Predigt von Nuntius Eterovic am 12. Sonntag im Jahreskreis
Apostolische Nuntiatur, 21. Juni 2020
(Jer 20,10-13; Ps 69; Röm 5,12-15; Mt 10,26-33)
„Fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten, die Seele aber nicht töten können!“ (Mt 10,28).
Liebe Schwestern und Brüder!
Das Wort Gottes am 12. Sonntag im Jahreskreis ermuntert uns, Zeugen Jesu Christi auch in einem Ihm und seinem Evangelium feindlichen Umfeld zu sein (I). Wir sollen nicht die Menschen fürchten, wohl aber Gott (II), denn Er ist der einzige, der denen das ewige Leben verheißt, die ihn lieben (III).
1. „Fürchtet euch nicht vor den Menschen“ (Mt 10,26.28).
Im kurzen Evangelientext des Heiligen Matthäus wird dreimal die mahnende Wendung „fürchtet euch nicht“ gebraucht. Um die Bedeutung dieses Ausdrucks anzuzeigen, muss daran erinnert werden, dass der Evangelist Matthäus verschiedene Erzählungen gesammelt hat, die sich mit der Sendung der Apostel befassen. Er sendet die Zwölf aus, um das Evangelium „den verlorenen Schafen des Hauses Israels“ zu verkünden (Mt 10,6). Der Herr war sich der Schwierigkeiten bewußt, welche mit der Verkündigung der guten Nachricht verbunden sein können und bei einigen Personen und Gruppen sogar Hass und Ablehnung erzeugt. So versichert er den Seinen: „Ein Jünger steht nicht über seinem Meister und ein Sklave nicht über seinem Herrn. … Wenn man schon den Herrn des Hauses Beelzebul nennt, dann erst recht seine Hausgenossen“ (Mt 10,24-25). Jesus ermutigt seine Jünger daher, offen und ohne Furcht zu predigen. Er tut dies auf zwei Weisen; bejahend: „Was ich euch im Dunkeln sage, davon redet im Licht, und was man euch ins Ohr flüstert, das verkündet auf den Dächern“ (Mt 10,27) und in negativer Form: „Nichts ist verhüllt, was nicht enthüllt wird, und nichts ist verborgen, was nicht bekannt wird“ (Mt 10,26). Die Jünger sind aufgefordert, all das zu verkünden, was sie vom Meister empfangen haben, sei es beim öffentlichen Wirken, wo Jesus sich an alle Zuhörer wendet, sei es im engen Kreis der Apostel oder einer kleinen Gruppe von Jüngern.
2. „Fürchtet euch eher“ (Mt 10,28).
Jesus lehrt seine Jünger, allein Gott und nicht die Menschen zu fürchten. Denn Menschen haben nur die Macht, den Leib zu töten, aber sie sind nicht die Herren über die Seele des Menschen. Gott dagegen ist es, „der Seele und Leib in der Hölle verderben kann“ (Mt 10,28). „Hölle“ steht für die ewige Verdammnis. Gott ist der einzige Heilige, der uns und unser Handeln gut kennt. Doch er liebt uns und will unser Bestes. Die Gottesfurcht bedeutet daher, davon erfüllt zu sein, Gott mit unserem authentischen christlichen Leben zu gefallen, ohne falsche Rücksicht auf die Menschen. Auf die Liebe Gottes soll der Christ mit einer Liebe antworten, die sich bewußt ist, unter den milden Augen des guten und barmherzigen Gottes zu leben. Gott ist kein erbarmungsloser Richter, der den Menschen auf frischer Tat zu ertappen sucht, sondern er ist wie ein Vater, der für sein Kind nur das Beste will. Dieses kann in Sünde fallen, doch Gott als Vater nimmt seine Reue an und empfängt sein Kind bei der Rückkehr ins Vaterhaus. Gottesfurcht ist daher nicht als Angst vor Gott zu verstehen, sondern als Respekt und Hochachtung vor dem Allerhöchsten. Er ist und bleibt stets der Gott, der nicht den Tod des Sünders will, sondern daß er sich bekehrt und lebt (vgl. Ez 33,11). Jesus hat gesagt: „Ich bin nicht gekommen, um Gerechte zu rufen, sondern Sünder“ (Mk 2,17) und versichert, im Himmel herrscht große Freude über einen einzigen Sünder, der umkehrt (vgl. Lk 15,7).
Auf diese Weise wandelt sich die Furcht in Gottvertrauen. Der Mensch vertraut seiner Güte und grenzenlosen Liebe im Wissen darüber, dass Gott den Menschen kennt. Er hat sogar die Haare auf seinem Kopf gezählt, und der Mensch ist mehr wert als viele Spatzen, die ebenfalls unter Seinem Schutz stehen (vgl. Mt 10,29-31).
