Predigt von Nuntius Eterovic zum 350. Jubiläum der Gnadenkapelle St. Marien in Bethen bei Cloppenburg

Bethen bei Cloppenburg, 15. September 2019

(Ex 32,7-11.13-14; Ps 51; 1 Tim 1,12-17; Lk 15,1-32)

„Freut euch mit mir, denn ich habe mein Schaf wiedergefunden, das verloren war“ (Lk 15,6).

Liebe Schwestern und Brüder!

Lasst uns der göttlichen Vorsehung dafür danken, daß sie uns an diesem heiligen Ort, zusammengeführt hat, wo seit 350 Jahren in dieser Kapelle von St. Marien in Bethen bei Cloppenburg im Oldenburger Münsterland die Gläubigen zusammenkommen. Ich danke dem Wallfahrtsrektor, Hochwürdigen Herrn Pfarrer Mons. Dr. Költgen, wie auch Seiner Exzellenz Mons. Wilfried Theising, dem Bischöflichen Offizial in Vechta, herzlich für die freundliche Einladung, dieser festlichen Eucharistiefeier vorzustehen. Dies erlaubt mir, Euch alle im Namen des Heiligen Vaters Franziskus, des Bischofs von Rom und Hirten der Universalkirche, zu grüßen, den ich die Freude habe, in der Bundesrepublik Deutschland zu vertreten. Am Ende der Heiligen Messe werde ich den Päpstlichen Segen erteilen, mit dem ein vollkommener Ablass verbunden ist, sofern drei Bedingungen erfüllt sind: Empfang des Bußsakramentes, Kommuniongang und das Gebet in den Anliegen des Obersten Pontifex.

Liebe Brüder und Schwestern, das Wort Gottes, das wir gehört haben, führt uns die Barmherzigkeit Gottes vor Augen, die er als unser Vater für die Menschen hegt. Schon im Alten Testament offenbart sich JHWH als „ein barmherziger und gnädiger Gott, langmütig und reich an Huld und Treue“ (Ex 34,6). Dieses Merkmal Gottes wird auch in der ersten Lesung verstärkt (I). Der Heilige Paulus beschreibt seinerseits die Barmherzigkeit Gottes in seinem eigenen Leben (II). Der Herr Jesus unterstreicht die göttliche Barmherzigkeit mittels dreier Gleichnisse (III). Auch wir, um die Gottesmutter versammelt, wollen dem dreieinen Gott für die Fülle der Zeichen seiner Barmherzigkeit danken, die bei denen geschehen, die reinen Herzens beten, besonders an diesem heiligen Ort (IV).

1. Die Fürsprache des Mose

Im Buch Exodus, aus dem wir ein Stück gehört haben, zeigt sich Mose als wahrer Führer des Volkes. Mose bleibt Gott treu, versucht aber auch, seine Brüder zu verteidigen, das Volk, zu dem er gehört, und das sich von Gott entfernt hatte. Mose verlässt seine Leute nicht, auch nicht in diesem Augenblick größter Schwierigkeiten. Im Gegenteil, JHWH hat ihm die Möglichkeit eröffnet, das Volk für seine Untreue zu bestrafen, weil sie sich einen Götzen geschaffen hatten und dieses Ding anbeteten, „ein gegossenes Kalb“ (Ex 32,8). Mose aber bittet den Herrn, von seinem Zorn abzulassen und das Volk nicht zu vernichten, das er aus Ägypten herausgeführt hat. Er verweigert sich dem göttlichen Ansinnen, Haupt eines anderen „großen Volkes“ (Ex 32,10) zu werden. In dem dramatischen Gespräch erinnert Mose an die großen Verheißungen, die JHWH Abraham, Isaak und Jakob gemacht hat und fleht darum, diese nicht aufzugeben und dem Volk die Schuld zu vergeben. Die Lesung endet mit der gnadenvollen Entscheidung JHWH: „Da ließ sich der HERR das Unheil reuen, das er seinem Volk angedroht hatte“ (Ex 32,14). Mose, der eine überaus nahe Beziehung zu Gott hatte, denn sie sprachen „von Angesicht zu Angesicht, wie einer mit seinem Freund spricht“ (Ex 33,11), kannte den sensiblen Punkt des Allerhöchsten, seine Barmherzigkeit. Das ist ein gutes Beispiel für alle diejenigen, die das Volk Gottes über eine gewisse Wegstrecke bei der irdischen Pilgerschaft führen.

