Predigt von Nuntius Eterovic am 27. Sonntag im Jahreskreis
Apostolische Nuntiatur, 8. Oktober 2023
(Jes 5,1-7; Ps 80; Phil 4,6-9; Mt 21,33-43)
„Das ist der Erbe. Auf, wir wollen ihn umbringen, damit wir sein Erbe in Besitz nehmen“ (Mt 21,38).
Liebe Schwestern und Brüder,
im Abschnitt aus dem Matthäusevangelium an diesem 27. Sonntag im Jahreskreis kündigt der Herr Jesus sein Leiden und seinen Tod an. Er tut dies, indem er das Bild des Weinbergs benutzt, was für seine Zuhörer leicht zu verstehen war, denn alle hatten entweder direkte Erfahrungen und wussten um die Bedeutung der Kultivierung und Pflege der Weingärten im mediterranen Umfeld oder sie kannten dieses Bild aus der Heiligen Schrift, wo es im Alten und Neuen Testament mehr als 100mal vorkommt. Öffnen wir uns und unsere Herzen der Gnade des Heiligen Geistes, um die Botschaft zu verstehen, die Gott an sein Volk richtet (I) und besonders an uns persönlich als Glieder der kirchlichen Gemeinschaft (II). Bei diesen Überlegungen werden wir uns vor allem des Kommentars des Heiligen Hieronymus zum Matthäusevangelium bedienen.
1. „Denn der Weinberg des Herrn der Heerscharen ist das Haus Israel“ (Jes 5,7).
Die Begriffe Weinberg, Winzer, Weinstock und Traubenlese gehören zur jüdischen Kultur in der Zeit Jesu. Der Herr musste sich daher nicht lange damit aufhalten zu beschreiben, wie der Boden zur Bepflanzung des Weinbergs bearbeitet werden muss und mit der Weise, ihn zu pflegen oder wie die Trauben gelesen werden und der Wein gemacht wird. Das war schon gut beim Propheten Jesaja beschrieben, auch im Abschnitt, den wir gehört haben (vgl. Jes 5,1-7). Wichtig zu betonen ist der Wille von JHWH, der alles dafür getan hat, dass sein Weinberg, das ist „das Haus Israel“ (Jes 5,7), viele und gute Früchte hervorbringt (vgl. Jes 5,4) und die Antwort seines Volkes, das unglücklicherweise die Erwartungen des Herrn nicht erfüllte. Und so übermittelt der Prophet Jesaja die Enttäuschung Gottes, der sich fragt: „Warum hoffte ich, dass er Trauben brächte? Und er brachte nur faule Beeren!“ (Jes 5,4). Angesicht des Unglaubens und des Ungehorsams Seinem Willen gegenüber versucht JHWH, mit Drohungen die Herzen der Israeliten zur Umkehr zu bewegen, damit sie zu Ihm zurückkehren. Doch diese Methode brachte nicht die erhofften Früchte, und Israel kam in die babylonische Gefangenschaft, während der Weinberg des Herrn verfiel und zerstört wurde.
2. „Das ist der Erbe. Auf, wir wollen ihn umbringen, damit wir sein Erbe in Besitz nehmen“ (Mt 21,38).
Während sich der Prophet Jesaja an das ganze jüdische Volk wandte, richtet sich Jesus Christus im heutigen Evangelium an die Hohenpriester und die Ältesten des Volkes. Nach dem heiligen Hieronymus hat Jesus durch dieses Gleichnis ihre Frage beantwortet: „In welcher Vollmacht tust du das und wer hat dir diese Vollmacht gegeben?“ (Mt 21,23), indem er darauf hinweist, dass diese Vollmacht von Gottvater kommt. Denn dieser ist der Gutsbesitzer, der zwei Söhne hatte, er ist derselbe, der in einem anderen Gleichnis die Arbeiter in seinen Weinberg schickt, er ist jener, der einen Weinberg pflanzte, von dem Jesaja ausführlich in einem Lied spricht, das mit den Worten endet: ‚Der Weinberg des Herrn ist das Haus Israel‘“. Wiederum nach dem Heiligen Hieronymus reiste der Gutsbesitzer weit fort und gab den Winzern die Freiheit zu arbeiten. Das Problem zeigte sich zur Zeit der Ernte. Die Winzer wollten die Früchte der Ernte nicht an die Knechte abliefern, die der Besitzer geschickt hatte, wie es vereinbart worden war, sondern sie „packten seine Knechte; den einen prügelten sie, den andern brachten sie um, wieder einen anderen steinigten sie“ (Mt 21,35). Der heilige Hieronymus erwähnt die Propheten, die ein ähnliches Schicksal erlitten hatten. Gott „sandte ihnen Knechte und sie warfen sie hinaus, schlugen sie wie Jeremia, töteten sie wie Jesaja oder steinigten sie wie Naboth und Zacharias, die zwischen Tempel und Altar getötet wurden“. Der Gutsbesitzer, der voller Geduld und Güte war, sandte am Ende seinen Sohn und dachte: „Vor meinem Sohn werden sie Achtung haben“ (Mt 21,37). Die Winzer jedoch antworteten mit Gewalt auf diesen letzten Versuch des Patrons, die Früchte der Ernte zu erhalten und dachten sich, den Erben umzubringen, würde sie in den Besitz des Weinbergs bringen (vgl. Mt 21,39). In der Beschreibung, wie der Erbe getötet wird, verkündet Jesus seinen eigenen Tod. Er selbst wird außerhalb der Tore der heiligen Stadt Jerusalem gekreuzigt, so dass wir mit dem heiligen Hieronymus verstehen können, dies geschah „außerhalb des Weinbergs, und an diesem Ort töteten sie ihn, damit die Heiden ihn sammeln und der Weinberg anderen anvertraut werden konnte“.
