% der nicht praktizierenden Christen befürworten die legale Abtreibung. Ähnliche Werte erreicht die Akzeptanz der gleichgeschlechtlichen Ehe: Sie liegt bei 53% der praktizierenden und 86% der nicht praktizierenden Christen.
Deutschland gehört gemeinsam mit Österreich, Frankreich, Italien, Dänemark, Norwegen, der Schweiz und Großbritannien zum Kreis der Länder, in denen sich die Zahl der Christen in den letzten Jahren nicht wesentlich verringert hat, denn im Jahr 2002 betrug die Quote 59% und 57% im Jahr 2014.
Was den Glaubensinhalt der religionslosen Menschen angeht, glauben 16% an eine höhere Macht oder eine spirituelle Kraft im Universum, 73% dagegen glauben an keine überlegene Macht. Von den Menschen ohne Religionszugehörigkeit glauben 26% an die Existenz von Körper und Seele; dieser Prozentsatz erhöht sich bei den Glaubenden ohne Konfessionszugehörigkeit auf 45%. Bei den Nichtglaubenden (ohne Religion) beträgt dieser 23%.
3. Abschließende Bemerkungen
Bevor ich zu einigen Bemerkungen zu den oben angezeigten Daten komme, scheint es mir angebracht zu präzisieren, was der Glaube ist. Das II. Vatikanische Konzil lehrt hierzu: „Dem offenbarenden Gott ist der ‚Gehorsam des Glaubens‘ (Röm 16,26; vgl. Röm 1,5; 2 Kor 10,5-6) zu leisten. Darin überantwortet sich der Mensch Gott als ganzer in Freiheit, indem er sich ‚dem offenbarenden Gott mit Verstand und Willen voll unterwirft‘ und seiner Offenbarung willig zustimmt. Dieser Glaube kann nicht vollzogen werden ohne die zuvorkommende und helfende Gnade Gottes und ohne den inneren Beistand des Heiligen Geistes, der das Herz bewegen und Gott zuwenden, die Augen des Verstandes öffnen und ‚es jedem leicht machen muß, der Wahrheit zuzustimmen und zu glauben‘. Dieser Geist vervollkommnet den Glauben ständig durch seine Gaben, um das Verständnis der Offenbarung mehr und mehr zu vertiefen“ (DV 5).
In der ersten Enzyklika des Heiligen Vaters Franziskus Lumen fidei, die gemeinsam mit seinem Vorgänger Benedikt XVI. geschrieben worden ist, heißt es: „Das Licht des Glaubens: Mit diesem Ausdruck hat die Tradition der Kirche das große Geschenk bezeichnet, das Jesus gebracht hat, der im Johannesevangelium über sich selber sagt: ‚Ich bin das Licht, das in die Welt gekommen ist, damit jeder, der an mich glaubt, nicht in der Finsternis bleibt‘ (Joh 12,46)“ (LF 1). Im Verlauf der Menschheitsgeschichte haben schon viele danach getrachtet, dieses Licht im Herzen des Menschen und der Gesellschaft auszulöschen oder wenigstens geringer werden zu lassen. Daher führt der Bischof von Rom näher aus: „Darum ist es dringend, die Art von Licht wiederzugewinnen, die dem Glauben eigen ist, denn wenn seine Flamme erlischt, verlieren am Ende auch alle anderen Leuchten ihre Kraft. Das Licht des Glaubens besitzt nämlich eine ganz besondere Eigenart, da es fähig ist, das gesamte Sein des Menschen zu erleuchten. Um so stark zu sein, kann ein Licht nicht von uns selber ausgehen, es muss aus einer ursprünglicheren Quelle kommen, es muss letztlich von Gott kommen. Der Glaube keimt in der Begegnung mit dem lebendigen Gott auf, der uns ruft und uns seine Liebe offenbart, eine Liebe, die uns zuvorkommt und auf die wir uns stützen können, um gefestigt zu sein und unser Leben aufzubauen. Von dieser Liebe verwandelt, empfangen wir neue Augen, erfahren wir, dass in ihr eine große Verheißung von Fülle liegt, und es öffnet sich uns der Blick in die Zukunft“ (LF 4).
