Predigt von Nuntius Eterovic im Pontifikalamt zum 1.600 Todestag des Hl. Hieronymus
Hoher Dom zu Trier, 26. September 2021
(Num 11,25-29; 2 Tim 3,14-17; Mt 13,47-52)
„Deswegen gleicht jeder Schriftgelehrte, der ein Jünger des Himmelreichs geworden ist, einem Hausherrn, der aus seinem Schatz Neues und Altes hervorholt“ (Mt 13,52).
Exzellenzen,
verehrter Bischof Dr. Stefan Ackermann,
liebe Schwestern und Brüder!
Das Wort Gottes, das wir gehört haben, hat eine besondere Bedeutung im Gedenken des Heiligen Hieronymus, an sein Leben und Werk, wozu wir gestern und heute aus Anlass des 70-jährigen Bestehens der Theologischen Fakultät Trier zusammengekommen sind. Der Heilige Hieronymus ist deren Patron, und er gehört zu den vier bedeutendsten Kirchenvätern der lateinischen Kirche. Zugleich sind wir in dieser ehrwürdigen Kathedrale versammelt, um dem guten und barmherzigen Gott zu danken, denn auch nach 1.600 Jahre seit dem Tod des Heiligen Hieronymus leuchten noch immer seine Verdienste um die Verbreitung der Heiligen Schrift in die jeweilige Sprache des Volkes, die zu dessen Zeit die lateinische Sprache war. Aus diesem Anlass hat der Heilige Vater Franziskus am 30. September 2020 das Apostolisches Schreiben Scripturae sacrae affectus veröffentlicht, zum „seine herausragende Gestalt in der Kirchengeschichte und seine große Liebe zu Christus kennenzulernen“. Ich danke herzliche Seiner Exzellenz, Eurem verehrten Bischof Dr. Stefan Ackermann für die Einladung, diese festliche Eucharistie mit Euch zu feiern, die mich an die Bande erinnern, die der Heilige Hieronymus mit dieser Stadt und der Diözese Trier mit seiner Heimat Dalmatien verbindet, wo auch ich geboren worden bin und wo dem Heiligen Hieronymus große Beachtung geschenkt wird, denn er ist der Schutzpatron Dalmatiens. Ich grüße in ganz besonderer Weise die Gläubigen der katholisch kroatischen Missionen im Bistums Trier, die gekommen sind, unseren heiligen Patron zu verehren und seine Fürbitte zu erflehen.
Im Bewußtsein der verkündeten biblischen Lesungen und offen für den Heiligen Geist möchte ich meine Überlegungen in drei Punkte gliedern: das geistliche Band des Heiligen Hieronymus mit Dalmatien; die Ermahnung, die Schriften zu kennen in der Erkenntnis Jesu Christi und schließlich die Sakramentalität des Wortes Gottes.
1. Parce mihi, Domine, quia Dalmata sum – Sei mir gnädig, Herr, weil ich Dalmater bin.
In Dalmatien, der Heimat des Heiligen Hieronymus ist dies eine sehr verbreitete Wendung, die dem Heiligen zugesprochen wird, obwohl man sie in seinen Schriften nicht findet und die dennoch seine feurige Persönlichkeit und sein zuweilen explosives Temperament beschreibt. Hieronymus wird im Jahr 347 in Stridon an der Grenze von Dalmatien nach Pannonien geboren. Man weiß nicht sicher, wo sich dieser Ort befunden hat, und es gibt zahlreiche Theorien über seine Lage. Auch die heutigen Grenzen Dalmatiens entsprechen nicht denen der römischen Provinz Dalmatia, die sehr viel weiter ausgedehnt war. Allein die Tatsache, dass Hieronymus in Dalmatien geboren worden war, ist den Bewohnern dieser Region durch alle Zeiten hindurch bis heute ein fester Punkt geblieben. Er war römischer Herkunft, doch die Kroaten, die heute in dem Land leben, wovon Dalmatien ein Teil ist, nahmen den Heiligen, nachdem sie einst die Taufe empfangen hatten, geistlich als einen der Ihren auf. Dies geschah erfolgreich auch mit anderen römischen Heiligen, insbesondere mit den Märtyrern, doch das geistliche Band der Kroaten, vor allem jener aus Dalmatien mit dem Heiligen Hieronymus ist immer ein ganz besonderes geblieben. Das zeigt sich auch darin, dass die kroatische Nationalkirche in Rom unter seinem Patronat steht. Es gibt aber noch einen anderen Grund für die Verbindung der Kroaten mit dem genialen Übersetzer der Bibel in die lateinische Sprache. Die Überlieferung