Predigt von Nuntius Eterovic am Hochfest der Unbefleckten Empfängnis der Jungfrau und Gottesmutter Maria
Berlin, 8. Dezember 2019
(Jes 11,1-10; Ps 72: Röm 1,4-9; Mt 3,1-12)
„Sei gegrüßt, du Begnadete, der Herr ist mit dir“ (Lk 1,28).
Liebe Brüder und Schwestern!
In der Adventszeit feiern wir das Hochfest der Unbefleckten Empfängnis der seligen Jungfrau und Gottesmutter Maria. Dabei handelt es sich um ein relativ spät verkündetes Dogma durch Papst Pius IX. im Jahre 1854. Es hat aber sein Fundament in der Heiligen Schrift. Einer der Texte, die von der Heiligkeit Mariens sprechen, ist der eben zitierte Satz, wo der Engel Gabriel Maria als „voll der Gnade“, als „Begnadete“ anspricht (Lk 1,28). Seit den ersten Jahrhunderten wendet sich die Kirche mit dem schönen Gebet an Maria: „Heilige Maria, Mutter Gottes, bitte für uns Sünder, jetzt und in der Stunde unseres Todes“. Das Konzil von Ephesus hat im Jahre 431 Maria als Gottesgebärerin (Θεοτόκος – Dei Genitrix) bezeichnet, so daß sie auch die Gottesmutter genannt werden kann. Mit dem Ausdruck „neue Eva“ hat der Heilige Irenäus gleichsam die Dogmatisierung der Empfängnis Mariens ohne Erbsünde vorweggenommen. Im 15. Jahrhundert hielt dieser Ausdruck Einzug in die Liturgie der Kirche.
Unter der Inspiration des Heiligen Geistes hat die Kirche durch den Mund ihrer qualifizierten Vertreter daher erklärt, daß die selige Jungfrau Maria vom ersten Moment ihres Daseins an von der Erbschuld, mit der jeder Mensch, der zur Welt kommt, behaftet ist, befreit war, das heißt von der Schuld der Stammeltern Adam und Eva (vgl. Gen 3,9-20). Das heutige Hochfest stellt uns daher ein Privileg (I) und ein Ideal (II) vor, daß jeden Christen stärken sollte, dies ebenfalls zu erlangen, natürlich mit der Gnade des Heiligen Geistes.
1. Das Privileg
Allein die Gottesmutter Maria bekam das Privileg, vom Moment ihrer Empfängnis an von der Erbsünde bewahrt worden zu sein. Gott wollte so jene bewahren, die er erwählt hatte, die Mutter seines Eingeborenen Sohnes zu werden. Der Herr Jesus wollte ihr die Verdienste seines Kreuzesopfers vorweg zukommen lassen und bedeckte die Jungfrau Maria mit Gnade und bewahrte sie vor jeder Befleckung mit der Sünde.
Es handelt sich um eine Gnade, die schon in den ersten Augenblicken im Leben Mariens wirksam ist, als sie noch gar nicht imstande war, allein zu entscheiden. Bei der Begegnung mit dem von Gott gesandten Engel Gabriel ist Maria über die unerwarteten Worte des göttlichen Boten überrascht, mit der er sie grüßte: „Sei gegrüßt, du Begnadete, der Herr ist mit dir“ (Lk 1,28). Sie blieb verstört und fragte sich, welchen Sinn diese Worte haben. Der Engel aber erklärte ihr: „Fürchte dich nicht, Maria; denn du hast bei Gott Gnade gefunden. Siehe, du wirst schwanger werden und einen Sohn wirst du gebären; dem sollst du den Namen Jesus geben“ (Lk 1,30-31). Nach den Worten des Engels hat Maria Gnade bei Gott gefunden, die Mutter Jesu zu werden. Dieses Werk wird durch den Heiligen Geist vollbracht. „Heiliger Geist wird über dich kommen und Kraft des Höchsten wird dich überschatten. Deshalb wird auch das Kind heilig und Sohn Gottes genannt werden“ (Lk 1,35). In dieser Wahrheit findet sich das Geheimnis ihrer Größe, ihrer unbefleckten Empfängnis. Maria musste heilig sein und von jeder Sünde bewahrt, damit sie Mutter dessen werden konnte, der heilig ist und Sohn Gottes genannt wird. Angesichts der Größe der Offenbarung wird Maria nicht stolz, sondern bleibt demütig. Ihre Worte: „Siehe, ich bin die Magd des Herrn; mir geschehe, wie du es gesagt hast“ (Lk 1,38) reflektieren ihren Zustand „voller Gnade“, ihre Reinheit, ihre vollkommene Weihe an Gott und seine schöpferische und unvorhersehbare Liebe.
