Predigt von Nuntius Eterovic am 3. Sonntag im Jahreskreis
Berlin, 26. Januar 2020
(Jes 8,23-9,2; Ps 27; 1 Kor 1,10-13.17; Mt 4,12-23)
„Kehrt um! Denn das Himmelreich ist nahe“ (Mt 4,17).
Liebe Schwestern und Brüder!
Nach der Entscheidung von Papst Franziskus feiern wir heute den Sonntag des Wortes Gottes. Der Bischof von Rom hat dies mit dem Apostolischen Schreiben Aperuit illis („Darauf öffnete er ihren Sinn für das Verständnis der Schriften“ (Lk 24,45)) vom 30. September 2019 zum Ausdruck gebracht, dem Gedenktag des heiligen Kirchenlehrers Hieronymus. Dies ist ein bedeutsames Datum, denn es fällt mit der Erinnerung an den Tod des Heiligen Hieronymus, jenem großen Kenner der Heiligen Schrift, vor 1.600 Jahren zusammen. So hat er die Originaltexte der Bibel in die Umgangssprache des Westens seiner Zeit, in das Lateinische übersetzt.
An diesem ersten Sonntag des Wortes Gottes möchte ich einige grundlegende Begriffe zur Bibel vorschlagen und zur Art und Weise, wie sie zu lesen und zu verstehen ist. Hierzu gibt es verschiedene Dokumente der Kirche, insbesondere die Dogmatische Konstitution über die Göttliche Offenbarung Dei verbum des Zweiten Vatikanischen Konzils, das Nachsynodale Apostolische Schreiben Verbum Domini von Papst Benedikt XVI. Nicht zuletzt bietet der Katechismus der Katholischen Kirche einige wertvolle Beiträge zu diesem Thema.
Inspiration: Die Bibel ist zugleich das Werk des Heiligen Geistes und jener Personen, die Gott erwählt hat, dieses Werk zu vollbringen. Hierzu sagt Dei verbum genauer: „Das von Gott Geoffenbarte, das in der Heiligen Schrift enthalten ist und vorliegt, ist unter dem Anhauch des Heiligen Geistes aufgezeichnet worden; denn aufgrund apostolischen Glaubens gelten unserer heiligen Mutter, der Kirche, die Bücher des Alten wie des Neuen Testamentes in ihrer Ganzheit mit allen ihren Teilen als heilig und kanonisch, weil sie, unter der Einwirkung des Heiligen Geistes geschrieben (vgl. Joh 20,31; 2 Tim 3,16; 2 Petr 1,19-21; 3,15-16), Gott zum Urheber haben und als solche der Kirche übergeben sind. Zur Abfassung der Heiligen Bücher hat Gott Menschen erwählt, die ihm durch den Gebrauch ihrer eigenen Fähigkeiten und Kräfte dazu dienen sollten, all das und nur das, was er - in ihnen und durch sie wirksam - geschrieben haben wollte, als echte Verfasser schriftlich zu überliefern“ (DV 11).
Die kanonischen Bücher: Die Katholische Kirche nennt 73 Bücher, welche die Bibel bilden, kanonisch, 46 davon im Alten Testament, 27 im Neuen Testament. Zu den fünf Büchern der Thora oder des Pentateuch kommen die 21 Schriften der Propheten – die Nebiim – und die 13 Bücher der Ketubim, wozu zum Beispiel die Psalmen gehören, welche die Heilige Schrift der Juden bilden, was auch die kirchlichen Gemeinschaften der Reformation akzeptieren. Die Katholische Kirche und die Kirchen der Orthodoxie erkennen als kanonische Schriften auch die Bücher der Weisheitsliteratur an, die in griechischer Sprache verfasst wurden. Das Neue Testament als Teil der christlichen Bibel setzt sich aus den vier Evangelien, die von den Evangelisten Matthäus, Markus, Lukas und Johannes geschrieben wurden, die Apostelgeschichte, die Offenbarung und 21 apostolische Briefe zusammen.
Die Weise, die Schrift zu lesen: Zu einer vollständigen Lektüre der Bibel gehört, das Gleichgewicht zu halten zwischen der historisch-kritischen Methode und der theologischen Methodik. Beide Ebenen sind zur guten Interpretation des Wortes notwendig, denn es ist zugleich Menschenwort und Wort Gottes. Die Dogmatische Konstitution Dei verbum nennt drei Kriterien, um zu einer theologischen Erklärung der Schrift zu gelangen: 1. den Text interpretieren und dabei die Einheit der ganzen Schrift im Bewußtsein zu behalten; 2. der lebendigen Tradition der ganzen Kirche bewußt bleiben; 3. auf die Analogie des Glaubens achten (vgl. DV 12).
Über den literarischen Sinn hinaus ist nötig, auch den geistlichen Sinn in der Schriftlektüre zu üben. Der geistliche Sinn unterscheidet sich sodann in drei Arten: den allegorischen, den moralischen, den anagogischen Sinngehalt (vgl. Verbum Domini 37). Der Katechismus der Katholischen Kirche entfaltet diese vollständige Weise des Schriftverständnisses in den Nummern 115 bis 119 und fasst zusammen: „Die tiefe Übereinstimmung dieser vier Sinngehalte sichert der lebendigen Lesung der Schrift in der Kirche ihren ganzen Reichtum“ (115).