sagt, Hieronymus sei der Autor der ersten slawischen Schrift, des Glagolitischen gewesen, das vor allem im kroatischen Gebiet verwandt wurde. In den lateinischen Texten der Katholischen Kirche werden die Buchstaben dieser Schrift hieronymische Zeichen im Unterschied zu den kyrillischen Buchstaben genannt. Im Salone Sistino der Vatikanischen Museen beispielsweise wird der Heilige Hieronymus unter anderen Schriftgestaltern als Erfinder des Glagolitischen gezeigt. Die Autorität des Heiligen war derart groß, dass Papst Innozenz IV. im Jahr 1248 die liturgische Verwendung des Glagolitischen in der kroatischen Diözese Senj erlaubte. Für die Praxis der liturgischen Feier des lateinischen Ritus in der Volkssprache, des Altslawischen und des Altkroatischen, wurden in den Messbüchern die glagolitischen Buchstaben benutzt und verbreiteten sich so auf andere Gebiete. Diese waren in Gebrauch bis zur Liturgiereform nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil. In diesem Zusammenhang ist interessant zu erinnern, dass im Verlauf der Diskussionen beim letzten Konzil über den Gebrauch der Volkssprache in der Liturgie der kroatische Bischof von Šibenik, Josip Arnerić, als Vertreter der acht kroatischen Bischöfe, die das Altslawische in ihren Diözesen benutzten, am 12. November 1962 im Petersdom eine Heilige Messe in dieser Sprache gefeiert hat, um zu zeigen, dass es auch in der lateinischen Kirche ein Volk gab, die Kroaten nämlich, das seit Jahrhunderten das Privileg hatte, in der Volkssprache die Liturgie zu feiern. Das war auch dank der Autorität des Heiligen Hieronymus möglich. Insofern hat der große Übersetzer der Bibel in die lateinische Sprache in gewisser Weise auch Anteil an der Einführung der Volkssprache in der lateinischen Liturgie.
2. Die Schriften kennen heißt, Jesus Christus kennen
Die wohl bekannteste Aussage des Heiligen Hieronymus ist jene, wo er sagt: „Wenn die Kenntnis der Schrift fehlt, fehlt die Kenntnis Christi“ (Prolog des Kommentars zum Buch Jesaja). Eine solche Schlussfolgerung war dem ausgezeichneten Kenner der Bibel wie Hieronymus zwingend. Er kannte die Briefe des Heiligen Paulus an seinen geliebten Schüler Timotheus gut. Im zweiten Brief schreibt der Völkerapostel, dass die Heiligen Schriften „dich weise machen können zum Heil durch den Glauben an Christus Jesus“ (2 Tim 3,15), wie auch: „Jede Schrift ist, als von Gott eingegeben, auch nützlich zur Belehrung, zur Widerlegung, zur Besserung, zur Erziehung in der Gerechtigkeit, damit der Mensch Gottes gerüstet ist, ausgerüstet zu jedem guten Werk“ (2 Tim 3,16-17).
Durch Jesus Christus, „der Weg, die Wahrheit und das Leben“ (Joh 14,6) erfasste Hieronymus in rechter Weise die Offenbarung sowohl im Alten als auch im Neuen Testament, wobei er den Ausspruch des göttlichen Meisters umsetzte: „Jeder Schriftgelehrte, der ein Jünger des Himmelreichs geworden ist, gleicht einem Hausherrn, der aus seinem Schatz Neues und Altes hervorholt“ (Mt 13,52). Um zum Reichtum des Wortes Gottes vorzudringen, bediente sich Hieronymus seiner Sprachkenntnisse, des Hebräischen für das Alte und des Griechischen für das Neue Testament. Auf diese Weise fügt sich der Heilige Dalmater ein in die große Tradition der Kirche. Seine Weise, die Schriften fruchtbar zu machen, erschließt sich auch aus folgendem Zeugnis: „Ich leiste, was ich schuldig bin im Gehorsam gegen die Gebote Christi, der sagt: ‚Erforscht die Schriften!‘ (Joh 5,39) und: ‚Suchet, dann werdet ihr finden‘ (Mt 7,7). Ich möchte nicht das Wort hören: ‚Ihr irrt euch; ihr kennt weder die Schrift noch die Macht Gottes‘ (Mt 22,29). Denn wenn Christus nach dem Wort des Apostels Paulus Gottes Kraft und Gottes Weisheit ist, dann kennt die Kraft und die Weisheit Gottes nicht, wer die Schrift nicht kennt. Wenn die Kenntnis der Schrift fehlt, fehlt die Kenntnis Christi“ (a.a.0., ebd.).