2. Die Bekehrung des Heiligen Paulus

Im Brief an seinen Schüler Timotheus erinnert der Heilige Paulus an sein eigenes Leben, wo es Zeiten gab, in denen er die Christen verfolgt hat, und an die Zeit seiner Bekehrung, was er der Barmherzigkeit Gottes zuschreibt: „Ich habe Erbarmen gefunden, denn ich wusste in meinem Unglauben nicht, was ich tat. Doch über alle Maßen groß war die Gnade unseres Herrn, die mir in Christus Jesus den Glauben und die Liebe schenkte“ (1 Tim 1,13-14). Aus eigener Erfahrung weiß der Völkerapostel um Jesus Christus als Quelle der Liebe und der Barmherzigkeit Gottes: „Das Wort ist glaubwürdig und wert, dass man es beherzigt: Christus Jesus ist in die Welt gekommen, um die Sünder zu retten. Von ihnen bin ich der Erste“ (1 Tim 1,15). Es handelt sich dabei nicht um ein Privileg, das allein Paulus oder einigen wenigen vorbehalten wäre, sondern er bezeugt: „Ich habe gerade darum Erbarmen gefunden, damit Christus Jesus an mir als Erstem seine ganze Langmut erweisen konnte, zum Vorbild für alle, die in Zukunft an ihn glauben, um das ewige Leben zu erlangen“ (1 Tim 1,16).

Gott ist bereit, allen Sündern seine große Barmherzigkeit zu erweisen, die umkehren und zum Glauben an Ihn zurückkehren.

3. Jesus Christus verkündet die Barmherzigkeit Gottes.

Im heutigen Evangelium stellt sich Jesus den Pharisäern und Schriftgelehrten, die sich empörten „und sagten: Dieser nimmt Sünder auf und isst mit ihnen“ (Lk 15,2). Die ersten beiden Gleichnisse sind kurz und von einfacher Struktur. Es handelt sich um das eine verlorene Schaf aus einer Herde von 100 und um die eine verlorene Drachme von zehn. Der Hirt lässt die 99 Schafe in der Wüste zurück und macht sich auf die Suche nach dem verlorenen Schaf. Die Frau im Gleichnis sucht sorgfältig, bis sie die verlorengegangene Drachme wiedergefunden hat. In beiden Fällen endet die Geschichte in der Freude. Der Hirte ruft aus: „Freut euch mit mir, denn ich habe mein Schaf wiedergefunden, das verloren war“ (Lk 15,6). Ebenso teilt die Frau ihre Freude mit den Freundinnen und Nachbarn: „Freut euch mit mir, denn ich habe die Drachme wiedergefunden, die ich verloren hatte“ (Lk 15,9). In beiden Gleichnissen unterstreicht Jesus Christus, daß die Bekehrung eines Sünders eine ebensolche Resonanz im Himmel erfährt: „Ich sage euch: Ebenso wird im Himmel mehr Freude herrschen über einen einzigen Sünder, der umkehrt, als über neunundneunzig Gerechte, die keine Umkehr nötig haben“ (Lk 15,7).

