Predigt von Nuntius Eterovic am 4. Sonntag der Osterzeit

Apostolische Nuntiatur, 3. Mai 2020

(Apg 2,14.36-41; Ps 23; 1 Petr 2,20-25; Joh 10,1-10)

„Ich bin die Tür zu den Schafen“ (Joh 10,7).

Liebe Schwestern und Brüder!

Der vierte Ostersonntag wird traditionell Gute-Hirte-Sonntag genannt. Jesus Christus präsentiert sich als der Hirte der Schafe: die Schafe hören seine Stimme, sie kennen ihn und folgen ihm auf die Grasweiden oder am Abend in den Stall. In diesem Kontext des Guten Hirten beschreibt der heutige Abschnitt des Johannesevangeliums den Herrn als Tür zu den Schafen (I). Nachdem wir kurz über die Bedeutung dieses Ausdrucks nachgedacht haben, verweilen wir kurz bei der Botschaft des Heiligen Vaters Franziskus zum Weltgebetstag um geistliche Berufungen (II).

1. „Ich bin die Tür zu den Schafen“ (Joh 10,7).

Die Jünger haben die Bedeutung der Worte Jesu über den Unterschied zwischen dem Hirten, der durch die Tür in den Schafstall eintritt und den Räubern und Dieben, die mit üblen Absichten anderswo eindringen, nicht gut verstanden. Auf diese Weise wollte er den Sinn seiner Aussage erklären: „Amen, amen, ich sage euch: Ich bin die Tür zu den Schafen“ (Joh 10,7). Dies präzisiert er noch: „Wer durch mich hineingeht, wird gerettet werden; er wird ein- und ausgehen und Weide finden“ (Joh 10,9). Am Ende des Abschnitts versichert er: „Ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und es in Fülle haben“ (Joh 10,10). Auch wir sollten erkennen, dass uns die Idee von Jesus als dem Guten Hirten viel näher ist als die von Jesus als Tür zu den Schafen. Wir betrachten daher dieses zweite Bild, das letztlich bedeutet, dass Jesus Christus der Mittler zwischen Gott und den Menschen ist, „der Mittler eines neuen Bundes“ (Hebr 9,15). Um den Inhalt der Aussage zu verstehen, Jesu sei die Tür des Schafsstalls, helfen uns die zwei Lesungen, die verkündet worden sind. In der ersten wird die Reaktionen der jüdischen Zuhörer auf die Predigt des Heilligen Petrus beschrieben. Die Verkündigung des Apostels hat ihre Herzen berührt, und sie fragen, was sie tun müssen, um Jünger Jesu Christi zu werden. Der Heilige Petrus antwortet: „Kehrt um und jeder von euch lasse sich auf den Namen Jesu Christi taufen zur Vergebung eurer Sünden; dann werdet ihr die Gabe des Heiligen Geistes empfangen“ (Apg 2,38). Die Taufe ist somit die Weise, die Tür zu den Schafen zu durchschreiten, um in den mystischen Leib Jesu Christi einzutreten. Der Getaufte muss jedoch konsequent bei den Versprechen bleiben, die er beim Empfang des Sakramentes abgelegt hat. Hier liegt die Notwendigkeit von Umkehr und der Sündenvergebung, die der Christ durch die Gnade des Heiligen Geistes bei der Taufe und fortan im Sakrament der Versöhnung empfängt. Diese Wirklichkeit war für die ersten Christen wesentlich, und sie bleibt auch für uns alle lebenswichtig: die Taufversprechen zu leben. In der zweiten Lesung aus dem Ersten Petrusbrief lädt uns der Apostel ein, dem Beispiel Jesu Christi zu folgen, mit Ihm gehen, um das ewige Leben zu erlangen. „Als er geschmäht wurde, schmähte er nicht; als er litt, drohte er nicht, sondern überließ seine Sache dem gerechten Richter“ (1 Petr 2,23). Mit Liebe das Kreuz tragen und Jesus folgen, das Gute zu tun und mit Geduld das Leid zu ertragen, das bedeutet, eins zu sein mit Jesus Christus, die Tür zu den Schafen zu durchschreiten, um das Leben in Fülle zu erreichen. Diese Lehre bleibt immer gültig, vor allem in dieser Zeit des Kampfes gegen die Corona-Pandemie. Sie bietet Hoffnung auch den Kranken, die sich am Ende ihres irdischen Lebens befinden, das gemäß unserem christlichen Glauben, ein Übergang zum ewigen Leben in Einheit mit dem Herrn Jesus Christus ist, das Tor des Himmelreichs.

