Predigt von Nuntius Eterovic am 4. Sonntag im Jahreskreis

Berlin, 3. Februar 2019

(Jer 1,4-5.17-19; Ps 71; 1 Kor 12,31-13,13; Lk 4,11-30)

„Heute hat sich das Schriftwort, das ihr eben gehört habt, erfüllt“ (Lk 4,21).

Liebe Brüder und Schwestern!

Das in der Synagoge von Nazareth verkündete Wort Jesu verbindet das heutige Evangelium mit dem vom letzten Sonntag. Die Begegnung des Herrn Jesus mit den Bewohnern seines Heimatortes war sehr wichtig und verdient unsere besondere Aufmerksamkeit. Letzten Sonntag haben wir die Prophezeiung des Jesaja bedacht: „Der Geist des Herrn ruht auf mir; denn er hat mich gesalbt. Er hat mich gesandt, damit ich den Armen eine frohe Botschaft bringe; damit ich den Gefangenen die Entlassung verkünde und den Blinden das Augenlicht; damit ich die Zerschlagenen in Freiheit setze und ein Gnadenjahr des Herrn ausrufe“ (Lk 4,18-19). In der Person und Sendung Jesu Christi ist das Wirklichkeit geworden: „Heute hat sich das Schriftwort, das ihr eben gehört habt, erfüllt“ (Lk 4,21). Angesichts dieses außergewöhnlichen Ereignisses verweilen wir bei zwei Punkten: die Reaktion der Leute (I) und die Haltung Jesu (II). Beides betrifft uns, denn es erfordert unsere Antwort auf das Geheimnis Gottes, das sich in der Person Jesu Christi offenbart (III).

1. Die Haltung der Bewohner von Nazareth

Die Einwohner von Nazareth versammelten sich wie alle Juden jeden Sabbat in der Synagoge zum Gebet. Daher kannten sie den Inhalt der Schrift und seine Bedeutung. Denn sie waren regelmäßig dabei, wenn aus der Bibel vorgelesen wurde und anschließend bei der Auslesung, welche die Aktualität des Gotteswortes für das Leben des einzelnen und der Gemeinschaft darzulegen suchte. Die Gegenwart Jesu und seine Lehre waren etwas Außergewöhnliches. Das kann man den Worten des Evangelisten Lukas entnehmen: „Alle stimmten ihm zu; sie staunten über die Worte der Gnade, die aus seinem Mund hervorgingen“ (Lk 4,22). An anderer Stelle in der Schrift wird von einer ähnlichen Reaktion berichtet. Das Volk war von der Kraft der Worte Jesu beeindruckt, denn sie drangen tief in das Wort Gottes ein, wie auch von den Zeichen, die er tat, so daß sie erschrocken ausriefen: „Was ist das? Eine neue Lehre mit Vollmacht: Sogar die unreinen Geister gehorchen seinem Befehl“ (Mk 1,27). Eine ähnliche Haltung nahmen die in der Synagoge von Nazareth versammelten Gläubigen ein. Das Staunen allerdings wandelte sich rasch in Skepsis. Anstatt ihre Herzen den Gnadenworten Jesu zu öffnen, stellten sie fest: „Ist das nicht Josefs Sohn?“ (Lk 4,22). Hinter der Frage steckt der Zweifel der Anwesenden, wie denn einer von ihnen, den sie wie auch seine Familie gut kannten, solche Ansprüche haben kann? Wo hat er studiert, war er doch 30 Jahre in Nazareth geblieben? In der kurzen Erzählung des Evangeliums wird der Übergang vom Zweifel zum blanken Hass beschrieben, der seinen Ausdruck im Willen fand, daß sie ihn „an den Abhang des Berges, auf dem ihre Stadt erbaut war, brachten und ihn hinabstürzen wollten“ (Lk 4,29). Auch der Heilige Johannes überliefert eine ähnlich Reaktion der Juden auf die Aussage Jesu, er sei das Brot, das vom Himmel herabgekommen ist: „Ist das nicht Jesus, der Sohn Josefs, dessen Vater und Mutter wir kennen? Wie kann er jetzt sagen: Ich bin vom Himmel herabgekommen?“ (Joh 6,42). Auch bei dieser Gelegenheit fordert Jesus die Zuhörer auf, nicht zu murren, sondern sich der Gnade Gottes und der Gabe des Lebensbrotes, das Gott ihnen schenkt, zu öffnen.