2. Das Ideal
Die selige Jungfrau Maria hat das Privileg der unbefleckten Empfängnis erhalten. Als sie älter wurde und zum Vernunftgebrauch gelangte, hat sie gerne mit der Gnade Gottes gewirkt und teilgehabt an der Nähe zum Leben ihres und Gottes Sohnes Jesus Christus, auch in den dramatischen Momenten seiner Passion und seines Todes. In ihr haben sich auf beispielhafte Weise die Worte des Heiligen Johannes verwirklicht: Aus der Fülle des fleischgewordenen Wortes „haben wir alle empfangen, Gnade über Gnade“ (Joh 1,16). Unter der Führung des Heiligen Geistes wurde die Gottesmutter Maria die erste Jüngerin Jesu.
Der Heilige Paulus erinnert uns, daß der allmächtige Gott auch an jeden von uns schon vor der Erschaffung gedacht hat. Diese Wahrheit ist im großen Hymnus des Epheserbriefes zum Ausdruck gebracht. „Gepriesen sei der Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus. Er hat uns mit allem Segen seines Geistes gesegnet durch unsere Gemeinschaft mit Christus im Himmel“ (Eph 1,3). Der Segen seines Geistes ist die göttliche Gunst in seiner Fülle. Eine Gunst ist der Ruf zur Heiligkeit: Im Herrn Jesus Christus hat Gott der Vater „uns erwählt vor der Grundlegung der Welt, damit wir heilig und untadelig leben vor ihm. Er hat uns aus Liebe im Voraus dazu bestimmt, seine Söhne zu werden durch Jesus Christus und zu ihm zu gelangen nach seinem gnädigen Willen, zum Lob seiner herrlichen Gnade. Er hat sie uns geschenkt in seinem geliebten Sohn“ (Eph 1,4-6). Von Ewigkeit her hat Gottvater an uns als seine angenommenen Kinder durch das Heilswerk seines Eingeborenen Sohnes Jesus Christus gedacht. Es ist also unsere christliche Berufung, heilig und unschuldig zu sein. Bei dieser Berufung können wir und als Christen müssen wir die selige Jungfrau Maria nachahmen. Alle sind wir zur Heiligkeit gerufen. Diese Wahrheit wird schon im Alten Testament ausgedrückt, wenn JHWH mahnt: „Seid heilig, denn ich, der HERR, euer Gott, bin heilig“ (Lev 19,2) oder „Ich bin der HERR, der euch heiligt“ (Lev 20,8). Jesus hat seinerseits die Jünger – und somit uns alle - dazu aufgerufen: „Seid also vollkommen, wie euer himmlischer Vater vollkommen ist!“ (Mt 5,48). Das Zweite Vatikanische Konzil hat diese beständige Lehre der Kirche im Kapitel V der Dogmatischen Konstitution über die Kirche Lumen gentium erneuert und überschrieben mit den Worten: „Die universale Berufung zur Heiligkeit in der Kirche“.
Das Hochfest der Unbefleckten Empfängnis der seligen Jungfrau und Gottesmutter Maria lädt und daher ein, Gott für das gewährte Privileg an Maria, die neue Eva, Jesu und unsere Mutter, zu loben. Zugleich aber werden wir dazu ermahnt, mit größerem Einsatz auf dem Weg der Heiligkeit zu gehen. Gott will, daß wir alle „heilig und unschuldig“ werden. Allein können wir dieses Ziel nicht erreichen. Aber Gott lässt uns nicht allein und bietet uns die Hilfe seiner Gnade, vor allem in den Sakramenten, gibt uns den Heiligen Geist im Gebet und in Werken der Liebe. Auf diesem Weg unterstützen uns auch die Beispiele und geistliche Unterstützung vieler Heiliger, die unsere Beschützer und Fürsprecher sind. Sie lassen uns erkennen, daß die Heiligkeit ein erreichbares Ideal ist, daß der mit Christus bekleidete Mensch diesem Weg der Heiligkeit und Vollkommenheit folgen kann. Vertrauen wir uns der Fürsprache der seligen Jungfrau Maria an, der Unbefleckten Empfängnis, und folgen wir ihrem Beispiel, dem Herrn zu dienen und bereit, den Willen Gottes zu erfüllen. Amen.