Predigt von Nuntius Eterovic am 24. Sonntag im Jahreskreis
Apostolische Nuntiatur, 12. September
(Jes 50,5-9; Ps 116; Jak 2,14-18; Mk 8,27-35)
„Für wen halten mich die Menschen? ….Ihr aber, für wen haltet ihr mich?“ (Mk 8,27.29).
Liebe Schwestern und Brüder!
Auch wir sind an diesem 24. Sonntag im Jahreskreis aufgerufen, auf die Frage Jesu an seine Jünger zu antworten: „Für wen halten mich die Menschen?“ (I); „Ihr aber, für wen haltet ihr mich (II). Das Bekenntnis zu Jesus als dem Christus, dem Messias, hat wesentliche Folgen für unser christliches Leben (III).
1. „Für wen halten mich die Menschen?“ (Mk 8,27).
Im ersten Abschnitt seines öffentlichen Wirkens hatte Jesus Christus beachtliche Erfolge. Er galt als „ein Prophet, mächtig in Tat und Wort vor Gott und dem ganzen Volk“ (Lk 24,19). Davon zeugen das Staunen der Menschen über seine Predigt, „denn er lehrte sie wie einer, der Vollmacht hat, nicht wie die Schriftgelehrten“ (Mk 1,22), wie auch wegen der Wunder, die sein Wort bekräftigten (vgl. Mt 13,54). Doch es mangelte auch nicht an Fehlschlägen, wie das Beispiel in seiner Heimatstadt Nazareth zeigt (vgl. Lk 4,14-30) oder die Feinseligkeit seitens der politischen und religiösen Führer seines Volkes. Es war daher an der Zeit, auch vor den Aposteln seine wahre Natur und die Art seiner Sendung zu klären. Auf die Frage: „Für wen halten mich die Menschen?“ gaben die Jünger die Meinungen ihrer Landsleute zur Person Jesu wieder. Denn diese dachten, er sei eine außergewöhnliche Persönlichkeit, einer der Propheten oder genauer Johannes der Täufer oder Elija.
Interessant wäre, die Antwort auf die Frage des Herrn Jesus von unseren Zeitgenossen zu erfahren: „Für wen halten mich die Menschen?“. In unserer säkularisierten Welt würde sicher weniger der prophetische Aspekt Jesu unterstrichen werden, seine ganz besondere Beziehung zu Gott, die transzendentalen Werte oder der Glaube, den der Herr voraussetzt, um sein Jünger werden zu können: „Kehrt um und glaubt an das Evangelium“ (Mk 1,15). Die Antworten kreisten vor allem um seine menschliche Dimension. Man würde wohl kaum mehr seine irdische Existenz bestreiten, wie in der zweiten Auflage der Großen Sowjetischen Enzyklopädie (Большая советская энциклопедия - Moskau 1952) im Eintrag über Jesus zu lesen war, dies sei der Name einer mythischen Gestalt gewesen, die von seinen Anhängern erfunden worden war, für die es kein historisches Fundament gäbe. Viele Menschen sehen in Jesus einen großen Humanisten, eine Art Revolutionär oder einen Sozialisten, der soziale Gerechtigkeit eingefordert hat, sie erblicken in ihm ein hervorragendes ethisches Modell, eine in Reden und Wirken charismatische Persönlichkeit, den gewaltfreien und friedensliebenden Menschen, der trennende Mauern einreißt und den Horizont der Hoffnung öffnet.
2. „Ihr aber, für wen haltet ihr mich?“ (Mk 8,29).
Jesus gibt sich mit den Antwortversuchen der Apostel nicht zufrieden, denn sie beschreiben seine Person nur ungenügend. Daher fragt er die Zwölf direkt: „Ihr aber, für wen haltet ihr mich?“ (Mk 8,29). Vom Heiligen Geist inspiriert antwortet der Apostel Petrus: „Du bist der Christus“ (Mk 8,29). Der Bericht des Evangelisten Markus ist nüchtern, aber wesentlich. Der Heilige Mätthäus fügt Jesu lobende Worte an Petrus an: „Selig bist du, Simon Barjona; denn nicht Fleisch und Blut haben dir das offenbart, sondern mein Vater im Himmel“ (Mt 16,17) und bringt den Willen Jesu zum Ausdruck, auf ihm seine Kirche zu gründen: „Ich aber sage dir: Du bist Petrus und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen und die Pforten der Unterwelt werden sie nicht überwältigen“ (Mt 16,18). Der Herr gibt dem Haupt der Apostel außerdem die Schlüsselgewalt (vgl. Mt 16,19). Und in beiden Versionen gebietet Jesus, über diese Wahrheit Stillschweigen zu bewahren (vgl. Mk 8,30; Mt 16,20). Der Herr wusste, dass viele seiner Landsleute einen politischen Messias erwarteten, der sein Volk mit Gewalt von der römischen Besatzungsmacht befreien und das Reich in Israel wieder herstellen würde. Doch seine Mission war davon radikal unterschieden, denn er mußte in sein Reich durch Leiden und Tod treten, der zum Weg der Auferstehung und des Lebens wird. Er suchte dies den Aposteln verständlich zu machen, doch zunächst erfolglos. Denn der Apostel Petrus, der eben noch bekannte: „Du bist der Christus“, nahm ihn jetzt beiseite und „begann, ihn zurechtzuweisen“ (Mk 8,32). Doch Jesus reagiert scharf und nachdrücklich: „Tritt hinter mich, du Satan! Denn du hast nicht das im Sinn, was Gott will, sondern was die Menschen wollen“ (Mk 8,33). Die Sendung Jesu schließt den Skandal von Kreuz und Leid ein, wie der Prophet Jesaja im Lied vom Gottesknecht angekündigt hat, das sich in der Person Jesu Christi verwirklicht (vgl. Jes 50,5-9). Das Kreuz ist der Heilsweg, der Weg zur Befreiung des Menschengeschlechts.