3. Die Sakramentalität des Wortes Gottes
Hieronymus, der große Liebhaber der heiligen Schrift, hat über die Analogie der Gegenwart Christi in der Eucharistie und die im Wort Gottes nachgedacht. Hierzu hat er geschrieben: „Wir lesen die Heiligen Schriften. Ich denke, daß das Evangelium der Leib Christi ist; ich denke, daß die Heiligen Schriften seine Lehre sind. Und wenn er sagt: ‚Wer mein Fleisch nicht isst und mein Blut nicht trinkt‘ ( Joh 6,53), dann kann man zwar diese Worte auch in Bezug auf das (eucharistische) Mysterium verstehen; dennoch ist der Leib Christi und sein Blut wahrhaft das Schriftwort, die Lehre Gottes. Wenn wir uns der Eucharistie nähern und ein kleines Stückchen davon fällt auf den Boden, meinen wir, wir seien verloren. Wenn wir beim Hören des Wortes Gottes, während das Wort Gottes – das Fleisch Christi und sein Blut – uns in die Ohren geträufelt wird, an etwas anderes denken, in welch große Gefahr geraten wir da?“ (In Psalmum 147: CCL 78, 337-338). Nach diesem Zitat des Heiligen Hieronymus stellt Papst Benedikt XVI. in seinem Nachsynodalen Apostolischen Schreiben Verbum Dei fest: „Christus, der unter den Gestalten von Brot und Wein wirklich gegenwärtig ist, ist in analoger Weise auch in dem Wort gegenwärtig, das in der Liturgie verkündigt wird. Eine Vertiefung des Empfindens für die Sakramentalität des Wortes kann also förderlich sein, um das Geheimnis der Offenbarung mehr als eine Einheit in Tat und Wort, die innerlich miteinander verknüpft sind zu verstehen, zum Nutzen des geistlichen Lebens der Gläubigen und der pastoralen Tätigkeit der Kirche“ (VD 56).
Die Vertiefung der Sakramentalität des Wortes Gottes sollte sehr zu einer lebendigeren Teilnahme an der Heiligen Messe helfen, die aus zwei Tischen besteht, dem Tisch des Wortes und dem Tisch der Eucharistie. Darüber hinaus erwachsen daraus entscheidende Konsequenzen für die Ökumene. Führt der ökumenische Dialog nicht zur vollen Einheit der Christen, können die Nichtkatholiken nicht an der Eucharistie teilnehmen, doch sie können wirklich und ganz am Teilen des Wortes Gottes teilhaben, in dem in der Gemeinschaft der Gläubigen der Leib und das Blut Christi gegenwärtig sind.
Liebe Brüder und Schwestern, der Heilige Hieronymus hat die selige Jungfrau und Gottesmutter Maria sehr verehrt und preist ihre Haltung gegenüber dem Wort Gottes, die jeder Christ nachahmen sollte, indem er fortwährend die Bibel liest. Hierzu hat Papst Franziskus geschrieben: „Das leuchtende Vorbild darin ist Maria, die Hieronymus uns vor allem in ihrer jungfräulichen Mutterschaft, aber auch in ihrer Haltung als betende Leserin der Schrift vor Augen stellt. Maria erwog die Worte in ihrem Herzen (vgl. Lk 2,19; 3,15), und weil sie heilig war und die heiligen Schriften gelesen hatte und mit den Propheten vertraut war, da erinnerte sie sich, dass der Engel Gabriel zu ihr gesprochen hatte, was sich bei den Propheten geweissagt findet. […] Sie sah den Knaben daliegen, sie sah den Knaben in der Krippe weinen, sie sah den Sohn Gottes vor sich liegen, ihren Sohn, ihren einzigen Sohn. Wie sie ihn da liegen sah, verglich sie, was sie gehört hatte, mit dem, was sie gelesen hatte und was sie persönlich wahrnahm. Ihr wollen wir uns anvertrauen. Sie kann uns am besten lehren, Gottes Wort zu lesen und zu meditieren, zu Gott zu beten und ihn zu betrachten, der sich in unserem Leben unermüdlich gegenwärtig macht“ (Scripturae sacrae affectus). Amen.