Predigt von Nuntius Eterovic am 33. Sonntag im Jahreskreis

Apostolische Nuntiatur, 15. November 2020

(Spr 31,10-13.19-20.30-31; Ps 128; 1 Thess 5-16; Mt 25,14-30)

„Dem einen gab er fünf Talente“ (Mt 25,15).

Liebe Schwestern und Brüder!

An diesem vorletzten Sonntag im Jahreskreis werden wir durch die Liturgie ermuntert, uns auf das Kommen des Herrn am Ende der Zeiten, beim persönlichen Lebensende und zum Abschluss der Geschichte vorzubereiten. Dies geschieht auch symbolisch am Ende des liturgischen Jahres. Der Heilige Paulus fordert uns auf, wachsam zu bleiben, weil wir weder den Tag, noch die Stunde der Rückkehr Jesu Christi in Herrlichkeit kennen, wo er die Lebenden und die Toten richten wird (I). Die Zeit, die Gott uns zur Verfügung stellt, muss gut genutzt werden. Wir sollen aktiv und großherzig sein (II), und mit der Gnade des Heiligen Geistes sind wir gerufen, unsere von Gott erhaltenen Talente fruchtbar zu machen (III).

Diese Ermahnung ist am heutigen Sonntag, der als Welttag den Armen gewidmet ist, sehr aktuell. Hierzu schrieb Papst Franziskus eine Botschaft unter dem Wort: „Streck dem Armen deine Hand entgegen“ (vgl. Sir 7,32).

1. „Ihr alle seid Kinder des Lichts“ (1 Thess 5,5).

Der Heilige Paulus belehrt die Thessalonicher und uns alle über das Kommen des Herrn in Herrlichkeit am Ende der Zeiten, um „zu richten die Lebenden und die Toten“ wie es im Glaubensbekenntnis heißt. Der Katechismus der Katholischen Kirche führt näherhin aus: „Am Tag des Gerichtes, am Ende der Welt, wird Christus in Herrlichkeit kommen, um den endgültigen Sieg des Guten über das Böse herbeizuführen, die im Lauf der Geschichte nebeneinander wuchsen wie Weizen und Unkraut auf einem Acker“ (681). Nach dem Völkerapostel wird dieses Kommen plötzlich geschehen: „Der Tag des Herrn kommt wie ein Dieb in der Nacht“ (1 Thess 5,3). Die Christen sollen nicht der menschlichen Versuchung erliegen, sich in Frieden und Sicherheit zu wiegen, denn dem plötzlichen Kommen, das alles zu zerstören imstande ist, entgeht niemand. Andererseits sind die Jünger Jesu Christi aufgerufen, wachsam und nüchtern zu bleiben (vgl. 1 Thess 5,6), gleichsam Kinder des Lichts und des Tages zu sein, auch wenn sie inmitten der Finsternis leben.

Die vom Heiligen Geist inspirierten Worte des Paulus sind eine Ermutigung zur christlichen Hoffnung durch alle Zeiten. Sie sind aktuell auch für uns, selbst wenn wir den Eindruck haben, in einer Welt zu leben, in der die feindlichen Kräfte gegen Jesus Christus und sein Evangelium herrschen, in einer im biblischen Sprachgebrauch finsteren Welt. Derjenige, der auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes getauft worden ist, gehört zu den Kindern des Lichts, insofern Jesu Christus selbst „das Licht der Welt“ ist (Joh 8,12). Im Prolog des Johannesevangeliums wird das näher ausgeführt: „In ihm war Leben und das Leben war das Licht der Menschen. Und das Licht leuchtet in der Finsternis und die Finsternis hat es nicht überwältigt“ (Joh 1,4-5). Insofern der Christ mit Jesus Christus vereint bleibt, reflektiert er Sein Licht in die Welt, auch wenn es von Sünde, Lüge und der Ablehnung Gottes umhüllt wird.