Auf die zweite Frage Jesu: „Ihr aber, für wen haltet ihr mich?“ würden viele unserer Zeitgenossen die schon gehörten Antworten geben: ein großer Humanist, ein gerechter Mann, ein Idealist, ein Verteidiger der Armen und Letzten. All das ist wahr, aber eben nicht alles. Jesus Christus ist wahrhaft ganz Mensch, doch seine Größe kommt aus seiner einzigartigen Beziehung mit Gottvater. Denn er selbst sagt: „Wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen“ (Joh 14,9), wie auch: „Ich und der Vater sind eins“ (Joh 10,30). In Jesus offenbart sich ein Gott mit menschlichem Angesicht und ein Mensch mit göttlichem Antlitz. Und so folgen wir der Wahrheit Jesu, die sich auch in seinen Worten ausdrückt, und antworten auf diese zweite Frage: Du bist der Christus, der Gesalbte, der Messias, der Sohn Gottes. Jesus Christus ist vollkommener Mensch, wie auch der Sohn Gottes. Die Christen bekennen, dass Jesus Christus wahrer Gott und wahrer Mensch ist und somit zwei Naturen hat, in einer Person sich also die göttliche und die menschliche Natur vereint. Der Herr ist zugleich der Sohn Gottes wie der Menschensohn. Dieses Glaubensbekenntnis ist mittels der Gnade des Heiligen Geistes möglich. Wir erbitten vom dreieinen Gott, er möge uns die Gabe des Glaubens schenken, damit wir dies leben und den anderen zu verkünden vermögen, vor allem denen, die zwar Jesus als Menschen anerkennen, aber noch nicht an ihn als Gott glauben.
3. Das eigene Kreuz annehmen und Jesus folgen
Die Frage des Herrn Jesus über seine Identität hat nicht allein zum Ziel zu zeigen, dass er der Christus ist, der Messias, sondern belehrt seine Jünger außerdem darüber, dass sie, wenn sie seine Jünger sein wollen, ihm auf dem Kreuzweg folgen müssen: „Wenn einer hinter mir hergehen will, verleugne er sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach“ (Mk 8,34). Diese Worte werden mit den nachfolgenden klar: „Denn wer sein Leben retten will, wird es verlieren; wer aber sein Leben um meinetwillen und um des Evangeliums willen verliert, wird es retten“ (Mk 8,35). Um den Sinn dieser Aussage Jesu zu verstehen, können wir die Begriffe von Liebe und Martyrium anwenden. Der erste bezieht sich auf eine allen gemeinsame Erfahrung, die den Menschen eigen ist. Die zweite hingegen, das Martyrium, ist ein besonderer Ausdruck der Liebe bis zum Ende, bis hin zur Hingabe des eigenen Lebens.
„Gott ist Liebe“ (1 Joh 4,8.16), und um Christ zu werden, müssen wir Gott und den Nächsten lieben. Die wahre Liebe gibt es nicht zwischen zwei egoistischen Menschen, die in einer wechselseitigen Beziehung nur ihre Interessen zu verwirklichen suchen. Im Gegenteil, in der Liebe sucht der Liebende dem Geliebten zu gefallen, er kämpft gegen seinen Egoismus, setzt sich und seine Interessen hinten an, alles aus Liebe zum Nächsten. Entgegen der rationalen Logik gilt, je mehr ein Mensch sich einem anderen hingibt, um ihn glücklich zu machen, desto glücklicher wird er selbst und erfüllt sich umso mehr. Jesus Christus hat aus Liebe das Opfer am Kreuz auf sich genommen. Er, der ohne Sünde ist, hat sich für uns Sünder hingegeben. Mit der Gnade des Heiligen Geistes müssen wir suchen, Ihm auf diesem Weg nachzufolgen, wie es die Märtyrer getan haben. Aus Liebe zu Gott haben sie ihr eigenes Leben hingegeben. In den Augen der Menschen haben sie ihr Leben verloren, doch in der seligen Wirklichkeit Gottes haben sie es erworben.
Vertrauen wir diese Reflektionen unserer mächtigen Fürsprecherin an, der seligen Jungfrau Maria, der Mutter Jesu und unserer Mutter, auf dass sie bei Gott, dem Vater, Sohn und Heiligem Geist, die Gabe des Glaubens für jene erflehen möge, welche die Wahrheit suchen. Wir Christen mögen gestärkt werden, damit wir imstande sind, diese Wahrheit Christi mit Überzeugung und neuer Kraft den Nahen und Fernen zu verkünden. Amen.