Predigt von Nuntius Eterović am 5. Fastensonntag, Kemnath
(Jer 31,31-34; Ps 51; Hebr 5,7-9; Joh 12,20-33)
Kemnath, Maria Himmelfahrt, 18. März 2018
„Und ich, wenn ich über die Erde erhöht bin, werde alle zu mir ziehen“ (Joh 12,32).
Exzellenz!
Liebe Brüder und Schwestern!
Das Wort Gottes an diesem 5. Fastensonntag bereitet uns auf die bevorstehende Passion unseres Herrn Jesus Christus vor. Mit dem nächsten Sonntag, dem Palmsonntag, werden wir in die Karwoche eintreten und die Passion, den Tod und die Auferstehung des Herrn Jesus, des Erlösers von Mensch und Welt, begehen. Das haben wir gestern Abend schon in der Aufführung der Kemnather Passion vorweggenommen (I). Die Bibelstellen, die wir gehört haben, beleuchten noch einmal diese zentralen Ereignisse des christlichen Lebens. In unserer kurzen Meditation möchte ich vor allem beim Evangelium verweilen (II) und über dessen Bedeutung für uns auch im Licht der beiden anderen biblischen Lesungen nachdenken (III).
1. Die Kemnather Passion.
Das Wort Gottes, das wir gehört haben, hat eine besondere Bedeutung, nachdem wir gestern Abend die Kemnather Passion 2018 erlebt haben. Es war eine sehr eindrückliche Vorstellung der letzten Ereignisse im irdischen Leben Jesu. Etwa 250 Personen haben an diesem Glaubenserlebnis aktiv teilgenommen, das zugleich auch eine Quelle der menschlichen und christlichen Kultur ist. Ich danke der göttlichen Vorsehung, daß ich an der Kemnather Passion habe teilnehmen können, gemeinsam mit zwei meiner Mitarbeiter in der Apostolischen Nuntiatur von Berlin. Ich danke dem Hochwürdigen Herrn Stadtpfarrer Konrad Amschl und ganz besonders dem Herrn Ersten Bürgermeister der Stadt Kemnath, Herrn Werner Nickl für die freundliche Einladung, der ich gerne gefolgt bin. Es freut mich außerdem, daß in der Person Seiner Exzellenz, des Herrn Erzbischofs von Accra in Ghana, Mons. Dr. Charles Palmer-Buckle, die Weltkirche in Ihrer verehrten Stadt und in dieser Stadtpfarrkirche anwesend ist. Es ist mir eine Freude, Euch hier, aber auch allen Gläubigen und Einwohnern der Stadt die herzlichen Grüße des Heiligen Vaters Franziskus zu übermitteln, den ich die Ehre habe, in der Bundesrepublik Deutschland zu vertreten. Papst Franziskus, der aus Argentinien in Lateinamerika kommt, ist sehr sensibel für die Volksfrömmigkeit, die er schätzt und fördert, denn er ist sich bewußt, sie bietet dem Volk Möglichkeiten, seine Beziehungen mit dem dreieinen Gott, mit der Gottesmutter und den Heiligen zu pflegen. Natürlich muss die Volksfrömmigkeit stets von möglichen Elementen gereinigt werden, die ihre eigentliche Natur verdunkeln könnten. Aber sie bleibt unverzichtbar, wie wir gestern im Verlauf der Kemnather Passion sehen konnten. Ich danke Euch für diesen althergebrachten Ausdruck Eures Glaubens, deren Wurzeln im 17. Jahrhundert zu finden sind. Diese lobenswerte Praxis der Kemnather Passion wurde nach 200 Jahren im Jahr 1983 wieder aufgenommen und findet seither alle fünf Jahre statt. Ich danke Euch auch im Namen des Heiligen Vaters dafür. In geistlicher Gemeinschaft mit Papst Franziskus, dem Bischof von Rom und Hirten der Universalkirche erteile ich Euch gerne am Ende der Heiligen Messe den Apostolischen Segen.
2. „Herr, wir möchten Jesus sehen“ (Joh 12,21).
