Predigt von Nuntius Eterovic am 4. Ostersonntag

Apostolische Nuntiatur, 18. April 2021

(Apg 4,8-12; Ps 118; 1 Joh 3,1-2; Joh 10,11-18)

„Ich bin der gute Hirt“ (Joh 10,11.14).

Liebe Schwestern und Brüder,

das Bild Jesu vom Guten Hirten ist im Christentum sehr bekannt. Es wird schon von den ersten Christen aufgenommen, wie die Darstellungen in den römischen Katakomben bezeugen. Jesus trägt auf seinen Schultern ein Schaf, das heißt seinen Jünger, womit die innige Beziehung verdeutlicht wird, die er mit jedem Christen hat (I). Er liebt seine Schafe sehr, dass er sein eigenes Leben für sie hingibt (II). Von der Kraft des Heiligen Geistes ermutigt, bitten wir Jesus, den guten Hirten, um gute Hirten, Priester, die fähig sind, sein Heilswerk auch in unserer säkularisierten Welt fortzusetzen (III).

1. „Ich bin der gute Hirte“ (Joh 10,11.14).

Die Worte des Herrn Jesus sind einfach, jedoch tiefgründig. Er zeigt sich als der gute Hirt nicht nur auf einer theoretischen Ebene, sondern vielmehr praktisch. Jesus unterstreicht, dass es eine wechselseitige Beziehung zwischen ihm und den Gläubigen gibt, die vergleichbar ist mit jener zwischen ihm und seinem Vater: „Ich bin der gute Hirt; ich kenne die Meinen und die Meinen kennen mich, wie mich der Vater kennt und ich den Vater kenne“ (Joh 10,14-15). Daher führt die personale Beziehung mit Jesus den Gläubigen zur Gemeinschaft mit Gottvater und somit in das Leben der Allerheiligsten Dreifaltigkeit.

Der gute Hirte hat eine universale Vision. Er setzt nicht nur auf die Jünger und die Gläubigen, die ihm im Verlauf seines irdischen Lebens folgen. Seine Worte: „Ich habe noch andere Schafe, die nicht aus diesem Stall sind; auch sie muss ich führen und sie werden auf meine Stimme hören; dann wird es nur eine Herde geben und einen Hirten“ (Joh 10,16) haben einen tiefen ökumenischen Sinn. Der Herr will, dass die Christen eins sind. Leider ist dieser Wunsch sehr aktuell, der im Gebet Jesu formuliert ist (vgl. Joh 17,21-22), denn es gibt zahlreiche christliche Denominationen: im Ökumenischen Rat der Kirchen sind gut 350 davon vertreten! Der gute Hirt gibt sich nicht mit der Zahl der Christen in der heutigen Welt zufrieden, die nach den statistischen Daten rund 33 Prozent der Weltbevölkerung ausmacht. „Er will, dass alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen“ (1 Tim 2,4). Darum stacheln die Worte Jesu, des guten Hirten, die Christen zum dringenden Werk der Evangelisierung an.

2. „Der gute Hirt gibt sein Leben hin für die Schafe“ (Joh 10,11).

In dieser Osterzeit haben die Worte Jesu eine ganz besondere Bedeutung. Im Unterschied zu dem bezahlten Knecht, der seine Herde verlässt, wenn er den Wolf kommen sieht, der sie reißen und zerstreuen will (vgl. Joh 10,12), verteidigt der gute Hirt seine Herde auf Kosten seines eigenen Lebens. Mit Blick auf seinen Tod, hat der Herr Jesus betont, dass er sein Leben nicht nur für die Gläubigen hergibt, sondern auch die Macht hat, es erneut wiederzuerlangen: „Denn ich gebe mein Leben hin, um es wieder zu nehmen. Niemand entreißt es mir, sondern ich gebe es von mir aus hin. Ich habe Macht, es hinzugeben, und ich habe Macht, es wieder zu nehmen“ (Joh 10,17-18). Jesus weiß, dass diese Haltung der Hingabe seines Lebens für die Schafe seinem Vater gefällt. Und das ist das Motiv seiner Liebe (vgl. Joh 10,17): „Diesen Auftrag habe ich von meinem Vater empfangen“ (Joh 10,18). Der Wille des Vaters wird für Jesus zum Liebesgebot, denn er ist in die Welt gekommen, nicht um seinen Willen zu tun, sondern den des Vaters (vgl. Joh 6,28).

Die Worte des Herrn Jesus helfen uns, tiefer in das Ostergeheimnis seines Todes und seiner Auferstehung vorzudringen. Einerseits bestätigt die Schrift, dass Gott Jesus auferweckt hat (vgl. Apg 2,24.32), andererseits zeigt Jesus Christus seine aktive Teilnahme nicht allein im Tod, sondern auch in der Auferstehung, denn er sagt, er habe die Macht, das Leben hinzugeben und es wieder zu nehmen. Daher sind im wunderbaren Werk der Auferstehung alle drei Personen der Allerheiligsten Dreifaltigkeit beteiligt und handeln einmütig, um den Tod zu besiegen und dem Herrn Jesus und allen seinen Jüngern das Leben zu versichern.

3. „Bittet also den Herrn der Ernte, Arbeiter für seine Ernte auszusenden!“ (Mt 9,37).