Der Glaube ist eine Gabe Gottes, auf die der Mensch zu antworten und mitzuwirken gerufen ist. Aus den statistischen Angaben ergibt sich, dass sich der überwiegende Teil der Bevölkerung in den Ländern Westeuropas als gläubig betrachtet. Diese können wir in vier Kategorien unterteilen: die den Glauben praktizieren, die Nichtpraktizierenden, die Religionslosen, die Angehörigen anderer Religionen. Mit Blick auf Deutschland gehört der größte Teil mit 49% zur Kategorie derer, die nicht praktizieren. Die Praktizierenden erreichen 22%. Daher erklären 71% der Menschen in Deutschland, sie seien Christen. Diese Zahl übersteigt die offiziellen Zahlen, die von 57% Christen im Land sprechen. Außer den Mitgliedern der Katholischen Kirche und derer anderer Traditionen können zu dieser Zahl auch Personen gehören, die sich kulturell mit dem Christentum identifizieren, aber keiner Kirche oder christlichen Gemeinschaft angehören.
Das Handeln der Kirche und der kirchlichen Gemeinschaften sollte sich in besonderer Weise denen zuwenden, die nicht praktizieren und dies mit dem Ziel, dass sie die Schönheit der Begegnung mit dem Herrn Jesus und seinem Evangelium des Heils wiederentdecken. Geschehen könnte dies allein schon dadurch, daß es eine entsprechende Seelsorge für die praktizierenden Christen gibt, um deren konfessionelle Identität dahingehend zu stärken, aktiver im Zeugnis und in der Verkündigung der Guten Nachricht zu werden. Denn auch sie haben eine gute Katechese nötig, wenn man auf die überraschend hohe Akzeptanz von Abtreibung und gleichgeschlechtlicher Ehe schaut. Später sollten auch die 24% der Religionslosen in den Blick kommen, von denen 47% getauft sind und 39% eine religiöse Erziehung hatten. Ein großer Teil von ihnen hat sich von der Kirche entfernt. Aus der vorliegenden Untersuchung ergibt sich, daß diese Personen einige religiöse Ideen aufgenommen haben. Einige, 16%, glauben an eine höhere Macht und 26% an die Existenz von Körper und Seele in der menschlichen Person. Eine hohe Zahl von 41% sieht die Hilfe der Kirche für die Armen und Hilfsbedürftigen positiv.
Aus diesen kurzen Skizzen kann man ersehen, daß die religiöse Situation in Westeuropa und in der Bundesrepublik Deutschland eine große Herausforderung für die Kirchen und christlichen Gemeinschaften, vor allem aber für die Katholische Kirche darstellt. Um den Glauben zu wecken und weiter zu tragen, ist eine neue Offenheit für Gott und seine Gnade nötig. Ebenso braucht es eine neue Dynamik der Evangelisierung auf unserem Kontinent. Hierfür kann man verschiedene Begriffe verwenden: Kirche im Aufbruch, eine neue missionarische Bewegung, neue Evangelisierung; der Inhalt aber bleibt unverändert. Das hat der Herr Jesus vor seiner Auffahrt in den Himmel, wo er zur Rechten des Vaters sitzt, aufgezeigt. Seine Worte bleiben immer aktuell: „Geht und macht alle Völker zu meinen Jüngern; tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes und lehrt sie, alles zu befolgen, was ich euch geboten habe. Und siehe, ich bin mit euch alle Tage bis zum Ende der Welt“ (Mt 28,19-20).
Um Mitarbeiter Gottes bei diesem drängenden Werk der Evangelisierung sein zu können, erflehen wir vom Herrn Jesus, was einst die Zwölf erbeten hatten: „Stärke unseren Glauben!“ (Lk 17,5).