Im Gleichnis vom verlorenen Sohn dominiert die Gestalt des Vaters. Angstvoll erwartet er die Rückkehr des jüngeren Sohnes, nachdem er sich von ihm getrennt hatte und elende Armut und Hunger kennenlernte, sowie erleben musste, daß falsche Freunde sich von ihm entfernten. Er kehrt nachhause zurück, und der Vater nimmt ihn voll großherziger Liebe auf, vergibt ihm alle Schuld und erneuert die Würde als Sohn. Auch in diesem Gleichnis wird die Freude des Vaters unterstrichen, der den Sohn in festliche Gewänder kleiden und für ihn ein Fest ausrichten lässt (vgl. Lk 15,23-24). Der Vater sucht auch den älteren Sohn zu überzeugen, der immer treu bei ihm geblieben war, aber das barmherzige Verhalten des Vaters nicht verstand. Der ältere Sohn steht für die Pharisäer und Schriftgelehrten, mit denen Jesus diskutierte. Auch an sie wendet sich die Botschaft von der Barmherzigkeit, die man allein nach der Bekehrung verstehen kann. Er möchte ihre Herzen der Gnade des Geistes öffnen, damit sie verstehen, daß Gott die Weise menschlichen Denkens übersteigt, wie es übrigens schon der Prophet Jesaja verkündet hatte: „So hoch der Himmel über der Erde ist, so hoch erhaben sind meine Wege über eure Wege und meine Gedanken über eure Gedanken“ (Jes 55,9). Mit einem für die göttliche Barmherzigkeit weiten Herzen kann man nicht anders, als Gott für den universalen Heilswillen zu danken. Denn Gott „will, dass alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen“ (1 Tim 2,4).

4. Von der Freude, die Barmherzigkeit Gottes zu erfahren.

Liebe Brüder und Schwestern, danken wir Gott dem Vaters, Sohn und Heiligem Geist für die Gnade der Vergebung, die wir oft in unserem Leben erfahren haben, vor allem im Sakrament der Versöhnung. Wir haben ebenfalls die tiefe Freude empfunden, die Gott nur denen schenkt, die sich seiner barmherzigen Liebe vollkommen anvertrauen. Besonders an diesem heiligen Ort haben viele Männer und Frauen die Größe der göttlichen Barmherzigkeit mit Händen greifen können. Nachdem im Dreißigjährigen Krieg die alte Wallfahrtskapelle zerstört worden war, ließ der Fürstbischof von Münster, Christoph Bernhard von Galen (1606 bis 1678), diese neue errichten, die er im Jahre 1669 weihte. Unzählige Gläubige haben sich über die Generationen hin der mächtigen Fürsprache Mariens anvertraut, der Muttergottes und unsere Mutter. Sie taten dies insbesondere in den Kriegszeiten, so auch bei den zwei Weltkriegen, wo viele Frauen, Mütter und Ehefrauen, zu diesem Ort kamen, um für ihre Väter, Ehemänner, Söhne und Brüder zu beten. Liebe Schwestern und Brüder, setzt diese kostbare Tradition fort und betet für Euch, für die Euch Nahestehenden, aber auch für all jene, die der Barmherzigkeit Gottes so sehr bedürfen. Leider gibt es auch in der Welt von heute eine Vielzahl von Kriegen und unzählige Formen von Gewalt. Wir bitten daher die selige Jungfrau Maria, die Königin des Friedens, um den Frieden in der Welt, insbesondere im Mittleren Osten. Außerdem leben gerade in unserer Zeit viele Menschen so, als gäbe es Gott nicht. Beten wir auch für sie, daß sie den Glauben finden und Gott begegnen, der „gnädig und barmherzig ist, langmütig und reich an Huld“ (Ps 145,8). Sie, die „voll der Gnade ist“ (Lk 1,28), erflehe für uns diese Gnaden durch Ihren Sohn und Herrn Jesus. Er ruft uns dazu auf, unser Vertrauen in den guten und barmherzigen Gott zu erneuern und versichert uns aufs Neue: „Ebenso wird im Himmel mehr Freude herrschen über einen einzigen Sünder, der umkehrt, als über neunundneunzig Gerechte, die keine Umkehr nötig haben“ (Lk 15,7). Und wenn wir die Barmherzigkeit unseres Gottes erfahren haben, liebe Brüder und Schwestern, dann sind wir gerufen, dies den anderen mitzuteilen, unseren Familien, Angehörigen, Freunden und Bekannten. Auf diese Weise werden wir nämlich unter der Führung des Heiligen Geistes, zu Missionaren des Evangeliums Jesu Christi, eines Evangeliums, das eine gute Nachricht ist - auch für den zeitgenössischen Menschen in Deutschland, Europa und der ganzen Welt. Amen.

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