Die Kirche hat diese Mission Jesu Christi, Tür oder Mittler zu sein, stets präsent gehalten. Jedes ihrer Gebete richtet sie an Gottvater „durch Jesus Christus, Deinen Sohn und unseren Herrn“, und mit der Anrufung des Heiligen Geistes. Die Kirche weiß, dass der Christ allein im Zugang durch Jesus die Grasweiden finden kann und gerettet sein wird. Darüber hinaus wird er, vereint mit dem Herrn Jesus, alles gut machen und in der Lage sein, den Schafstall ohne Angst durch die Tür zu betreten und zu verlassen. In den Schafstall eintreten bedeutet, zu beten und eine tiefe, persönliche Beziehung zu Gott zu haben. Übrigens hat Jesus gesagt: „Niemand kommt zum Vater außer durch mich“ (Joh 14,6). Doch auch unsere Tätigkeit in der Welt und außerhalb des Schafstalls wird allein dann fruchtbar sein, wenn sie in Einheit mit dem Herrn geschieht. Hierzu schreibt der Heilige Paulus: „Alles, was ihr in Wort oder Werk tut, geschehe im Namen Jesu, des Herrn“ (Kol 3,17). All unsere Beziehungen in Familie, Gemeinschaft und Gesellschaft sollen im Schreiten durch die Tür zu den Schafen geschehen, durch die Tür, welche die Person des gestorbenen und auferstandenen Jesus Christus ist. Hierin liegen die Fruchtbarkeit und das Glück des christlichen Lebens.

2. Der Weltgebetstag um geistliche Berufungen

Im Zusammenhang mit Jesus Christus, dem Guten Hirten und der Tür zu den Schafen, betet die Kirche alljährlich in besonderer Weise um den göttlichen Ruf zum Priestertum und zum geweihten Leben. Aus Anlass des 57. Weltgebetstages um geistliche Berufungen hat der Heilige Vater Franziskus eine Botschaft geschrieben, in der er vier Schlüsselbegriffe aufgreift: Leid-Mühe, Dankbarkeit, Lebensmut und Lobpreis und sich so an das ganze Volk Gottes wendet. Das erste Berufungswort ist Dankbarkeit. Jede Berufung wird aus dem liebevollen Blick des Herrn Jesus geboren. „Sie ist »nicht so sehr unsere Entscheidung als vielmehr eine Antwort auf einen ungeschuldeten Ruf des Herrn« (Brief an die Priester, 4. August 2019). Daher werden wir seinen Ruf entdecken und annehmen können, wenn sich unser Herz der Dankbarkeit öffnet und den Augenblick zu ergreifen vermag, da Gott in unserem Leben vorbeigeht“. Ein Wort, das stets unser Leben und unseren Berufungsweg begleiten muss, ist: „Habt Vertrauen, ich bin es; fürchtet euch nicht!“ (Mt 14,27). Papst Franziskus schreibt: „Das eben ist das zweite Wort, das ich euch mitgeben will: Mut“. In seiner Botschaft erinnert der Heilige Vater an die Mühe. Jede Berufung bringt eine Verpflichtung mit sich und so auch die Mühe. Wir ähneln oft dem Apostel Petrus, der über das Wasser geht: „Wir haben den Wunsch und den Schwung, sind aber zugleich von Schwächen und Ängsten geprägt“. Wir dürfen uns nicht von dem Gedanken an die vor uns liegenden Verantwortlichkeiten oder an die Widrigkeiten überwältigen lassen, die sich bei der Ausübung unserer Berufung ergeben werden. „Doch selbst in unserer Schwachheit und Armut erlaubt uns der Glaube, dem auferstandenen Herrn entgegenzugehen und sogar Stürme zu überwinden. Er reicht uns nämlich die Hand, wenn wir aus Müdigkeit oder Angst unterzugehen drohen, und verleiht uns den nötigen Schwung, um unsere Berufung voll Freude und Begeisterung zu leben“. Die Überzeugung, dass der auferstandene Jesus an unserer Seite ist, denn er „streckt uns die Hand entgegen und packt uns, um uns zu retten“, erfüllt uns mit Vertrauen und Mut und vertreibt jede Angst. „Und dann öffnet sich unser Leben selbst inmitten der Wellen dem Lobpreis. Das ist das letzte Wort der Berufung und möchte zudem eine Einladung sein, die innere Haltung der seligen Jungfrau Maria einzunehmen: Dankbar für den Blick, mit dem Gott auf sie geschaut hat, hat sie ihm im Glauben alle Angst und Unruhe übergeben und mutig den Ruf angenommen – so machte sie ihr Leben zu einem ewigen Lobgesang des Herrn“.

Liebe Brüder und Schwestern, der mächtigen Fürsprache der Gottesmutter, der Königin des Himmels, vertrauen wir unsere Gebete um Berufungen zum Priestertum und zum geweihten Leben an. Sie, die voll der Gnade ist (vgl. Lk 1,28), helfe uns, unsere Einheit mit Jesus Christus, ihrem Sohn und Gott, zu stärken, der uns allen auch heute sagt: „Ich bin die Tür zu den Schafen“ (Joh 10,7). Amen.

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