Mit diesen Worten haben sich einige Griechen an den Apostel Philippus gewandt, weil sie Jesus persönlich begegnen wollten. Er befand sich in Jerusalem und war von vielen Menschen umringt. Es handelte sich womöglich um Griechen, das heißt Heiden, die am Judentum festhielten. Sie wandten sich an Philippus, der einen griechischen Namen trug, denn er war in Betsaida im Galiläa der Heiden geboren, einer Region, wo die Bevölkerung gemischt war und viele nicht zum erwählten Volk gehörten. Philippus übermittelte die Frage der Griechen an den Apostel Andreas, denn auch er hatte einen griechischen Namen und kam ebenfalls aus Betsaida in Galiläa. Beide wandten sich an Jesus. Und der Herr Jesus reagierte unerwartet. Er hatte erfasst, daß der Moment seiner Passion näher rückte, und er sprach offen darüber. Das Verlangen der Heiden: wir möchten Jesus sehen, gab ihm die Gelegenheit, seinen bevorstehenden Tod anzukündigen, der zugleich seine Verherrlichung sein werde: „Die Stunde ist gekommen, dass der Menschensohn verherrlicht wird“ (Joh 12,23). Die Worte Jesu zeigen klar, daß seine Verherrlichung den Tod voraussetzt, da er das Bild vom Samenkorn verwendet: „Amen, amen, ich sage euch: Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein; wenn es aber stirbt, bringt es reiche Frucht“ (Joh 12,24). Angesichts dieser Perspektive bleibt Jesus als Mensch nicht ungerührt. Er empfindet Angst und Leid und bekennt sich dazu: „Jetzt ist meine Seele erschüttert“ (Joh 12,27). Auch der Evangelist Lukas beschreibt die Not Jesu in Getsemani am Ölberg (vgl. Lk 22,43-44). Der Verfasser des Hebräerbriefes schreibt, wie wir gehört haben: „Er hat in den Tagen seines irdischen Lebens mit lautem Schreien und unter Tränen Gebete und Bitten vor den gebracht, der ihn aus dem Tod retten konnte, und er ist erhört worden aufgrund seiner Gottesfurcht“ (Hebr 5,7). Jesus besiegt die Angst und die Versuchung, den Vater zu bitten, ihn von der Passion zu verschonen. Nachdem er zugegeben hatte, Angst zu haben, bat er nicht darum, der Vater möge ihn vor dem Tod am Kreuz bewahren (vgl. Joh 12,27). Er weiß vielmehr, daß jetzt die Stunde kommt und schon da ist und daß er eigentlich dieser Stunde wegen in die Welt gekommen ist. Voll Vertrauen überlässt er sich dem Willen Gottvaters und betet: „Vater, verherrliche deinen Namen!“ (Joh 12,28). Der Tod am Kreuz Jesu wird den Namen von Gottvater verherrlichen. Jesus wollte immer den Willen des Vaters erfüllen, den Willen dessen, der ihn in die Welt gesandt hat (vgl. Joh 6,38). So hatte er auch seine Jünger zu beten gelehrt: „Vater, geheiligt werde dein Name“ (Lk 11,2). In diesem dramatischen Augenblick hörten alle, die dabei waren, die Stimme vom Himmel, die sprach: „Ich habe ihn schon verherrlicht und werde ihn wieder verherrlichen“ (Joh 12,28). Wie bei der Taufe Jesu und seiner Verklärung, spricht Gottvater auch jetzt zugunsten Jesu, Seines Sohnes, und erklärt so die Richtigkeit seines Verhaltens. Angesichts der Konfusion der Erklärungen des Sinns und der Herkunft jener Stimme, gibt Jesus die wahre Interpretation: „Nicht mir galt diese Stimme, sondern euch. Jetzt wird Gericht gehalten über diese Welt; jetzt wird der Herrscher dieser Welt hinausgeworfen werden“ (Joh 12,30-31). Und er beschließt sodann: „„Und ich, wenn ich über die Erde erhöht bin, werde alle zu mir ziehen“ (Joh 12,32). Das also ist die Antwort an die Griechen, die Jesus sehen wollten. Er wird am Kreuz erhöht sein und alle können ihn sehen. Mehr noch, der Gekreuzigte wird alle an sich ziehen. In Jesus Christus erfüllt sich die Verheißung eines neuen Bundes, wie er vom Propheten Jeremia angekündigt worden war. Dieser wird sich durch seine Innerlichkeit vom alten Bund unterscheiden und durch das starke Band, das den ganzen Menschen meint und für alle offen ist: „Ich habe meine Weisung in ihre Mitte gegeben und werde sie auf ihr Herz schreiben. Ich werde ihnen Gott sein und sie werden mir Volk sein“ (Jer 31,33). Die Universalität des neuen Bundes wird auch im Hebräerbrief aufgezeigt: „Obwohl er der Sohn war, hat er durch das, was er gelitten hat, den Gehorsam gelernt; zur Vollendung gelangt, ist er für alle, die ihm gehorchen, der Urheber des ewigen Heils geworden“ (Hebr 5,8-9).
