Predigt von Nuntius Eterovic am 26. Sonntag im Jahreskreis

Apostolische Nuntiatur, 27. September 2020

(Ez 18,25-28; Ps 24; Phil 2,1-11; Mt 21,26-32)

„Die Zöllner und die Dirnen gelangen eher in das Reich Gottes als ihr“ (Mt 21,31).

Liebe Schwestern und Brüder!

Mit diesen starken Worten wollte Jesus die Hohenpriester und die Ältesten des Volkes, die sich selbst als gerecht ansahen und sich ihres Heiles sicher glaubten, zum Nachdenken bewegen. Dabei handelt es sich nicht um einen Einzelfall. In diesem Zusammenhang genügt es, an die Haltung eines Pharisäers im Tempel und dessen Eigenlob zu erinnern: „Gott, ich danke dir, dass ich nicht wie die anderen Menschen bin, die Räuber, Betrüger, Ehebrecher oder auch wie dieser Zöllner dort“ (Lk 18,11). Der Herr Jesus hat oft diese falsche Sicherheit kritisiert, wenn er beispielsweise sagt: „Nicht jeder, der zu mir sagt: Herr! Herr!, wird in das Himmelreich kommen, sondern wer den Willen meines Vaters im Himmel tut“ (Mt 7,21). Weil die Zöllner und Dirnen sich bekehrten, nachdem sie das Wort Gottes hörten, und danach trachteten, ein Leben nach dem Willen Gottes zu führen, sind sie gerettet worden. Die Führer des erwählten Volkes hingegen kommen ohne die radikale Änderung ihres Lebens, ohne eine wahre Bekehrung gemäß der Lehre Jesu nicht in das Reich Gottes. Diese Wahrheit kommt klar in den Lesungen, die wir gehört haben, zum Ausdruck. Sie unterstreichen die Verantwortung des Menschen für sein Verhalten (I). Seine Treue zum Willen Gottes wird durch sein Leben bezeugt (II). Diese wesentliche Lebensaufgabe können wir nur mit der Gnade des dreieinen Gottes vollbringen (III). Das Wort Gottes erleuchtet am Welttag der Migranten und Flüchtlinge den Einsatz von Christen für unsere Brüder und Schwestern in Not.

1. Die verantwortete Freiheit des Menschen

Eine der Charakteristiken der menschlichen Natur, durch die der Mensch Gott ähnlich, weil er nach Seinem Bild und Gleichnis geschaffen ist (vgl. Gen 1,26), ist die Freiheit. Im eigentlichen Sinn soll die Freiheit dazu dienen, das Gute zu wählen, um Gott zu loben und seinen Willen zu tun, was sich auf alle Menschen und alles Geschaffene bezieht. Leider gebraucht der Mensch die Freiheit oft aufgrund von Leidenschaften, Hochmut und Egoismus im negativen Sinn, und er neigt sich dem Bösen zu, zieht das Böse dem Guten vor. Auf diese Weise entfernt man sich von Gott, dem höchsten Guten, und handelt gegen seinen Willen, indem er sündigt.

Die Freiheit muss durch das ganze Leben hindurch sorgsam gepflegt werden. Wir müssen stets auf das Wort Gottes und auf die Stimme des rechten Gewissens achten, um auf dem Weg zu bleiben, der uns zum ewigen Leben führt. Die erste Lesung aus dem Buch des Propheten Ezechiel warnt uns. Der Mensch kann sich im Lauf seines Lebens ändern: der Gerecht kann ungerecht werden oder umgekehrt, der Ungerechte gerecht. Im ersten Fall, wenn „ein Gerechter sich abkehrt von seiner Gerechtigkeit und Unrecht tut, all die Gräueltat, die auch der Schuldige verübt, sollte er dann etwa am Leben bleiben? Keine seiner gerechten Taten wird ihm angerechnet. Wegen seiner Treulosigkeit, die er verübt, und wegen der Sünde, die er begangen hat, ihretwegen muss er sterben“ (Ez 18,24). Im Fall, daß der Ungerechte sich bekehrt und Werke der Gerechtigkeit tut, also in rechter Weise den Willen Gottes beachtet, wird er gerettet. Die inspirierte Schrift betont den Prozess der Bekehrung dieses Menschen: „Wenn er alle seine Vergehen, die er verübt hat, einsieht und umkehrt“ dann folgt daraus: „er wird bestimmt am Leben bleiben. Er wird nicht sterben“ (Ez 24,28).

Das Wort Gottes ruft jeden von uns an. Es bietet große Hoffnung auch den großen Sündern. Auch sie werden von Gott geliebt, der ihr Heil durch Glaube und Umkehr will. Aber auch wir, die wir die christliche Berufung zu leben suchen, müssen uns vom Wort Gottes und von unserem Gewissen befragen lassen: nutzen wir unsere Freiheit auf gute Weise? Sind wir Gott und seinem ausdrücklichen Willen treu ergeben, vor allem dem Liebesgebot zu Ihm und dem Nächsten gegenüber? Zu Beginn jeder Eucharistiefeier erbitten wir von Gott die Vergebung unserer Sünden, weil wir wissen, nicht immer auf der Höhe unserer christlichen Berufung zu sein und die uns geschenkte Freiheit zuweilen nicht in verantwortlicher Weise verwenden.