3. Zeugen sein
Die Zusammenfassung des heutigen Evangeliums bleibt die starke Botschaft für uns, für jeden Christen. Jesus fordert seine Jünger auf, Zeugen zu sein. Vom Zeugnis hängt unser Eintritt ins Himmelreich ab. Mit Blick darauf betont Jesus: „Jeder, der sich vor den Menschen zu mir bekennt, zu dem werde auch ich mich vor meinem Vater im Himmel bekennen“ (Mt 10,32). Es gibt jedoch auch die andere Möglichkeit des Abfalls, der in die Hölle führt: „Wer mich aber vor den Menschen verleugnet, den werde auch ich vor meinem Vater im Himmel verleugnen“ (Mt 10,33). Vor seiner Himmelfahrt hat der Herr Jesus seinen Jüngern gesagt: „Der Heilige Geist wird auf euch herabkommen; und ihr werdet meine Zeugen sein in Jerusalem und in ganz Judäa und Samarien und bis an die Grenzen der Erde“ (Apg 1,8). Zeugen zu sein, das heißt Märtyrer sein, kommt vom Griechischen μάρτυς, Zeuge. Der erste Märtyrer-Zeuge war Jesus Christus. Auch seine Jünger wurden, mit Ausnahme des Johannes, Märtyrer, Blutzeugen. Die Geschichte der Kirche ist vom Zeugnis zahlreicher Märtyrer gekennzeichnet, die in vielerlei Verfolgungen Jesus Christus bis in den Tod treu geblieben sind. Der Heilige Vater Franziskus sagt oft, daß es „viele Märtyrer gibt, es heute mehr Märtyrer gibt als in den ersten Jahrhunderten“. Als er die Seligpreisung kommentiert, wo jene gepriesen werden, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden, sagte der Papst: „Es ist schmerzlich, daran zu erinnern, daß in diesem Moment viele Christen in verschiedenen Gegenden der Welt Verfolgung erleiden. Und wir wollen hoffen und beten, dass deren Trübsal so schnell wie möglich aufhört“. Wir teilen die Worte des Heiligen Vaters und danken Gott für das Zeugnis so vieler unserer Mitchristen, die Glieder der Kirche sind: „Wir versichern diesen Brüder und Schwestern unsere Nähe: wir sind ein Leib, und diese Christen sind die blutenden Glieder des Leibes Christi, der die Kirche ist“ (Katechese, Mittwoch, 29. April 2020).
Liebe Brüder und Schwestern, das Wort Gottes, wie auch das Beispiel so vieler Märtyrer rütteln uns wach. Auch wir müssen das Evangelium einer säkularisierten Gesellschaft, in der wir leben, predigen. Leider sind einige der Wahrheiten der Lehre Jesu nicht populär, und die Welt im negativen Wortsinn will sie nicht hören, weswegen sie oft ignoriert oder zensiert werden. Es wäre schlimm, würden wir diese Mentalität akzeptieren und in eine Art Autozensur verfallen, wo wir das Wort Gottes nicht mehr in seiner ganzen Fülle verkünden und wesentliche Aspekte der menschlichen Natur unterschlagen. So die Wahrheit vom menschlichen Leben vom ersten Augenblick bis zum letzten Atemzug, die Heiligkeit der Ehe zwischen Mann und Frau, die Jesus zur Würde des Sakraments erhoben hat, die ursprünglichen Werte der menschlichen Person, die nach dem Abbild Gottes männlich und weiblich geschaffen ist (vgl. Gen 1,27). Die Christen dürfen nicht damit aufhören, diese Lehre Jesu zu verkünden, auch wenn es schwierig ist. Es können gar in einigen Gesellschaften Verfolgung drohen, die sich dem Wort nach demokratisch nennen, jedoch zeigen, wie stark sie von Ideologien beeinflusst sind, die im Widerspruch zum Evangelium Jesu Christi stehen, der für alle Zeit „der Weg, die Wahrheit und das Leben“ bleibt (Joh 14,6) und der einzige ist, der „Worte des ewigen Lebens“ hat (Joh 6,68).
Vertrauen wir unsere Reflektionen der seligen Jungfrau Maria an, der Mutter der Kirche, damit sie uns bei Ihrem Sohn die Gnade der Treue zu Jesus und seinem Evangelium erflehe. Er möge uns jetzt und allezeit die Kraft zum Martyrium, zur Zeugenschaft an jedem einzelnen Tag schenken, auch in einem feindlich gesinnten Umfeld. So können wir als Christen mutig die Worte des Herrn leben: „Fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten, die Seele aber nicht töten können!“ (Mt 10,28). Amen.