Predigt von Nuntius Eterovic bei der 19. Generalversammlung der UCESM

Kloster Roggenburg, 11. März 2020

(Jer 18,18-20; Ps 31; Mt 20,17-28)

„Der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele“ (Mk 1,14).

Verehrtes Mitglieder der Union der Europäischen Konferenzen der Höheren Oberinnen und Oberen!
Liebe Schwestern und Brüder!

Mit Freude habe ich die Einladung angenommen, an dieser alle zwei Jahre stattfindenden 19. Generalversammlung hier im Prämonstratenserkloster Roggenburg teilzunehmen. Als Vertreter des Heiligen Vaters Franziskus in der Bundesrepublik Deutschland übermittle ich Euch dessen herzliche Grüße und seinen Apostolischen Segen. Papst Franziskus bittet oft darum, für ihn zu beten. Das tun wir sehr gerne, vor allem in dieser Eucharistiefeier, denn wir sind uns der Bedeutung seines Amtes als Bischof von Rom und Hirte der Universalkirche bewußt.

Wir wollen offen für den Heiligen Geist sein und gemeinsam über das Wort Gottes, das wir gehört haben, nachdenken, wobei wir das Thema dieser Versammlung im Bewusstsein halten: „Gemeinsam unterwegs, um uns den Herausforderungen des Ordenslebens in Europa zu stellen“. Darüber hinaus findet dieses Treffen in der Fastenzeit statt, die von Umkehr und somit von Versöhnung mit Gott geprägt ist. Daran erinnert auch Papst Franziskus, der seine Botschaft zur Fastenzeit 2020 unter das Thema gestellt hat: „Wir bitten an Christi statt: Lasst euch mit Gott versöhnen!“ (2 Kor 5,20). Worin müsste die Versöhnung und Bekehrung der Ordensleute heute in Europa bestehen? Die heutigen Lesungen bieten Elemente einer Antwort: das gemeinschaftliche Leben wiederentdecken (I); leben um zu dienen (II); das prophetische Charisma üben (III), um so den Willen Gottes zu bezeugen.

1. Das gemeinschaftliche Leben wiederentdecken

Im Abschnitt des Evangeliums finden wir Jesus mit seinen Jüngern. Er hat die Zwölf gerufen und zu einer festen Gruppe geformt, die ihn während seines öffentlichen Wirkens begleitet. Sie sollen Zeugen seines Lebens sein, seiner durch Wunder bekräftigten Lehre, seines Todes und seiner Auferstehung. Es handelt sich um ein wesentliches Kriterium, das der Apostel Petrus bei der Wahl des Nachfolgers von Judas Iskariot, der den Meister verraten hatte, zu beachten vorgibt: „Es ist also nötig, dass einer von den Männern, die mit uns die ganze Zeit zusammen waren, als Jesus, der Herr, bei uns ein und aus ging, angefangen von der Taufe durch Johannes bis zu dem Tag, an dem er von uns ging und in den Himmel aufgenommen wurde - einer von diesen muss nun zusammen mit uns Zeuge seiner Auferstehung sein“ (Apg 1,21-22).

Das Zentrum des gemeinschaftlichen Lebens der Apostel ist er Herr Jesus. Er muss der Mittelpunkt jeder christlichen Gemeinschaft sein, besonders einer Gemeinschaft geweihten Lebens. Jesus ruft nicht als isolierte Individuen in seine Nachfolge, sondern als Glieder einer Gruppe, einer Gemeinschaft. Das gilt insbesondere für die Gemeinschaften von Religiosen, Männer und Frauen, die den Ruf Gott angenommen haben und sich bemühen, Jesus in Gehorsam, Keuschheit und Armut zu folgen, wobei sie spirituell und materiell von einer Gemeinschaft hilfreich unterstützt werden. Jesus zum Mittelpunkt der Gemeinschaft zu haben, bedeutet unter anderem, das Gebet an die erste Stelle zu setzen, vor allem die Eucharistie, die Quelle und Höhepunkt des Lebens und der Sendung der Kirche als ganzer und jeder ihrer Gemeinschaften im Besonderen ist. Es ist also notwendig, den hohen Wert der täglichen Eucharistiefeier als Kern der Erneuerung des Ordenslebens immer wieder neu zu entdecken. Der zentralen Bedeutung des Gebetes und der Begegnung mit dem Herrn Jesus in der Gemeinschaft muss der Gebrauch der modernen Kommunikationsmittel untergeordnet werden, was zu den großen Herausforderungen des Ordenslebens heute gehört.

Verehrte Ordensleute, diese Wiederbelebung des Gemeinschaftslebens wird auch einen positiven Einfluss auf die Gesellschaften in Europa haben, wo sich ein theoretischer Individualismus verbreitet hat, der in der Praxis zu einer wachsenden Zahl von einsamen Menschen führt, die alleine leben, keine Familien gründen, welche auch stabile Beziehungen mit kirchlichen und zivilen Einrichtungen zu bewirken vermögen. Mit Eurem Beispiel der Schönheit des Gemeinschaftslebens leistet Ihr für diese Menschen einen wertvollen Beitrag, so daß auch sie die Fruchtbarkeit entdecken, dem Nächsten zu begegnen oder sich anderen zu widmen.