2. „Die Zöllner und die Dirnen gelangen eher in das Reich Gottes als ihr“ (Mt 21,31).

Bevor Jesus dies sagt, erzählt er von den unterschiedlichen Verhaltensweisen zweier Söhne, die der Vater auffordert, zur Arbeit in den Weinberg zu gehen. Der erste Sohn antwortet formal in positiver Weise, doch er geht nicht. Der zweite verhält sich gegenteilig. Die Antwort an den Vater ist negativ, „später aber reute es ihn und er ging“ (Mt 21,30). So hat er den Willen des Vaters erfüllt. In diesem Kontext also hat sich Jesus an die Zuhörer mit jenem Satz gewandt, der die Hohenpriester und die Ältesten des Volkes schockieren musste: „Die Zöllner und die Dirnen gelangen eher in das Reich Gottes als ihr“ (Mt 21,31). Anschließend erläutert er den Sinn, um mögliche Missverständnisse auszuräumen. Die Dirnen und Zöllner hatten Johannes den Täufer gehört und ihm geglaubt im Gegensatz zu den Führern des jüdischen Volkes. Die drängende Aufforderung des Johannes: „Kehrt um, denn das Himmelreich ist nahe“ (Mt 3,2), zeigte in den Herzen der Zöllner und Dirnen Wirkung, denn sie, die offen als Sünder betrachtet wurden, hatten sich bekehrt und ihr Leben radikal geändert. Ähnliche Erfahrungen hat auch Jesus gemacht. Es genügt an die Sünderin zu erinnern, der im Haus eines Pharisäers die Sünden vergeben wurden (vgl. Lk 7,36-50) oder an den Zöllner Matthäus (vgl. Mt 9,9), der einer der zwölf Apostel wurde. Die Lehre Jesu Christi ist klar und deutlich. Er macht den Hohepriestern und den Ältesten des Volkes zum Vorwurf: „Ihr habt es gesehen und doch habt ihr nicht bereut und ihm nicht geglaubt“ (Mt 21,32).

Die Worte des Herrn Jesus geben den Menschen Hoffnung, die sich zu prostituieren gezwungen sind. Das Phänomen der Prostitution ist leider sehr aktuell auch in unserer Zeit. Nach einigen Statistiken gibt es mehr als 40 Millionen Menschen, die sich prostituieren, wovon 75 Prozent zwischen 13 und 25 Jahre alt sind und 80 Prozent Mädchen und Frauen. Auf dem europäischen Kontinent betrifft dies vor allem die Migranten, die „Opfer von Menschenhandel“ werden. Angesichts dieser kriminellen Wirklichkeit engagieren sich zahlreiche christlich inspirierte Organisationen im Kampf gegen diese Pest in unserer Gesellschaft. Wir müssen alle deren Bemühungen durch das Gebet und spirituelle wie materielle Hilfe unterstützen. Gerade der Welttag für Migranten und Flüchtlinge treibt uns hierzu noch mehr an.

3. Die gleiche Gesinnung wie Jesus Christus haben

Das Wort Gottes ist wesentlich, und wir fühlen uns schwach. Von allein vermögen wir nicht, es in angemessener Weise in die Tat umzusetzen. Wir empfangen jedoch Hilfe durch die Gnade Gottes, die uns reinigt und stärkt, damit wir Jünger und Zeugen seiner Liebe werden. Im Abschnitt aus dem Philipperbrief, den wir gehört haben, ermuntert uns der Heilige Paulus zur Reinigung des Herzens: „Tut nichts aus Streitsucht und nichts aus Prahlerei. Sondern in Demut schätze einer den andern höher ein als sich selbst. Jeder achte nicht nur auf das eigene Wohl, sondern auch auf das der anderen“ (Phil 2,3-4). Sodann ermahnt er uns, immer mehr dem Herrn Jesus gleichgestaltet zu werden: „Seid untereinander so gesinnt, wie es dem Leben in Christus Jesus entspricht: Er war Gott gleich, hielt aber nicht daran fest, Gott gleich zu sein, sondern er entäußerte sich und wurde wie ein Sklave und den Menschen gleich“ (Phil 2,5-7).

Diese demütige Haltung in der Liebe zu Gott und in der Erfüllung seines Willens finden wir im Leben der Heiligen und in besonderer Weise bei der Jungfrau Maria, der Mutter Jesu und Mutter der Kirche. Ihre Fürsprache möge helfen, daß auch wir aufmerksam das Wort des Herrn Jesus hören und uns ähnlich wie die Zöllner und Dirnen im Evangelium bekehren, um in das Reich Gottes eintreten zu können. Zu dieser Verheißung des Lebens sind auch die Migranten und Flüchtlinge eingeladen. Amen.

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