2. „Eine tüchtige Frau, wer findet sie?“ (Spr 31,10)

Das Wort Gottes ruft die Gläubigen dazu auf, dort, wo sie leben und arbeiten, aktiv zu sein. Ein Beispiel haben wir in der ersten Lesung, die uns eine ideale Frau vorstellt. Ihre Schönheit ist nicht eine physische, denn diese ist flüchtig und rasch verblüht, sondern ist jene tiefe geistliche Schönheit, die sich in der Beziehung zu ihrem Mann, den Mitgliedern ihrer Familie, zu den Nächsten und den Hilfsbedürftigen ausdrückt. Der Schatz einer solchen Frau „übertrifft alle Perlen an Wert. Das Herz ihres Mannes vertraut auf sie und es fehlt ihm nicht an Gewinn. Sie tut ihm Gutes und nichts Böses alle Tage ihres Lebens“ (Spr 31,10-12). Das fleißige Tun einer solchen Frau überschreitet die Grenzen der eigenen Familie und drückt sich aus in der Unterstützung der Hilfsbedürftigen, insbesondere der Armen: „Gebt ihr vom Ertrag ihrer Hände, denn im Stadttor rühmen sie ihre Werke“ (Spr 31,31). Der inspirierte Autor des Buchs der Sprichwörter unterstreicht, dass diese positive Dynamik aus dem Glauben der idealen Frau strömt. Aus Liebe zu Gott liebt sie auch den Nächsten, der in Schwierigkeiten ist. „Eine Frau, die den HERRN fürchtet, sie allein soll man rühmen“ (Spr 31,30).

Die ausgestreckte Hand der weisen Frau erinnert uns an den Beginn der Botschaft des Heiligen Vaters Franziskus: „„Streck dem Armen deine Hand entgegen“ (vgl. Sir 7,32). Die altehrwürdige Weisheit hat diese Worte gleichsam als einen heiligen Verhaltenskodex für das Leben aufgestellt. Sie erklingen heute mit ihrer ganzen Bedeutungsschwere, um auch uns zu helfen, den Blick auf das Wesentliche zu konzentrieren und die Schranken der Gleichgültigkeit zu überwinden. Die Armut tritt immer in verschiedenen Formen auf, die für jede besondere Situation Aufmerksamkeit verlangen: In jeder von ihnen können wir dem Herrn Jesus begegnen, der offenbart hat, in seinen geringsten Brüdern anwesend zu sein (vgl. Mt 25,40)“.

3. „Dem einen gab er fünf Talente“ (Mt 25,15).

Auch das Gleichnis von den Talenten soll den Christen helfen, in der Welt aktiv zu sein, die Gaben, die ihnen Gott anvertraut hat, fruchtbar zu machen. Ein Talent in der antiken Welt stellte einen großen Reichtum dar. Nach den Exegeten hat ein Talent den Wert von sechstausend Denaren, was dem Lohn von ebenso vielen Tagen entspricht. Das haben die ersten beiden Knechte, die fünf oder zwei Talente empfangen haben, sogleich erkannt. Bei der Rückkehr ihres Herrn konnten sie ihm weitere fünf oder zwei Talente vorweisen. Der Herr lobte sie, denn die ihnen zur Verfügung gestellten Talente hatten sie vermehrt und durften teilnehmen am Freudenfest ihres Herrn (vgl. Mt 25,21.23).

Besondere Aufmerksamkeit verdient aber der Mann, der nur ein Talent empfangen hatte. Er machte es nicht fruchtbar und vermehrte es nicht, sondern ging hin, vergrub es in der Erde und gab es dem Herrn bei seiner Rückkehr zurück. Aus seinen Worten entnehmen wir, eine wie negative Vorstellung er von seinem Herrn hatte. Denn er sagte: „Herr, ich wusste, dass du ein strenger Mensch bist; du erntest, wo du nicht gesät hast, und sammelst, wo du nicht ausgestreut hast; weil ich Angst hatte, habe ich dein Geld in der Erde versteckt“ (Mt 25,24-25). Die Angst also, die er vor seinem Herrn hatte, war der Grund für sein passives Verhalten.

