Predigt des Apostolischen Nuntius am 33. Sonntag im Jahreskreis

(Spr 31,10-13.19-20.30-31; Ps 128; 1 Thess 5,1-6; Mt 25,14-30)

Berlin, 19. November 2017

„Seid also wachsam! Denn ihr wisst nicht, an welchem Tag euer Herr kommt.“ (Mt 24,42).

 

Liebe Brüder und Schwestern!

An diesen letzten Sonntagen des liturgischen Jahres ruft uns das Wort Gottes zur Wachsamkeit auf, zur Bereitschaft, dem Herrn, der kommen wird, zu begegnen. Auch an diesem 33. Sonntag im Jahreskreis, der dem Christkönigsfest vorangeht, erinnern uns die biblischen Lesungen an das Kommen des verherrlichten Herrn, „zu richten die Lebenden und die Toten“, wie wir im Glaubensbekenntnis beten (I). Das Evangelium des Heiligen Matthäus zeigt uns, wie wir uns in dieser Zeit verhalten sollen, die uns die göttliche Vorsehung auf unserer Pilgerschaft zum himmlischen Vaterhaus gegeben hat (II). Der Heilige Vater Franziskus fordert uns am Welttag der Armen auf, im Wort Gottes die Verpflichtung der Christen und aller Menschen guten Willens zu erkennen (III).

Betrachten wir gemeinsam die folgenden drei Punkte des Wortes Gottes.

1. Die Wiederkunft des Herrn.

Der Herr wird am Ende der Menschheitsgeschichte wiederkommen. Seine Rückkehr ist zugleich ein Festtag und ein Tag des Gerichts. Das haben wir am vergangenen Sonntag klar und deutlich im Gleichnis der 10 Jungfrauen gehört, von denen fünf klug und fünf töricht waren (vgl. Mt 25,1-13). Die Jungfrauen erwarteten den Bräutigam, aber nur die fünf klugen, die genug Öl dabei hatten, wurden zur Hochzeit vorgelassen, als der Bräutigam um Mitternacht gekommen war. Die Worte, die jener zu den fünf törichten Jungfrauen sprach, die nicht genug Öl hatten, sind diesbezüglich bezeichnend: „Amen, ich sage euch: Ich kenne euch nicht“ (Mt 25,12). Dieselbe Botschaft wird von den Lesungen bestätigt, die wir gehört haben. Im heutigen Evangelium lesen wir: „Nach langer Zeit kehrte der Herr jener Diener zurück und hielt Abrechnung mit ihnen“ (Mt 25,19). Der Heilige Paulus wiederum verkündet im Brief an die Thessalonicher, „der Tag des Herrn kommt wie ein Dieb in der Nacht“ (1 Thess 5,2). Der Völkerapostel ermutigt die Christen, keine Furcht zu haben, denn sie sind „Söhne des Lichts und Söhne des Tages“ (1 Thess 5,5). Aus dieser Feststellung folgt die Ermahnung: „Darum wollen wir nicht schlafen wie die anderen, sondern wach und nüchtern sein“ (1 Thess 5,6). Auf andere Weise wird so die Ermahnung des Herrn Jesus wiederholt, die dem Vers des Evangeliums entnommen ist: „Seid also wachsam! Denn ihr wisst nicht, an welchem Tag euer Herr kommt“ (Mt 24,42).

2. Die Haltung der Christen.

Im Matthäusevangelium zeigt Jesus Christus auf konkrete Weise, wie die Christen sich verhalten sollen, wenn sie auf seine Rückkehr warten. Das Gleichnis von den Talenten ist sehr beredt. Jeder Christ, jeder von uns hat Talente empfangen, Gaben, die er gewinnbringend einsetzen muss. Dies haben die ersten beiden Kategorien von Menschen gut verstanden: jene, die fünf oder zwei Talente empfangen haben. Sie sind bereit zu handeln, und vervielfachen das ihnen Gegebene. So konnten sie dem Herrn, als er zurückkehrte, das Ergebnis ihrer Arbeit präsentieren. Und der Herr lobte ihr Wirken und zeichnete sie aus, indem er sagte: „Sehr gut, du tüchtiger und treuer Diener. Über Weniges warst du treu, über Vieles werde ich dich setzen. Komm, nimm teil am Freudenfest deines Herrn“ (25,21.23). Derjenigen, der ein Talent empfangen hatte, gehört zur dritten Kategorie von Menschen, die nicht nur unfähig ist, das Talent gewinnbringend einzusetzen, sondern auch eine Haltung der Rechtfertigung einnimmt, indem sie dem Herrn vorwurfsvoll sagt: „Herr, ich wusste, dass du ein strenger Mensch bist; du erntest, wo du nicht gesät hast, und sammelst, wo du nicht ausgestreut hast; weil ich Angst hatte, habe ich dein Geld in der Erde versteckt. Sieh her, hier hast du das Deine“ (Mt 25,24-25). Die Passivität des Dieners provoziert den Vorwurf des Herrn: „Du hättest mein Geld auf die Bank bringen müssen, dann hätte ich es bei meiner Rückkehr mit Zinsen zurückerhalten“ (Mt 25,27), worauf die Verurteilung folgt: „Werft den nichtsnutzigen Diener hinaus in die äußerste Finsternis! Dort wird Heulen und Zähneknirschen sein“ (Mt 25,30). Zugleich befiehlt der Herr: „Nehmt ihm also das Talent weg und gebt es dem, der die zehn Talente hat“ (Mt 25,28) und sagt abschließend: „Denn wer hat, dem wird gegeben werden und er wird im Überfluss haben; wer aber nicht hat, dem wird auch noch weggenommen, was er hat“ (Mt 25,29).