Die Hohepriester und die Ältesten des Volkes haben mit Worten die Gewalt der Winzer verurteilt und gesagt, der Gutsbesitzer müsse die Übeltäter mit dem Tode bestrafen und den Weinberg anderen Winzern übergeben, welche die Früchte zur rechten Zeit abliefern (vgl. Mt 21,41).
Damit die Zuhörer verstehen, dass die Botschaft des Gleichnisses sie betrifft, setzt Jesus seine Rede fort und greift die bekannte Wendung aus Psalm 118,22-23 auf: „Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, er ist zum Eckstein geworden; vom Herrn ist das geschehen und es ist wunderbar in unseren Augen?“ Er wird abgelehnt, doch über das Ostergeheimnis wird er zum Eckstein des neuen Hauses, der Kirche. Der heilige Hieronymus bemerkt den Sprachwechsel bei Jesus. Er spricht nicht länger von den Winzern, den Landarbeitern, sondern redet nunmehr von den Bauleuten. Hieronymus kommentiert: „Wie die Winzer eine Rebe erhielten, so haben die Maurer den Stein bekommen, mit dem sie nach dem Architekten Paulus das Fundament an der Ecke legen sollten, um die beiden zusammentreffenden Mauern zu verbinden, nämlich die beiden Völker. Und dieser Stein, den sie verworfen haben, er ist zum Eckstein geworden“. Dies geschah nicht durch menschliche Macht, sondern in der Allmacht Gottes.
Der Abschnitt des Evangeliums schließt mit der Aussage Jesu: „Darum sage ich euch: Das Reich Gottes wird euch weggenommen und einem Volk gegeben werden, das die Früchte des Reiches Gottes bringt“ (Mt 21,43). Der Herr polemisiert gegen die Autoritäten des jüdischen Volkes, gegen die Hohepriester und die Ältesten des Volkes. Sie haben nicht verstanden, den Weinberg zu pflegen, den Gott ihnen anvertraut hatte, sondern waren im Gegenteil ein Hindernis und töteten sogar verschiedene seiner Gesandten. Nach dem heiligen Hieronymus ist es zuweilen wichtig, die heiligen Schriften zu kennen, um das Reich Gottes zu verstehen. Inmitten der biblischen Texte zu leben, bedeutet schon jetzt, das Himmelreich zu leben, auch wenn seine Fülle erst im Himmel erreicht sein wird. „Der Herr nahm den Juden die heiligen Schriften weg und gab sie uns, damit wir Früchte hervorbringen. Das ist der den Winzern und Landpflegern anvertraute Weinberg. Diejenigen, die dort nicht gearbeitet haben, und jene, die die Schriften nur dem Namen nach beachtet haben, werden die Früchte des Weinbergs verlieren“.
Liebe Brüder und Schwestern, das Himmelreich ist in dieser Welt in der Person Jesu Christi bereits gegenwärtig. Die heiligen Schriften stehen für eine starke Gegenwart, die wir immer wieder entdecken müssen. Der heilige Hieronymus war der große Liebhaber der Bibel, und er hat mit Überzeugung gesagt: „Wer die Schriften nicht kennt, der kennt Christus nicht“. Lassen wir uns daher vom Heiligen Geist zur immer tieferen Einsicht des verborgenen Schatzes in der Bibel führen, vor allem in den Büchern des Neuen Testamentes. Sie erinnern uns, dass es nicht genügt, Mitglied eines Volkes oder der Kirche zu sein, um den Willen Gottes zu erfüllen; es ist vielmehr notwendig, mit seiner Gnade zusammenzuarbeiten, um die von Gott gewollte Frucht bringen zu können. Auf die Fürsprache der seligen Jungfrau Maria, der Mutter des fleischgewordenen Wortes Jesus, bitten wir den dreieinen Gott um die Gabe, in Jesus Christus den Erben des Herrn des Weinbergs zu erkennen, in dem der große Schatz der „Tiefe des Reichtums, der Weisheit und der Erkenntnis Gottes“ (Röm 11,33) verborgen ist. Wir können dazu gelangen dank des Ostergeheimnisses des Herrn Jesus und aufgrund der Taufe, durch die wir zu Gliedern Seiner Kirche geworden sind. Das Wort Gottes lehrt uns auch heute, dass es nicht genügt, nur formal zur Familie des Herrn Jesus zu gehören. Man muss Seinen Willen erfüllen und zu Seinen Zeugen im persönlichen, familiären und sozialen Leben werden. Denn es gilt Seine Lehre: „Mein Vater wird dadurch verherrlicht, dass ihr reiche Frucht bringt und meine Jünger werdet“. Amen.