Der vierte Ostersonntag ist traditionell dem Gebet um geistliche Berufungen geweiht. Auch in diesem Jahr hat der Heilige Vater Franziskus aus diesem Anlass eine Botschaft zum 58. Welttag geschrieben. Da wir uns im Jahr des Heiligen Josef befinden, das nach dem Willen des Papstes am 08. Dezember 2020 begonnen hat, überschreibt Papst Franziskus seine Botschaft mit: Der Heilige Josef – der Traum der Berufung. Nach dem Heiligen Vater gibt uns der Heilige Josef drei Schlüsselworte zur Berufung eines jeden von uns und in besonderer Weise für die Berufung zum Priestertum und zum Ordensleben.

Das erste Wort ist der Traum. Alle Menschen hegen große Erwartungen und träumen, sie zu verwirklichen, doch dabei handelt es sich nicht um die vergänglichen Dinge wie Erfolg, Geld und Vergnügen, sondern vielmehr darum, die Liebe zu erlangen, die dem Leben seinen Sinn gibt. Indem er die vier Träume des Heiligen Josef analysiert, die in der Bibel beschrieben sind, unterstreicht der Bischof von Rom und Hirte der Universalkirche: „Gott liebt es nicht, sich auf spektakuläre Weise zu offenbaren und so unserer Freiheit Gewalt anzutun. Behutsam übermittelt er uns seine Pläne; er blendet uns nicht mit strahlenden Visionen, sondern wendet sich feinfühlig an unser Inneres, er macht sich uns vertraut und spricht zu uns durch unsere Gedanken und Gefühle. Und so, wie er es beim heiligen Josef tat, bietet er uns hohe und überraschende Ziele an“. Indem er die Erfahrung des Heiligen Josef auf die vom Herrn berufenen Personen anwendet, führt der Papst aus: „Möge er allen helfen, besonders den jungen Menschen bei ihren Entscheidungen, die Träume, die Gott für sie hat, zu verwirklichen; möge er den mutigen Unternehmungsgeist erwecken, „Ja“ zum Herrn zu sagen, der immer überrascht und nie enttäuscht!“

Das zweite Wort ist der Dienst. Aus den Evangelien erschließt sich, dass der Heilige Josef „ganz für andere und nie für sich selbst lebte. Das heilige Volk Gottes nennt ihn keuschester Bräutigam und offenbart damit seine Fähigkeit zu lieben, ohne etwas für sich zu behalten“. Diese Haltung des Dienens zeigte sich in besonderer Weise als Beschützer der Heiligen Familie: „Der Dienst, konkreter Ausdruck der Selbsthingabe, war für den heiligen Josef nicht nur ein erhabenes Ideal, sondern gehörte zum täglichen Leben“. Gott hatte ihn zum Beschützer Jesu gewählt: „Man könnte sagen, dass er die ausgestreckte Hand des himmlischen Vaters für seinen Sohn auf Erden war. Er kann also nur ein Vorbild für alle Berufungen sein, die eben dazu gerufen sind, die eifrigen Hände des Vaters für seine Söhne und Töchter zu sein“. Hierzu führt Papst Franziskus aus: „Gerne denke ich also an den heiligen Josef, den Beschützer Jesu und der Kirche, als den Hüter der Berufungen“.

Das dritte Schlüsselwort ist die Treue. „Josef ist »gerecht« (Mt 1,19), in der arbeitsamen Stille eines jeden Tages hält er sich beharrlich an Gott und seine Pläne“. Er handelt nicht überhastet und „lässt sich nicht von der Eile beherrschen; er gibt nicht der Versuchung nach, vorschnelle Entscheidungen zu treffen; er handelt nicht impulsiv und lebt nicht nach dem Augenblick. Alles verrichtet er in Geduld. Er weiß, dass man die Existenz nur auf einem steten Festhalten an großen Entscheidungen aufbaut“. Bei dieser Art zu handeln, ist der Heilige Josef jedem Vater, jedem Handwerker und Arbeiter, jedem Christen ähnlich, „denn wie das Leben reift auch die Berufung nur in der Treue eines jeden Tages“. Diese Treue nährt sich vom Licht der Treue Gottes: „Die ersten Worte, die der heilige Josef im Traum vernahm, bestanden in der Aufforderung, sich nicht zu fürchten, denn Gott ist seinen Verheißungen treu: »Josef, Sohn Davids, fürchte dich nicht« (Mt 1,20)“. Diese Ermutigung gilt nach dem Heiligen Vater auch uns: „Fürchte dich nicht: Diese Worte richtet der Herr auch an dich, liebe Schwester, und an dich, lieber Bruder, wenn du trotz deiner Unsicherheiten und deines Zögerns spürst, dass du den Wunsch, ihm dein Leben zu schenken, nicht mehr aufschieben kannst“. Die Treue ist das Geheimnis der Freude.

Vertrauen wir unser Gebet um geistliche Berufungen der Fürsprache aller unserer heiligen Schutzpatrone an, vor allem der seligsten Jungfrau und Gottesmutter Maria, der Königin der Apostel, wie auch des Heiligen Josef, dem wir die zum Priestertum und Ordensleben Berufenen mit den Worten des obersten Hirten der Kirche anvertrauen: „Der heilige Josef, der Hüter der Berufungen, begleite euch mit väterlichem Herzen!“ Amen.

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