Predigt von Nuntius Eterovic am 23. Sonntag im Jahreskreis
Apostolische Nuntiatur, 5. September
(Jes 35,4-7; Ps 146; Jak 2,1-5; Mk 7,31-37)
„Er hat alles gut gemacht; er macht, dass die Tauben hören und die Stummen sprechen“ (Mk 7,37).
Liebe Schwestern und Brüder!
Das Wort Gottes, das wir an diesem dreiundzwanzigsten Sonntag im Jahreskreis gehört haben, erinnert uns die Verheißung von JHWH an sein Volk in der babylonischen Gefangenschaft (I), die sich im Christusereignis erfüllt (II). Mit der Gnade des Heiligen Geistes müssen wir, seine Jünger, uns nach seinem Beispiel und seiner Lehre verhalten (III).
1. „Dann werden die Augen der Blinden aufgetan“ (Jes 35,5).
JHWH ermutigt durch den Propheten Jesaja das erwählte Volk, das unter der Knechtschaft in Babylon leidet. Den entmutigten und unterdrückten Menschen verkündet er die Befreiung und Rückkehr in das gelobte Land. Gott hat sein Volk nicht verlassen. Aufgrund ihrer Sünden hatte er ihm die Niederlage und Vertreibung vorhergesagt. Doch jetzt ermutigt der Prophet im Namen Gottes zur Hoffnung: „Seid stark, fürchtet euch nicht!“ (Jes 35,4). Der Grund jener wiedergewonnenen Hoffnung findet sich im nahen Eingreifen von JHWH: „Er selbst kommt und wird euch retten“ (Jes 35,4). Das Kommen Gottes wird von angekündigten Zeichen begleitet, die in der Natur sichtbar sein werden: „In der Wüste sind Wasser hervorgebrochen und Flüsse in der Steppe. Der glühende Sand wird zum Teich und das durstige Land zu sprudelnden Wassern“ (Jes 35,6-7). Für uns aber sind die Heilungen der Kranken viel bedeutsamer, jene Wunder, die das starke Eingreifen Gottes zugunsten seines Volkes begleiten. Sie werden zum Zeichen des neuen Exodus aus der Knechtschaft in die Freiheit, nun nicht mehr aus Ägypten, sondern aus Babylon und hin zum Land der Väter. „Dann werden die Augen der Blinden aufgetan und die Ohren der Tauben werden geöffnet. Dann springt der Lahme wie ein Hirsch und die Zunge des Stummen frohlockt“ (Jes 35,5-6).
2. „Er hat alles gut gemacht; er macht, dass die Tauben hören und die Stummen sprechen“ (Mk 7,37).
Diese Verheißung, die in der Rückkehr Israels aus der babylonischen Gefangenschaft vorweggenommen ist, erfüllt sich vollkommen in der Person und dem Wirken Jesus Christi. In Ihm hat Gott wahrhaft zugunsten seines Volkes eingegriffen, wie die Heilung eines Taubstummen zeigt. Ein Mensch ohne Hörvermögen war von der Gesellschaft ausgeschlossen, weil er nicht imstande war zu hören, zu verstehen und ebenso wenig zu sprechen und mit dem Nächsten sprachlich zu kommunizieren. Jesus Christus verändert die Situation des Taubstummen und erhörte die Bitte, „ihm die Hand aufzulegen“ (Mk 7,32) und ihn zu heilen. Er tut dies auf diskrete Weise und „nahm ihn beiseite, von der Menge weg“ (Mk 7,33), weil er einem Missverständnis beim Volk vorbeugen wollte, denn die Wunder, die er tut, haben ein geistliches Ziel und sind keine Spektakel, da er kein Messias im politischen Sinne ist. Seine Art zu heilen ist außerdem bezeichnend und erinnert die Wirklichkeit der Menschwerdung des Herrn. Er berührt den Kranken, „legte ihm die Finger in die Ohren und berührte dann die Zunge des Mannes mit Speichel“ (Mk 7,33). Die anschließende Geste, wo er „zum Himmel blickte“ zeigt uns Jesus beim Gebet, sein Vertrauen zum himmlischen Vater, der seinen Eingeborenen Sohn immer hört und erhört (vgl. Joh 11,42). Sodann „seufzte (Jesus) und sagte zu ihm: Effata!, das heißt: Öffne dich!“ (Mk 7,34). Und so heilte er den Taubstummen. Der Evangelist bemerkt: „Sogleich öffneten sich seine Ohren, seine Zunge wurde von ihrer Fessel befreit und er konnte richtig reden“ (Mk 7,35).