2. Die Haltung Jesu

Die Sprache Jesu ist klar und konkret. Er gebraucht zwei bekannte Sprichworte: „Arzt, heile dich selbst“ und: „Kein Prophet wird in seiner Heimat anerkannt“ (Lk 4,23-24), die er mit wirksamen Beispielen erläutert. Bei zwei wichtigen Themen gerät er in Konflikt mit den Zuhörern: bei der Bedeutung der Wunder und die Natur der Erlösung. Mit scharfem Blick bringt er die wirren Gedanken seiner Mitbewohner zur Sprache. Er durchschaute auch, daß sie spektakuläre Wunder von ihm erwarteten. Das kann man aus seinen Worten ableiten: „Sicher werdet ihr mir das Sprichwort vorhalten: Arzt, heile dich selbst! Wenn du in Kafarnaum so große Dinge getan hast, wie wir gehört haben, dann tu sie auch hier in deiner Heimat“ (Lk 4,23). Jesus weist diese Erwartung zurück. Er wirkt Wunder an den Menschen, die ihn mit Glauben darum bitten. Diese Haltung war bei den in der Synagoge von Nazareth Anwesenden nicht gegeben. Ohne Glauben aber würde aus den Wundern rasch ein Spektakel werden, was der Haltung Jesu völlig widersprach. Er brachte noch einen anderen Punkt des Gegensatzes zur Sprache, nämlich den über die Natur der Erlösung. Im Unterschied zur vorherrschenden Meinung, auch unter den Bewohner von Nazareth, ist die Erlösung, die er verkündet, universal und nicht auf die Angehörigen des erwählten Volkes beschränkt. Jesus zeigte das den Zuhörern an zwei bekannten Beispielen. Auch wenn es seinerzeit in Israel viele Witwen gab, hat der Prophet Elia nur einer Witwe in Sarepta bei Sidon und ihrem Sohn geholfen, die Zeit der Dürre zu überleben. Ebenso hat damals der Prophet Elischa lediglich den Syrer Naaman geheilt, während „es viele Aussätzige in Israel gab“ (Lk 4,27). Angesichts des universalen Horizonts der Erlösung wurden die Mitbürger Jesu noch feindseliger seiner Lehre gegenüber.

3. Die Worte Jesu fordern uns heraus.

Mit Blick auf den tiefen Inhalt des biblischen Abschnitts möchte ich folgende Punkte zeigen, die auch für unser christliches Leben wichtig sind:

- Jesus hatte keine Angst, klar und deutlich zu sprechen. So ermuntert
er seine Jünger, es ihm bei ihrer Mission gleich zu tun und die Wahrheit, die Gott den Menschen offenbaren will, mutig und klar zu verkünden. Der Prophet muss seine Mission erfüllen, auch wenn er auf Widerstand trifft oder verfolgt wird. Schon im Alten Testament fordert JHWH von Jeremia, „gegen die Könige, Beamten und Priester von Juda und gegen die Bürger des Landes“ zu sprechen. „Mögen sie dich bekämpfen, sie werden dich nicht bezwingen; denn ich bin mit dir, um dich zu retten“ (Jer 1,18-19).

- Wer sich dem Wort Gottes in seinem ursprünglichen Sinn öffnet und
vermeidet, es zu domestizieren oder um seine durchdringende Kraft zu bringen, erfährt die verwandelnde Kraft an sich, an den Menschen und der ganzen Gesellschaft. Das Hohelied der Liebe des Heiligen Paulus möge uns erleuchten, besonders die Überzeugung: „Hätte ich aber die Liebe nicht, wäre ich nichts“ (1 Kor 13,2). Die Liebe Gottes des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes soll die Christen in ihrem Handeln durchdringen, um ein authentisches christliches Beispiel zu geben.

- Von der Liebe beseelt, öffnen sich die Christen dem Nächsten und
freuen sich, denn das Wort der Erlösung erfolgreich auf der ganzen Welt verkündet wird. Deswegen müssen wir gegen vorgefasste Meinungen, Egoismus, Neid und Eifersucht kämpfen. Gott liebt alle Menschen und will das Heil aller (vgl. 1 Tim 2,4). Er allein kennt die Wege, die zu diesem Heil führen. Seien wir mit der Gnade des Heiligen Geistes stark, damit wir kein Hindernis sind, sondern vor allem durch unser Leben diesen Weg Gottes jedem unserer Nächsten, der nur scheinbar fern von uns ist, zu bereiten.

Liebe Brüder und Schwestern, vertrauen wir die Erfüllung dieser guten Vorsätze der Fürsprache der seligen Jungfrau Maria an, die bei der Hochzeit zu Kana die Stunde Jesu zugunsten der Brautleute und deren Familien und Freunden vorwegnahm. Sie möge uns helfen, Jesus freudig anzunehmen, der uns allen erneut sagt: „Heute hat sich das Schriftwort, das ihr eben gehört habt, erfüllt“ (Lk 4,21). Amen.

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