Das Gleichnis zeigt, Jesus spricht von Gott, seinem Vater, als dem Herrn, der jedem unterschiedliche Talente schenkt. Es ist nicht von Bedeutung, wie viele Talente ein jeder hat, sondern es kommt auf die Art und Weise an, wie er mit den empfangenen Talenten umgeht, das heißt, wie er sie fruchtbar macht und vermehrt oder eben nicht. Aus diesem Grund ging der Herr mit dem Knecht, der ein Talent bekommen hatte, hart ins Gericht: „Du hättest mein Geld auf die Bank bringen müssen, dann hätte ich es bei meiner Rückkehr mit Zinsen zurückerhalten“ (Mt 25,27). Leider tat er dies nicht, und daher wurde der Mann mit dem einen Talent bestraft. Ihm wurde nicht nur „das Freudenfest seines Herrn“ verwehrt, sondern dem unnützen Knecht wurde auch das eine Talent weggenommen, und der Herr befahl, werft ihn „hinaus in die äußerste Finsternis! Dort wird Heulen und Zähneknirschen sein“ (Mt 25,30).

Auffällig an dem, was der bestrafte Diener sagt, ist die Angst, die er vor seinem Herrn hatte. Symbolisch wird ausgedrückt, dass er Angst vor Gott hatte. Es handelt sich um die Angst, die starr werden lässt und unfähig, so dass er sein Talent vergraben hat. Er spürte kein Verlangen, es fruchtbar zu machen, die von Gott empfangene Gabe auf seine eigene Weise zu entwickeln. Der Christ braucht solche Angst vor Gott nicht zu haben, auch wenn er weiß, der allmächtige Gott sieht seine Grenzen, seine Verfehlungen und Sünden. Er weiß auch, Gott wird am Ende seines Lebens und der Geschichte Gericht halten über die Lebenden und die Toten. Unser Gott jedoch ist für uns kein strenger und gefühlskalter Herr. Schon im Alten Testament wird er als ein gütiger Gott dargestellt: „Der HERR ist barmherzig und gnädig, langmütig und reich an Huld“ (Ps 103,8). Seine übergroße Liebe hat er gezeigt, als er Seinen Eingeborenen Sohn Jesus Christus gesandt hat, der uns das seit jeher verborgene Geheimnis Gottes offenbart hat (vgl. Eph 3,9). Jesus hat uns insbesondere gelehrt, uns an Gott mit der Anrede des Vertrauens zu wenden: „Abba, Vater“ (Mk 14,36). Jesus Christus ermahnt den Apostel Petrus, seinem Nächsten zu vergeben, „nicht: Bis zu siebenmal, sondern bis zu siebzigmal siebenmal“ (Mt 18,21). Diese Bereitschaft zur Vergebung nimmt Maß an der übergroßen Bereitschaft Gottvaters, unsere Sünden stets zu vergeben, wenn wir ihn um Vergebung anrufen. Im Übrigen wenden wir uns im Gebet schlechthin, das uns der Herr gelehrt hat, mit der Bitte an den Vater: „Und erlass uns unsere Schulden, wie auch wir sie unseren Schuldnern erlassen haben“ (Mt 6,12). Der Heilige Vater Franziskus wiederholt oft, daß „Gott uns immer vergibt und nicht müde wird zu vergeben. Und wir dürfen nicht nachlassen, um Vergebung zu bitten“ (Generalaudienz 20. November 2013). Die Angst, die unsere Beziehung zu Gott lähmen könnte, muß durch unser kindliches Vertrauen zu Gott ersetzt werden, was uns sodann anspornt, aktive Missionare und seine eifrigen Zeugen zu sein.

Liebe Brüder und Schwestern, wenn wir über die vollkommene Frau nachdenken, kommt uns spontan der Gedanke an die selige Jungfrau Maria, „die Mutter der Armen“ (10). Sie, die „voll der Gnade ist“ (Lk 1,28), möge für uns eintreten, damit wir uns in dieser Welt stets als Kinder des Lichts verhalten, die, mit der Gnade des Heiligen Geistes gestärkt, die von Gott empfangenen Talente zu unserem Wohl, dem unserer Familie, der Kirche und der ganzen Welt fruchtbar machen und nicht vergessen, dem Armen unsere Hände entgegenzustrecken. Amen.

Zurück