Die Heilung des Taubstummen erinnert auch an das Taufsakrament. Die Kirche greift die Geste und die Worte Jesu bei der Heilung des Taufstummen bei jeder Taufe wieder auf. Auf diese Weise wird symbolisch die neue Wirklichkeit angezeigt, die sich im christlichen Sakrament der Initiation ereignet. Der Taufspender berührt Ohren und Mund des Neugetauften und sagt die Heilungsworte: „Effata!, das heißt: Öffne dich!“. Auf diese Weise werden die Ohren des Gläubigen empfänglich für das Wort Gottes. Der Getaufte kann die Stimme Gottes auch mittels der Heiligen Schrift innerlich vernehmen und mit seiner Zunge anderen kommunizieren.
Wir müssen uns jedoch fragen, ob dies wirklich in unserem christlichen Leben geschieht. Leider machen die Christen oft den Eindruck, als seien sie taub, weil sie scheinbar das Wort Gottes nicht hören (wollen), zuweilen aus Desinteresse oder weil sie keine ausreichend gute religiöse Unterweisung erhalten haben, weder in der Familie, noch in der Schule oder in der Pfarrgemeinde. Nicht wenige Christen hören und leben das Wort Gottes nicht und werden stumm, weil sie nicht imstande sind, anderen das mitzuteilen, was sie selbst nicht kennen und nicht als wesentlichen Teil ihrer Existenz wahrnehmen. Beten wir zum Heiligen Geist um Veränderung dieser Situation, damit alle Christen die Taufgnade wiedererlangen, ebenso die Schönheit der personalen Begegnung mit dem Herrn Jesus und die Kraft des Heiligen Geistes, der uns dazu führt, immer mehr Gott und den Nächsten zu lieben.
3. „Hat nicht Gott die Armen in der Welt … erwählt?“ (Jak 2,5).
Die zweite Lesung aus dem Jakobusbrief erinnert daran, wie sich ein Christ gegenüber anderen, seien sie reich oder arm, verhalten sollen. Stets muss er sich vor Augen halten, „dass Gott nicht auf die Person sieht, sondern dass ihm in jedem Volk willkommen ist, wer ihn fürchtet und tut, was recht ist“ (Apg 10,34-35). Dennoch gibt es eine gewisse Präferenz für die Armen, wie der Apostel Jakobus zeigt und hierfür eine theologische Begründung bietet: „Hat nicht Gott die Armen in der Welt zu Reichen im Glauben und Erben des Reiches erwählt, das er denen verheißen hat, die ihn lieben?“ (Jak 2,5). Im Vertrauen auf die Lehre ihres Meisters Jesus wendet die Katholische Kirche dies in der „Option für die Armen“ an. Das überrascht nicht, insofern die erste Seligpreisung verheißt: „Selig, ihr Armen, denn euch gehört das Reich Gottes“ (Lk 6,20). Um eine Engführung dieser Aussage auf die materielle Armut zu vermeiden, präzisiert der Heilige Matthäus: „Selig, die arm sind vor Gott; denn ihnen gehört das Himmelreich“ (Mt 5,3).
Liebe Brüder und Schwestern, die Worte des Apostels Jakobus ermuntern uns zur konkret christlichen Liebe, vor allem zugunsten der Hilfsbedürftigen, die unsere materielle und geistliche Hilfe benötigen. Diese Haltung muss aus unserem bekehrten Herzen entspringen, das fähig ist, dem Willen Gottes zu folgen, der uns durch Jesus Christus offenbart und mit der Gnade des Heiligen Geistes bestätigt worden ist. Diese Wahrheit ist Grund unserer Hoffnung, gerade auch in der schwierigen Zeit, in der wir uns und sich die ganze heilige Kirche Gottes befindet. Vertrauen wir ihre Erwartungen und die Erfüllung ihrer Sendung der Fürsprache der seligen Jungfrau Maria, der Mutter der Kirche an. Möge sie, die voll der Gnade ist (vgl. Lk 1,28), für uns die Ermutigung im Glauben, in der Hoffnung und der Liebe erflehen, damit wir nicht müde werden, mit neuer Kraft zu verkünden, dass Jesus Christus der Heiland der Welt ist, der auch heute noch alles gut macht, so „dass die Tauben hören und die Stummen sprechen“ (Mk 7,37). Amen.