2. Der christliche Dienst

Das Gemeinschaftsleben bringt auch Schwierigkeiten mit sich, besonders im zwischenmenschlichen Bereich. Im heutigen Evangelium wollen die Söhne des Zebedäus, Jakobus und Johannes, die ersten Plätze unter den Zwölf einnehmen. Die anderen zehn Apostel protestieren. Der Herr Jesus nimmt die Gelegenheit wahr, seine Jünger zu lehren, wie sie sich verhalten sollen: „Wer bei euch groß sein will, der soll euer Diener sein, und wer bei euch der Erste sein will, soll euer Sklave sein“ (Mt 20,26-27). Die Jünger sollen danach fragen, wie sie den anderen noch besser dienen können, vor allem den Ärmsten im geistlichen und materiellen Sinn. So verweigern sie sich einer menschlichen Mentalität von Erfolg, Macht, Prestige und Karriere. Sie sollen vielmehr, um es mit einem Wort zu sagen, Jesus folgen, der lehrt: „Der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele“ (Mt 20,28).

Liebe Ordensleute, ein solcher Lebensstil wird auch in einer zivilen und politischen Gemeinschaft verstanden. Sie wird zumindest diejenigen positiv beeinflussen, die sich ehrlichen Herzens der Förderung des Gemeinwohls widmen, unabhängig von Interessen der Parteien, Gruppen oder einflussreicher Leute. Hier ist nützlich, daran zu erinnern, daß das Wort Minister vom Lateinischen ministrare kommt, was nichts anderes bedeutet als dienen. Christen sollen ein gutes Beispiel geben, vor allem denen, die sich im politischen oder öffentlich sozialen Bereich einsetzen.

3. Das prophetische Charisma

Der Prophet Jeremia lehrt, daß man auf das Wort hören muss und es zu verkünden ist, „ob gelegen oder ungelegen“ (2 Tim 4,2). Der Prophet geriet in Konflikt mit den Mächtigen seines Volkes, weil er in Treue zum Auftrag von JHWH deren Verhalten kritisiert hat. Denn sie vertrauten nicht Gott, sondern setzten auf menschliche Unterstützung. Die Feinde wollten den Propheten Jeremia töten, um seine prophetische Botschaft zu neutralisieren: „Kommt, wir wollen ihn mit Worten schlagen und auf keines seiner Worte achten“ (Jer 18,18). Sie vergaßen jedoch, daß Jeremia im Namen Gottes gesprochen hat und sich ihm im vertrauensvollen Gebiet überließ. Ebenso Jesus Christus, der Prophet schlechthin, der nicht nur kritisiert hat und sich empörte, sondern der verurteilt wurde am Holz des Kreuzes gestorben ist.

Liebe Ordensleute, das authentisch christliche Leben ist auch heutzutage ein prophetischer Dienst an den Nahen und den Fernen. Das gilt insbesondere für ein Gott geweihtes Leben. In einer Gesellschaft, wo Gott unbeachtet bleibt und viele leben, als gäbe es Gott nicht, ist die erste prophetische Botschaft jene, daß Gott existiert, daß er das Fundament des Lebens jedes Menschen und jeder Gemeinschaft ist. Auf die Existenz Gottes können wir mittels der Vernunft schließen (vgl. Rom 1,18-20). Doch Gott ist zu uns gekommen, um uns die Begegnung mit ihm zu erleichtern. Mehr noch, er hat all das, was wesentlich über Ihn und über die Beziehung zwischen Mensch und Gott zu wissen ist, in seinem eingeborenen Sohn Jesus Christus offenbart. Er, der Mensch und Gott ist und bleibt „der Weg, die Wahrheit und das Leben“ (Joh 14,6). So sagt die Pastoralkonstitution Gaudium et spes über die Kirche in der Welt von heute: „Christus, der neue Adam, macht eben in der Offenbarung des Geheimnisses des Vaters und seiner Liebe dem Menschen den Menschen selbst voll kund und erschließt ihm seine höchste Berufung“ (GS 22). Diese Wahrheit bewahrt uns davor, die Schöpfungsordnung und die Offenbarung auf den Kopf zu stellen und den Menschen an die Stelle Gottes zu setzen. Das geschieht leider in vielen europäischen Ländern, wo Gesetze verabschiedet werden, welche die Würde des Menschen antasten, vor allem in den zutiefst bedrohten Momenten seiner Existenz, von der Empfängnis an (durch Abtreibung) und vor dem natürlichen Tod (durch Euthanasie oder auch Hilfestellung zum Selbstmord). Im Licht der grundlegenden Wahrheit der Existenz Gottes, bekommen die übrigen Aspekte des prophetischen Charismas und des christlichen Zeugnisses ihre wahre Bedeutung, so die Wichtigkeit des Gemeinschaftslebens und der Dienst am Gemeinwohl.

Diese Betrachtung möchte ich schließen mit Worten von Papst Franziskus über die Bedeutung und Aktualität des Ordenslebens in unserer globalisierten und immer stärker säkularisierten Welt: „Liebe Brüder und Schwestern, danken wir Gott für die Gabe des geweihten Lebens und bitten wir um einen erneuerten Blick, der die Gnade zu sehen vermag, der den Nächsten zu suchen weiß und der hoffen kann. So werden auch unsere Augen das Heil sehen“ (Predigt zum 24. Welttag des geweihten Lebens, Vatikan, 01. Februar 2020). Vertrauen wir diesen Wunsch der Fürsprache aller Eurer heiligen Gründerinnen und Gründer und Patrone an, insbesondere der seligen Jungfrau Maria, der Mutter Jesu und Mutter der Kirche. Amen.

Zurück