Predigt von Nuntius Eterovic am 6. Sonntag der Osterzeit
Berlin, 22. Mai 2022
(Apg 15,1-2.22-29; Ps 66; Offb 21,10-14.22-23; Joh 14,23-29)
„Der Beistand … wird euch alles lehren“ (Joh 14,26).
Liebe Schwestern und Brüder!
Das Wort Gottes, das wir an diesem sechsten Sonntag der Osterzeit gehört haben, bereitet uns auf das kommende Hohe Pfingstfest vor. Das gilt vor allem für den Bezug auf den Heiligen Geist, den der auferstandene Herr Jesus Christus seinen Jüngern und seiner Kirche schenkt. Verweilen wir daher beim Wirken des Heiligen Geistes in der Urkirche (I), wie auch bei dem Wirken, das dem Heiligen Geist eigen ist, nämlich in die von Jesus Christus geoffenbarte Wahrheit einzuführen (II). Der Heilige Geist wirkt auch heute in den Christen und in der Kirche (III).
1. „Der Heilige Geist und wir haben beschlossen“ (Apg 15,28).
Die erste Lesung aus der Apostelgeschichte beschreibt eines der wichtigsten Ereignisse der Kirche am Anfang, das sogenannte Konzil von Jerusalem. Die Christen in Antiochia waren aus jüdischer Sicht Heiden, die voller Freude die Taufe empfingen, um Christen und Jünger Jesus Christi zu werden, der gestorben und auferstanden inmitten seiner Jünger ist. Einige der Judenchristen aus der jüdischen Welt stifteten Unruhe, weil sie über diese Christen in Aufruhr geraten waren. Denn sie erregten sich darüber, dass die Heiden Christen wurden, ohne vorher Juden zu werden. Sie lehrten nämlich: „Wenn ihr euch nicht nach dem Brauch des Mose beschneiden lasst, könnt ihr nicht gerettet werden“ (Apg 15,1). Auf dieser Lehre bestanden sie gegen die Apostel Paulus und Barnabas. Dieser Zwist weitete sich aus und führte zu einer Spaltung in der christlichen Gemeinde. Diese bedeutsame Frage betraf nicht nur die Gemeinde in Antiochia, sondern schließt den inneren Zusammenhang von Altem und Neuem Testament ein, zwischen Judentum und Christentum. Um eine angemessene Lösung zu finden, wurde in Jerusalem eine Zusammenkunft einberufen, an der „die Apostel und die Ältesten“ (Apg 15,6) teilnahmen. Nach einer langen Diskussion, bei der die Apostel Petrus und Paulus, Barnabas und Jakobus die Schlüsselfiguren waren, wurde eine Entscheidung getroffen, die für die ganze Kirche von großer Bedeutung war: „Denn der Heilige Geist und wir haben beschlossen, euch keine weitere Last aufzuerlegen als diese notwendigen Dinge: Götzenopferfleisch, Blut, Ersticktes und Unzucht zu meiden. Wenn ihr euch davor hütet, handelt ihr richtig. Lebt wohl!“ (Apg 15,28-29). Als die Christen in Antiochia diese Entscheidung vernahmen, „freuten sie sich über den Zuspruch“ (Apg 15,31). Die Christen hatten erkannt, dass mit dieser Entscheidung ihre Freiheit garantiert wurde. Sie konnten Christen werden, ohne vorher die jüdischen Riten zu durchlaufen, vor allem, ohne beschnitten zu werden. Der Konzilsbeschluss ist in gewisser Weise ein Kompromiss, denn er verpflichtet, für eine gewisse Zeit einige Normen zu beachten, um Enttäuschungen in den beiden Gruppen von Christen bezüglich ihrer Herkunft zu vermeiden. Die Anweisungen zu den heidnischen Opfern sind leicht zu verstehen: für Christen ist der wahre Kult jener, der vom Herrn Jesus eingesetzt worden ist. Daher sollen sie sich von der Götzenverehrung fernhalten und auch nichts davon essen, was vorher bei heidnischen Opfern dargebracht wird. Mit dem Begriff der „Unzucht“ sind jene ehelichen Verbindungen gemeint, die nach dem mosaischen Gesetz illegitim waren. Das Konzil von Jerusalem hat die Freiheit der Christen vom jüdischen Gesetz bekräftigt, wie es vom Heiligen Paulus in treuer Interpretation der Lehre des Herrn Jesus verkündet wurde: „Zur Freiheit hat uns Christus befreit. Steht daher fest und lasst euch nicht wieder ein Joch der Knechtschaft auflegen“ (Gal 5,1). Dies ist auch der Anruf an uns, für die Freiheit, die uns vom auferstandenen Herrn geschenkt wird, frei zu bleiben.
2. „Der Beistand … wird euch alles lehren“ (Joh 14,26).