Lectio divina: Die Bischofssynode zum Wort Gottes im Oktober 2008 hat die Praxis der lectio divina empfohlen, das heißt die betende, ganzheitliche Lesung des Wortes Gottes. Sie besteht in fünf Akten: Lectio -Lesung, Meditatio - Betrachtung, Oratio - Gebet), Contemplatio -Kontemplation), Actio - Tat (vgl. DV 86-87). Die Lectio divina, die vor allem im monastischen Leben verbreitet ist, wird immer mehr auch bei den Gläubigen beliebt, die tiefer in den Inhalt des Wortes Gottes vordringen wollen.
Die Zentralität Jesu: Die Heilige Schrift ist für die Katholische Kirche wesentlich, wie auch für die anderen Kirchen und christlichen Gemeinschaften. Dennoch ist das Christentum in Wahrheit keine Buchreligion, wie das Judentum oder der Islam. Das Christentum ist die Religion Jesu Christi. Er ist das fleischgewordene Wort (vgl. Joh 1,14). In Ihm hat uns Gott alles offenbart, was wir für das Heil zu wissen notwendig haben. Hierzu sagt der Hebräerbrief deutlich: „Vielfältig und auf vielerlei Weise hat Gott einst zu den Vätern gesprochen durch die Propheten; am Ende dieser Tage hat er zu uns gesprochen durch den Sohn, den er zum Erben von allem eingesetzt, durch den er auch die Welt erschaffen hat“ (Hebr 1,1-2). Der Heilige Johannes vom Kreuz hat unterstrichen: „Da Gott uns seinen Sohn geschenkt hat, der sein einziges und endgültiges Wort ist, hat er uns in diesem einzigen Wort alles auf einmal gesagt und nichts mehr hinzuzufügen“ (VD 14).
In seiner Person ist Jesus Christus die Synthese der ganzen Heiligen Schrift, des Alten wie des Neuen Testamentes. Hiervon haben wir auch Zeugnis in der Konkordanz des Abschnitts aus dem Matthäusevangelium, das sich auf die Ankündigung des Messias bei Jesaja bezieht (Jes 8,23-9,1). Er stellt fest, daß Jesus, nachdem man Johannes ins Gefängnis geworfen hatte, nach Kafarnaum in Galiläa ging. „Denn es sollte sich erfüllen, was durch den Propheten Jesaja gesagt worden ist: Das Land Sebulon und das Land Naftali, die Straße am Meer, das Gebiet jenseits des Jordan, das heidnische Galiläa: Das Volk, das im Dunkel saß, hat ein helles Licht gesehen; denen, die im Schattenreich des Todes wohnten, ist ein Licht erschienen“ (Mt 4,14-16). Der Heilige Matthäus hatte diese Methode der Erfüllung der Prophezeiung nicht erfunden. Jesus hat sie auf sich selbst angewandt. Es genügt, an die Szene in der Synagoge in Kafarnaum zu erinnern, wo Jesus, nachdem er einen Abschnitt aus dem Buch des Propheten Jesaja gelesen hatte, feierlich verkündete: „Heute hat sich das Schriftwort, das ihr eben gehört habt, erfüllt“ (Lk 4,21). Den beiden Jüngern legte der auferstandene Jesus auf dem Weg nach Emmaus aus, „ausgehend von Mose und allen Propheten, was in der gesamten Schrift über ihn geschrieben steht“ (Lk 24,27). Daher ist es nötig, die Heilige Schrift zu kennen, wenn man Jesus kennen will, wie der Heilige Hieronymus sagt: „Die Schrift nicht kennen heißt Christus nicht kennen“ (Aperuit illis 1). Es ist daher geboten, sich immer besser mit der Bibel vertraut zu machen. Man sollte möglichst jeden Tag einen Abschnitt der Heiligen Schrift lesen. Mittlerweile legen wir während des liturgischen Jahres mehr Wert auf die täglichen Schriftlesungen und insbesondere auf die Leseordnung der Sonntage. Nach der Reform des Zweiten Vatikanischen Konzils legt die Kirche jeden Sonntag vier Abschnitte der Bibel vor: normalerweise zwei aus dem Alten Testament - die erste Lesung und der Antwortpsalm - und zwei aus dem Neuen Testament - aus den apostolischen Briefen oder Schriften und den Evangelien. Sodann soll uns die Homilie helfen, das Wort Gottes und seine Bedeutung für unser persönliches, familiäres, kirchliches und soziales Leben besser zu verstehen.
Danken wir dem dreieinen Gott für das Geschenk der Bibel. Danken wir insbesondere für das Geschenk des Wortes Gottes, für Jesus Christus, auf den wir im Licht des Heiligen Geistes hören wollen. Der Geist führe uns auch zu einem guten Verständnis der Texte, die sich auf Maria beziehen, die Mutter Jesu und unsere Mutter. Ihr, der seligen Jungfrau Maria, vertrauen wir diese Überlegungen an, damit wir auf ihre Fürsprache die Gnade erhalten, das Wort Gottes in unserem Herzen zu erwägen und zu bewahren (vgl. Lk 2,19) und es in die Tat umzusetzen. Das wird die beste Antwort auf die Aufforderung Jesu sein: „Kehrt um! Denn das Himmelreich ist nahe“ (Mt 4,17). Amen.