3. Der Welttag der Armen.

Das Wort Gottes erleuchtet uns auch, das Anliegen des heutigen ersten Welttages der Armen zu verstehen, den der Heilige Vater am Ende des Jubiläums der Barmherzigkeit angekündigt hat. Zu diesem Anlass hat Papst Franziskus eine Botschaft geschrieben, in der er alle dazu aufruft: „nicht mit Worten zu lieben, sondern mit Taten“ (vgl. 1 Joh 3,18). Indem er diesen Welttag der Armen einrichtete, wollte der Bischof von Rom bewirken, daß „in der ganzen Welt die christlichen Gemeinden immer mehr und immer besser zum konkreten Zeichen der Liebe Christi für die Letzten und Bedürftigsten werden“ (6). Die Initiative fügt sich gut in das Gleichnis von den Talenten ein. Es fordert alle auf, aktiv zu sein, sich mehr und besser für die Armen einzusetzen und Jesu Vorliebe für sie neu zu entdecken. Die Christen dürfen nicht passiv bleiben wie jener Mensch, der ein Talent empfangen hat, angesichts der großen Zahl von Armen in der Welt. Nach einigen Daten leben etwa 3 Milliarden Menschen mit weniger als 0,95 Euro pro Tag, was eine „extreme Armut“ anzeigt. 40 % der sehr armen Weltbevölkerung gehören nur 5 % des weltweiten Reichtums, während 20 % der Reichen 75 % des Reichtums in der Welt besitzen. Die Hälfte des weltweiten Vermögens gehört nur einem Prozent der Weltbevölkerung. Um die extreme Armut zu bekämpfen, würde es ausreichen, 1 % des Inlandsproduktes eines jeden Landes zu investieren. Deshalb könnte das schwere Problem der extremen Armut durch eine stärkere internationale Solidarität gelöst oder zumindest bedeutend vermindert werden.

In Deutschland, das zu den wohlhabenden Ländern gehört, gibt es diese tragischen Zahlen nicht, doch auch hier wächst die Zahl der Armen. Nach den Sozialverbänden gibt es 12,9 Millionen Arme, das heißt 15,7 % der Bevölkerung, die weniger als 917 Euro (als Alleinstehender) monatlich zur Verfügung haben.

Angesichts des Skandals der weltweiten Armut soll der Welttag der Armen nach dem Willen des Heiligen Vaters „zuerst die Gläubigen anspornen, damit sie der Wegwerfkultur und der Kultur des Überflusses eine wahre Kultur der Begegnung entgegenstellen“ (6). Er soll aber auch die Solidarität aller Menschen wecken: „Gleichzeitig ist die Einladung an alle Menschen gerichtet, unabhängig von der religiösen Zugehörigkeit, damit sie sich als konkretes Zeichen der Brüderlichkeit für das Teilen mit den Armen in jeder Form der Solidarität öffnen. Gott hat den Himmel und die Erde für alle geschaffen. Es sind die Menschen, die leider Grenzen, Mauern und Absperrungen aufgerichtet haben, und die dabei die ursprüngliche für die ganze Menschheit bestimmte Gabe ohne jeden Ausschluss verraten haben“ (6).

Liebe Brüder und Schwestern, danken wir Gott für die Gabe der Talente, die er jedem von uns anvertraut hat. Arbeiten wir zugleich mit seiner Gnade, damit wir sie zu unserem Wohl, aber auch zum Wohl des Nächsten, der Kirche und der ganzen Welt gewinnbringend anlegen. Auf die Fürsprache der seligen Jungfrau Maria, der Mutter der Armen, und der Heiligen Elisabeth von Thüringen/Ungarn wollen wir unser Bestes tun, um die Armut in der Welt zu bekämpfen. So wollen wir vor allem auf konkrete Weise den Menschen in unserer Nähe helfen, die unsere materielle und spirituelle Hilfe benötigen. Auf diese Weise können wir die Aufforderung des Herrn Jesus in die Praxis umsetzen: „„Seid also wachsam! Denn ihr wisst nicht, an welchem Tag euer Herr kommt.“ (Mt 24,42). Amen.

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