Auch im heutigen Evangelium finden wir wunderbare Aussagen über den Heiligen Geist. Sie stammen vom Herrn Jesus selbst, der seinen Jüngern versichert hat: „Der Beistand aber, der Heilige Geist, den der Vater in meinem Namen senden wird, der wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe“ (Joh 14,26). Jesus Christus, der Gott und Mensch, ist mit der Tiefe Gottes und auch der Menschen vertraut. Deswegen kann er uns die Wahrheit über den dreieinen Gott und über den mit Leib und Seele geschaffenen Menschen lehren. Nur mit der Liebe kann man in diese Wahrheit vordringen. Und die Liebe ist die Frucht des Heiligen Geistes. Jesus fordert, dass sich die Jünger lieben: „Liebt einander, wie ich euch geliebt habe“ (Joh 15,12). Die Liebe muss konkret sein und sich in Taten erweisen: „Nicht jeder, der zu mir sagt: Herr! Herr!, wird in das Himmelreich kommen, sondern wer den Willen meines Vaters im Himmel tut“ (Mt 7,21). Auch im Abschnitt des verkündeten Evangeliums sagt Jesus, dass der Beweis der Liebe zu ihm darin besteht, seine Lehre in die Tat umzusetzen. Wenn Jesus und der Vater eins sind (vgl. Joh 10,30), dann liebt der Gläubige, der Jesus liebt, auch den Vater und öffnet sein Herz für beide: „Wenn jemand mich liebt, wird er mein Wort halten; mein Vater wird ihn lieben und wir werden zu ihm kommen und bei ihm Wohnung nehmen“ (Joh 14,23). Und das Gegenteil davon bedeutet: „Wer mich nicht liebt, hält meine Worte nicht. Und das Wort, das ihr hört, stammt nicht von mir, sondern vom Vater, der mich gesandt hat“ (Joh 14,24). Jesus Christus war sich bewußt, dass die Apostel diese Worte zwar gehört hatten, sie aber noch nicht in ihrer Tiefe erfassen konnten. Sie hatten dafür die Hilfe Gottes nötig. Daher versprach er ihnen das Kommen des Heiligen Geistes, den er den Beistand nennt oder den Tröster, der sie trösten wird, wenn ihr Meister Jesus nicht mehr bei ihnen ist. Außerdem wird der Heilige Geist allezeit in den Christen wirken und sie ermutigen und mit innerer Kraft auszeichnen. Er wird uns zur immer stärkeren Gemeinschaft mit Jesus und mit dem Vater führen. Dabei gilt: „Der Geist ergründet nämlich alles, auch die Tiefen Gottes“ (1 Kor 2,10) und dringt in die Tiefen unserer Herzen, um uns zu Gott zu lenken. Darüber hinaus wird uns der Heilige Geist „in der ganzen Wahrheit leiten“ (Joh 16,13). Ein Beispiel dieses Weges zum Verständnis der Lehre Jesu ist daher das Konzil von Jerusalem, das die Tore der Kirche allen Völkern mit ihren Kulturen geöffnet hat.
3. „Frieden hinterlasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch“ (Joh 14,27).
Eine der kostbaren Gaben des Heiligen Geistes ist der Frieden. Vor seinem Leiden und Tod hat der Herr Jesus den Jüngern die Gabe des Friedens verheißen: „Frieden hinterlasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch“ und führt aus, dass es sich um einen Frieden handelt, der den weltlichen Frieden übersteigt: „Nicht, wie die Welt ihn gibt, gebe ich ihn euch“ (Joh 14,27). Jesus Christus hat diese Verheißung am Tag nach dem Sabbat erfüllt, am Abend des Ostertages, als er durch die verschlossenen Türen des Abendmahlssaals in Jerusalem trat und seinen Jüngern sagte: „Friede sei mit euch!“ (Joh 20,19). Als er ihnen die Wundmale an den Händen und seine Seitenwunde zeigt, „hauchte er sie an und sagte zu ihnen: Empfangt den Heiligen Geist! Denen ihr die Sünden erlasst, denen sind sie erlassen; denen ihr sie behaltet, sind sie behalten“ (Joh 20,22-23). Der Friede, den Herr gibt, ist mit dem Heiligen Geist verbunden. Der Priester setzt dies in persona Christi fort, wenn er im Bußsakrament dem Menschen die Schuld vergibt. Der vom auferstandenen Herrn durch den Heiligen Geist geschenkte Frieden berührt das Menschenherz und bringt ihn dazu, für den Frieden zu wirken. Er trägt diesen Frieden in die Familie, zu den Freunden und Bekannten und allen Menschen, denen er begegnet. Auf diese Weise leistet er seinen Beitrag zum Frieden in der Welt.
In dieser so besonderen Zeit der Geschichte ist der Friede in der Welt eine kostbare Gabe, denn es herrschen Kriege und Gewalt. Denken wir nur an die kriegerische Aggression der Russischen Föderation in Ukraine, in einem europäischen Land, das uns geographisch und kulturell nahe ist, und wo es schon so viele Todesopfer und starke Zerstörung gibt. Bitten wir Jesus Christus, den Friedefürsten, seinen Geist auf alle Verantwortliche an dieser Tragödie zu senden, auf dass sie bereuen und ihre Haltung ändern, indem sie zu Architekten des Friedens werden. Der erste Schritt müsste sein, das Feuer einzustellen, was für einen ernsthaften und konstruktiven Dialog in Achtung vor dem Internationalen Recht unverzichtbar ist.
Liebe Brüder und Schwestern, flehen wir um das Kommen des Heiligen Geistes, vor allem des Beistandes und Trösters in diesen dramatischen Zeiten unserer Geschichte. Vertrauen wir unsere Bitten der Fürsprache der seligen Jungfrau Maria an, der Rosenkranzkönigin, woran wir im Marienmonat Mai besonders denken wollen und in dem wir die Gottesmutter auch als Königin des Friedens anrufen. Unsere Liebe Frau vom Rosenkranz, deren Fest auf den Sieg der christlichen Kräfte nach der Seeschlacht von Lepanto im Jahr 1571 gegen das Osmanische Reich zurückgeht, möge auch heute durch das eifrige Rosenkranzgebet der Gläubigen helfen. Vertrauen wir der Mutter Jesu und unserer Mutter unsere glühenden Gebete um den Frieden an, vor allem in Ukraine. Amen.