3. „Wenn einer mir dienen will, folge er mir nach“ (Joh 12,26).
Auch wir, liebe Brüder und Schwestern, wollen oft Jesus sehen; wollen ihm persönlich begegnen in der Absicht, er möge uns in den Schwierigkeiten helfen, mögliche Zweifel zerstreuen und unseren Glauben stärken. Das eben gehörte Gotteswort belehrt uns, daß wir ihn nur als den Gekreuzigten sehen können. Das Kreuz ist sein Thron, der Beginn seiner Verherrlichung. Es gibt Jesus nicht ohne Kreuz. Das hat er selbst bestätigt, als er sagte: „Was soll ich sagen: Vater, rette mich aus dieser Stunde? Aber deshalb bin ich in diese Stunde gekommen. Vater, verherrliche deinen Namen!“ (Joh 12,27-28). Jesus mahnt auch uns, daß wir, seine Jünger, auch das Kreuz annehmen und auf diese Weise folgen müssen (vgl. Lk 9,23). Im heutigen Evangelium sagt Er klar und deutlich: „Wer sein Leben liebt, verliert es; wer aber sein Leben in dieser Welt gering achtet, wird es bewahren bis ins ewige Leben“ (Joh 12,25). Seine Worte werden noch eindrücklicher: „Wenn einer mir dienen will, folge er mir nach; und wo ich bin, dort wird auch mein Diener sein“ (Joh 12,26). Wie Gottvater Seinen eingeborenen Sohn verherrlicht hat, so wird er jeden wahren Diener Jesu ehren (vgl. Joh 12,26).
Liebe Brüder und Schwestern, während der Kemnather Passion hatten wir die Gelegenheit, Jesus geistlich auf seinem Kreuzweg zu folgen. Wir haben seine Zerbrechlichkeit gesehen und wie er alles verliert, auch seine engsten Freunde, seine Jünger. Einige Frauen mit Maria, der Mutter Jesu, und der Apostel Johannes bilden eine Ausnahme. Wir haben mit einem gerechten Menschen mitgelitten, der ungerecht verurteilt wurde. In all diesen Aspekten kann man die menschliche Natur Jesu Christi erfassen. Er hatte aber auch die göttliche Natur, die während der Passion verschwommen blieb und im Tod sich verbarg. Doch nur dank seiner göttlichen Natur konnte der Herr Jesus versprechen: „Und ich, wenn ich über die Erde erhöht bin, werde alle zu mir ziehen“ (Joh 12,32). Allein weil Jesus Mensch und Gott ist, haben seine Passion und sein Tod einen unschätzbaren, einzigartigen, heilbringenden Wert. Sein Ostergeheimnis ist die Quelle des Heils für alle Menschen. Jesus verlangt danach, mit den ausgestreckten Armen am Kreuz alle Menschen zu umfassen, mehr noch, den ganzen Kosmos; er möchte alle in seiner grenzenlosen Liebe an sich ziehen, um alle zu retten. Sein Opfer ist daher die Quelle der Hoffnung für uns alle. Es befreit uns von den Leiden, Krankheiten, dem Tod, mit dem jeder Mensch konfrontiert wird. Aber der gekreuzigte Heiland schenkt Hoffnung auch in den dunkelsten Momenten der Geschichte von Menschen und der Menschheit. Wie Paul Claudel sagt: „Gott ist nicht gekommen, das Leid zu beseitigen, er ist nicht gekommen, es zu erklären, sondern er ist gekommen, es mit seiner Gegenwart zu erfüllen“. Und diese Gegenwart ist in der Lage, das Böse in Gutes, den Schmerz in Freude, den Tod in Leben zu verwandeln.
Dankbar für den Heiligen Geist, der uns zur vollen Wahrheit führt (vgl. Joh 16,13), bitten wir Gottvater, daß er unseren Glauben an seinen Sohn und unseren Herrn Jesus stärke, der durch sein Kreuz die Welt erlöst hat. Auf unserem Glaubensweg rufen wir die Fürsprache der seligen Jungfrau Maria an, der Mutter Jesu, die ihrem Sohn gläubig auf seinem Kreuzweg gefolgt ist. Ihr Beispiel helfe uns, ihm auch in den dunklen Stunden des Lebens treu zu bleiben, wenn uns Prüfungen und physische und spirituelle Leiden treffen. Mit Maria lassen wir uns zum Herrn Jesus ziehen, der von der Erde erhöht ist, um auch im Himmel und dem ewigen Leben bei ihm sein zu können. Amen.